Missing Link: Weiblicher Hattrick für das Internet – Trend oder Signal?

Seite 2: Next Generation Internet: Die Wissenschaftlerin

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Mirja Kühlewind

(Bild: Privat)

Die Vertretung der Ingenieure und Entwicklerinnen der IETF gegenüber Öffentlichkeit und Politik, das gehört auch für die zweite deutsche Internet-Chefin, Mirja Kühlewind, zur Aufgabenbeschreibung. Als Chefin des Internet Architecture Board (IAB), das als eine Art Peer-Gremium für die IETF fungiert, hat sie zwei Aufgaben: Einerseits muss sie die Architektur des Netzes mit den mittlerweile vielen Anbauten beobachten und Impulse geben, wo die Reise hingeht und hingehen sollte. Andererseits sei die Kommunikation nach außen und die Übersetzung zwischen dem Fachgespräch der Techies und der öffentlichen Debatte wichtig. Es sei gar nicht so einfach, sagt Kühlewind im Antrittsintrview im Frühjahr, eine gemeinsame Sprache zu finden – und auch auf die Standardisierer von IP, IPv6 oder HTTP 1.3 wächst der politische Druck, wie die gerade wieder einmal aufflammende Debatte um den Zugriff auf Verschlüsselung zeigt.

Kühlewinds Aufstieg an die Spitze des IAB war kometenhaft, anders als der von Kühne im IAB. Seit 2010 regelmäßiger bei IETF-Treffen dabei, wurde sie 2016 Leiterin der Transport-Area, in einer Zeit, in der nach Jahren der Routine plötzlich die Entwicklung neuer Transportprotokolle gestartet wurden. Das ursprünglich von Google in die IETF eingebrachte QUIC (Quick UDP Internet Connections) ist der prominenteste Vertreter und wird, wenn man den Experten glaubt, das alte Internettransportprotokoll TCP, das aus TCP/IP so schwer wegzudenken schien, zu einem guten Teil ersetzen.

Die Aufnahme ins 14-köpfige IAB nach gerade mal vier Jahren als AD, und damit Mitglied der Internet Engineering Steering Group, die die aktuelle Standardisierungsarbeit begutachtet und durch den Standardisierungsarbeit begleitet, dürfte ein neuer Rekord sein. Und der Umstand hat wohl nicht wenige überrascht, dass die einzige Frau – abgesehen von IETF-Chefin Cooper, die qua Amt dem IAB angehört –, die Newcomerin und zweitjüngste in dem illustren Kreis gleich zur Vorsitzenden gewählt wird.

War es so, dass ihr die Älteren ihr den Vortritt gelassen haben? War es die Trotzreaktion eines Gremiums, dessen geografisch und gendermäßig zu wenig ausgewogene Besetzung ihm schon Ärger und böse Briefe eingebracht hatten? War es die Fürsprache von Cooper oder Kühlewinds Energie und Wissenschaftlerleidenschaft, die mindestens die kannten, die ihre Arbeit als Area-Direktor verfolgt hatten? "Superwissenschaftlerin" nannte sie ein Beobachter, und über ihre wissenschaftlichen Themen fand die in Stuttgart promovierte Informatikerin, die 2019 von der ETH Zürich ins Forschungslab von Ericsson wechselte, auch den Weg in die Entwicklergemeinde. Dabei sind manche ihrer Forscherinnenüberzeugungen Gegenstand von Kontroversen.

Bei QUIC etwa machte sich Kühlewind, die wissenschaftlich viel zu Netzmanagement, Netzmonitoring und Messmöglichkeiten gearbeitet hat, für ein Spinbit stark. Damit den Netzbetreibern im stark verschlüsselten QUIC wenigstens noch ein paar Anker bleiben, an denen sie ihr Netzwerkmanagement aufhängen können. Am Ende gab die QUIC-Arbeitsgruppe widerwillig nach. Aktuell arbeitet Kühlewind an einem Vorschlag, der Proxies in die verschlüsselten QUIC-Tunnels retten soll. Hartgesottene Privacy-Vertreter dürften solche Ideen mindestens für verzichtbar halten.

Mit ihren wissenschaftlichen Interessen – für neue Transportprotokolle von QUIC bis HTTP 1.3 - liegt Kühlewind im Trend. Wie sie sich daneben auf der neuen politischen Bühne schlägt, auf die sie als IAB-Chefin treten soll, muss sich noch zeigen. Bislang hatte sie damit noch nicht viel am Hut. Bei den anderen I*-Organisationen, von der ICANN bis zu den IP-Adressverwaltungen, war sie ein seltener Gast und die eher zähen diplomatischen Debatten rund ums Internet hat sie sich bislang erspart.

Ein Haufen Arbeit steht ihr da noch bevor. Dabei hat das von Covid überschattete Jahr ihren Amtsantritt schon viel Mehrarbeit beim Amtsantritt erfordert. Auch ohne Covid ist mit Konferenzen, Reisen und der im IAB erforderlichen Betreuung eigener und anderer Architektur-bezogener Programme wie dem Ausbau und Entwicklungsfähigkeit des Netzes genug zu tun. Mit Reiseverboten und Lockdowns weltweit kam aber die Aufgabe dazu, große und kleine Treffen online zu organisieren und die Kontinuität der Arbeit eines zur Hälfte ausgewechselten IAB irgendwie hinzubekommen.

Tägliche Videokonferenzen, die Vorbereitung einer neuen Arbeitsgruppe in der IETF, internen Treffen von Ericsson und allabendlichen virtuelle Arbeitsgruppen während der IETF-Treffen zwischen 21:00 und 1:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit, so beschrieb Kühlewind ihren Start im Frühjahr und meinte zugleich bedauernd, dass da die eigene wissenschaftliche Arbeit noch eine Woche warten müsse.