Missing Link: FAZ auf Facebook ist wie Müsli bei McDonald's

Seite 3: Relotius

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Einige US-amerikanische Medien hatten es sich zur Aufgabe gemacht, Trumps Äußerungen Faktenchecks zu unterziehen und wiesen ihm tausende Lügen nach. Diese Faktenchecks und meine eigenen Anschauungen zum Thema Trump haben mich zu dem Urteil gebracht, mit dem 45. Präsidenten hatten die USA jemanden an ihre Spitze gesetzt, der zumindest der Demokratie des eigenen Landes sehr geschadet hat. Er hat sich tatsächlich als der "erste Internet-Troll" als US-Präsident erwiesen, als den ich ihn vor gut vier Jahren tituliert hatte. Schon allein wenn ich dies vorbringe, werden mich einige Leser als "links" ansehen, zumindest als einseitig. Schließlich habe Trump auch Positives bewirkt, beispielsweise dafür gesorgt, dass Israel gegenüber der arabischen Welt nun nicht mehr so isoliert wie zuvor dasteht, und er habe im Gegensatz zu seinen direkten Vorgängern keinen Krieg angefangen. Dem steht aber eine Überzahl gefährlich polarisierender und radikalisierender Äußerungen und Taten des Ex-Präsidenten gegenüber.

"Schon vor der Aufdeckung von Relotius' Fantasiegeschichten aus linker Sicht, haben haufenweise Leser dies dem Spiegel angezeigt. Der hat aber immer auf sein tolles Faktenchecker-Team verwiesen (20 Leute). Man wollte einfach nicht die tollen erfundenen Stories gefährden, die doch so toll zeigten, wie dumm z.B. die Trottel-Trumper sind. Ideologie geht halt oft vor Wahrheit bei den klassischen Medien heutzutage."

Der Spiegel hat in dem Abschlussbericht seiner Aufklärungskommission zu den Vorgängen um den Reportage-Fälscher Claas Relotius eingeräumt, dass Journalistenpreise und der Verweis darauf von Ressortleitern Druck auf die Mitarbeiter insbesondere des Gesellschaftsressorts ausgeübt haben. Im Zusammenhang mit einem E-Mail-Wechsel zwischen Relotius, seinem Ko-Reporter Juan Moreno und dem damaligen Ressortleiter Matthias Geyer geht hervor, dass für die Reportage "Jaegers Grenze" explizit ein US-Amerikaner gesucht wurde, der Trump-Wähler war. Moreno, der maßgeblich dafür gesorgt hatte, dass die Fälschungen aufgedeckt wurden, schätzt in seinem Buch "Tausend Zeilen Lüge" viele Relotius-Reportagen als nicht nur sprachlich gefällig ein, sie würden auch inhaltlich kaum anecken, da sie den Vorerwartungen der Leser:innen entsprächen.

Die Relotius-Affäre ließ das "Sturmgeschütz der Demokratie" (Rudolf Augstein) sozusagen nach hinten losgehen, ausgerechnet zu einer Zeit, als die "Lügenpresse"-Rufe auf deutschen Plätzen lauter wurden. Der Spiegel tat das einzig Richtige, er ließ seine Strukturen durchleuchten. Dabei blieben Aspekte offen: In dem Abschlussbericht der Aufklärungskommission taucht das Wort "Eitelkeit" nur einmal auf, nämlich aus dem Munde Morenos, der sich selbst dessen bezichtigte, während Relotius von den Spiegel-Verantwortlichen als bescheiden und zurückhaltend charakterisiert wurde. Dabei müsste doch auch zur Diskussion stehen, ob nicht die Kultur der Journalistenpreise und das Genre der Reportage selbst auf dem Prüfstand stehen sollten, um der Eitelkeit der Journalisten den Nährboden zu entziehen. Doch selbst Moreno hält an dem Genre fest.

Der Spiegel hat versucht, sich in seiner Selbstuntersuchung gründlich an den eigenen Ansprüchen und Zielen zu messen: "Sagen, was ist", lautete das Diktum seines Gründers, also der Wahrheit verpflichtet sein. Wenn Objektivität unerreichbar ist, sollte größtmögliche Intersubjektivität angestrebt werden. So wird ideologielastige Kritik vermieden, stattdessen werden auch nach außen hin alle Akteure an ihren eigenen Ansprüchen gemessen.

"Die sozialen Medien waren hier ein Ventil für viele Konservative, auch einmal ihre Sicht der Dinge darzustellen und in Teilen auch zu zeigen, dass die linken Medien nicht selten einen Teil der Story einfach mal weglassen oder sogar glatt 'Fakten' erfanden."

Spiegel-Titel vom 12. November 2016.

(Bild: Der Spiegel)

Die "andere Sicht der Dinge", also eine "andere als links" findet nicht nur in sozialen Medien ihre Bahn. Zum Beispiel griff die Welt den Spiegel kurz nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten im November 2016 – also noch vor der Relotius-Affäre – direkt und grundsätzlich an. Das Nachrichtenmagazin hatte Trump auf seinem Cover als Meteor mit Feuerschweif dargestellt, der bedrohlich auf die Erde zusteuert. Diesen "Knalleffekt" sah die Welt nicht als Bruch des Spiegel mit einem aufklärerischen Anspruch, sondern als konsequente Fortsetzung jahrzehntelang gepflegter einseitiger Berichterstattung. Die Welt ging dabei so weit zu schreiben: "Mit seiner Fokussierung auf die Fehler im System trägt das 'Sturmgeschütz der Demokratie' beim Publikum kräftig dazu bei, Politik zu delegitimieren."

"Natürlich wurden die Konservativen ziemlich stark in den sozialen Medien und das behagte den klassischen Medien überhaupt nicht. Und dauernd korrigiert zu werden auch nicht. Früher hatte man die totale Deutungshoheit. Sowas gibt man ungerne auf. Deswegen hat es immer einen speziellen Geschmack, wenn Angestellte von klassischen Medien indirekt Zensur befürworten. Natürlich nur dann, wenn es eine politisch andere Meinung ist."

In diesem Licht ließen sich Erkenntnisse von Kommunikationsforschern sehen, dass beispielsweise AfD-nahe Beiträge in sozialen Medien im Vergleich zum Zuspruch der Wähler in sozialen Medien mengenmäßig überrepräsentiert sind. Wir könnten hier eine scharfe Trennlinie ziehen zwischen den "alten Medien" mit den "linksgrünen" Journalisten und den "sozialen Medien" mit den "Konservativen" – wenn es nicht auch "rechte herkömmliche Medien" gäbe und sich "Rotrotgrün" nicht auch in sozialen Netzen präsentierten und wenn obendrein nicht der Verdacht bestünde, die "Konservativen" bedienten sich Bots, um ihre Reichweite zu erhöhen.

Der indirekte Vorwurf, indirekt Zensur zu fordern, trifft mich nicht: Wie ich vor zwei Wochen ausführte, betreiben die sozialen Medien selbst bereits eine Art Zensur, indem sie ihren Nutzern nicht das gesamte potenzielle Angebot präsentieren. Auch obliegt es den Betreibern von Facebook, Twitter & Co., einzelne Nutzer komplett auszusperren, wie jetzt mit Trump geschehen. Und nur dann, wenn die gesamten "klassischen Medien" als "links" rubriziert würden, blieben den "Konservativen" in der Tat als Hauptkanal für ihre Meinungsbekundungen im Wesentlichen die sozialen Medien.

"Ich weiß nicht, ob der Autor dieses Kommentars einige der letzten Überschriften seines Blattes gelesen hat zum Thema Trump, Republikaner und die Monopolisten aus Silicon Valley: Von Ausgewogenheit war da 0% zu spüren. Leider verliert der Autor über diesen Aspekt seiner rosarot gezeichneten klassischen Medienwelt kein Wort. Schade. Chance vertan."

Wenn ich einen Kommentar zum Sturm aufs Capitol mit der Meinung verbinde, soziale Medien sollten geschlossen werden, und am Sonntag darauf einen meinungsgefärbten Missing Link als Fortsetzung dazu veröffentlichen lasse, darf ich mich da wundern, wenn mir hier nun direkt unterstellt wird, 0% ausgewogen zu sein? Aber bevor ich mich auf diesen Vorwurf einlasse, müsste zunächst einmal geklärt werden, was außer dem, was in "meinem Blatt" zu Trump, den Republikanern und den Monopolisten im Silicon Valley geschrieben stand, sonst noch berichtenswert gewesen wäre.