Missing Link: Tesla in Grünheide – erleben wir eine disruptive Elektrifizierung?

Seite 2: Tesla jagt den Golf

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Und die Umsätze werden fast ausschließlich mit Verbrennern erzielt, deren Tage sind jedoch gezählt. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo (sowie zukünftige und aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatin) zeigte sich vergangenes Wochenende überzeugt: "In 10 Jahren wird es keine Produktion von Autos mit Benzin mehr geben." Vom Diesel ist bei ihr schon gar keine Rede mehr, und auch bei uns wurden im September 2021 erstmals mehr reine E-Fahrzeuge als dieselbetriebene zugelassen – ein historischer Moment.

Das macht sich auch in der Zulassungsstatistik bemerkbar: Um ein Haar hätte das Model 3 gar den Golf von der Spitze verdrängt, der mit 6886 gerade einmal 58 Mal häufiger verkauft wurde als das Tesla Model 3 (Kraftfahrtbundesamt). Bei reinen Elektroautos ist das Model 3 auch bei uns an der Spitze, und das, obwohl die heimische Produktion noch gar nicht gestartet ist: 2021 war das am häufigsten zugelassene reines Elektroauto das Tesla Model 3 mit knapp 24.000 Stück, dahinter folgen die Modelle Up und ID.3 von Volkswagen mit 21.900 beziehungsweise 21.500 Neuzulassungen. Das hat es noch nie gegeben: Ein US-amerikanisches Import-Auto, das in China gebaut wird, mischt die Zulassungsstatistik auf.

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Tesla als konkurrierenden Autohersteller ernst zu nehmen, genügt allerdings bei weitem nicht. "Mit dem kalifornischen Unternehmen hat sich ein Wettbewerber auf dem Markt etabliert, der den Automobilbau mit den neuen Geschäftsmodellen der Internetunternehmen betreibt." Das schreiben die Münchner Experten Andreas Boes und Alexander Ziegler in einer Studie zu Teslas Disruption der deutschen Autoindustrie. Die Industrie hat immer noch nicht verstanden, dass Tesla ein Digitalkonzern ist, bei dem das Auto nur Nebenprodukt einer Software-Plattform ist. 2019 schrieb ich bereits an dieser Stelle: "Tesla hat ein digitales Ökosystem rund um die Fahrzeuge entwickelt, das in der Branche seinesgleichen sucht." Daran hat sich bis heute nichts geändert, bei Software-Updates und Fernwartung kann auch fast ein Jahrzehnt nach der Vorstellung des Model S niemand Tesla das Wasser reichen.

Das wird deutlich beim Rennen um das "Betriebssystem fürs Auto". Alle Hersteller arbeiten fieberhaft daran, die in der Vergangenheit verfolgte Strategie der Auslagerung von Funktionalitäten in viele unterschiedliche dezentrale Steuergeräte zu revidieren, hatten sie doch auf das Auslagern ganzer Funktionsgruppen an Zulieferer gesetzt, um Kosten zu sparen.

Informatiker kennen das auf Alan Kay zurückgehende und von Steve Jobs gern zitierte Credo aus der Software-Welt, nach dem "Leute, die es mit Software wirklich ernst meinen, ihre eigene Hardware herstellen sollten." Bei Tesla ist das schon immer so: ein Zentralrechner, ein Betriebssystem, möglichst wenige Komponenten und kurze Kommunikationswege. Tesla hat von Anfang an auf eigene Hardware und Software gesetzt, deshalb ist Tesla auch von den gegenwärtigen Chip-Lieferengpässen weniger betroffen als andere Hersteller: Sie verwenden zum einen Eigenentwicklungen und benötigen nur ca. halb so viele Computerchips, wie sie etwa Volkswagen im ID 4 verbaut.

Auch die deutschen Hersteller haben mittlerweile erkannt, dass Teslas Weg der Softwareintegration der richtige ist. Jan Burgard, CEO der Beratungsfirma Berylls erläutert gegenüber automotiveIT, dies bringe "den Vorteil hoher Eigenwertschöpfung rund um Kundenerlebnis und Software-Stack im Fahrzeug". Doch das dauert: Bei Daimler soll 2024 "ein eigenes, datengestütztes und flexibel updatebares Mercedes-Benz Operating System" für die Fahrzeuge verfügbar sein, erklärte Sajjad Khan, der ehemalige Daimler-CTO.

Prof. Alois Knoll, Informatiker an der TU München warnt die Hersteller, sich bei dem in den nächsten Jahren bevorstehenden Kraftakt nicht zu übernehmen: Er empfiehlt, nur wirklich wettbewerbsrelevante Software inhouse zu entwickeln, ansonsten drohe eine Kostenexplosion (Webcast von automotive IT, 7. September 2021) – es bleibt kompliziert.