Betrug in der Forschung: Science oder Fiction?

Sie machen den undankbarsten Job im Wissenschaftsbetrieb, doch ihre Aufgabe ist wichtiger denn je: Forscher, die nach gefälschten Bildern und Daten fahnden.

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(Bild: Michel & Co)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Susanne Donner
Inhaltsverzeichnis

Diesen Mai hatte die Covid-Ära ihren ersten Wissenschaftsskandal. Für die Mikrobiologin Elisabeth Bik aus Kalifornien war er der Anfang einer neuen Detektivarbeit. Dabei liest sich der Artikel in dem renommierten Journal „Lancet“ zunächst wie eine ernst zu nehmende Warnung. Das Malariamittel Hydroxychloroquin sei lebensbedrohlich für Covid-Kranke. Unter dem Medikament würden die Betroffenen noch häufiger sterben.

Eine weitere Arbeit derselben Autoren im angesehenen „New England Journal of Medicine“ kam zu dem gleichen brisanten Schluss. Der Tod ist der härteste und kritischste Endpunkt in der Medizin, gut messbar und kaum zu verfälschen. Dementsprechend hatten beide Studien in der Pandemie sofort gravierende politische Folgen. Die WHO brach einen laufenden Studienarm mit dem Medikament ab. In Tübingen wurde ebenfalls eine Studie gestoppt. Ärzte setzten Verschreibungen mit Hydroxychloroquin aus.

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Doch dann folgt ein Sturm der Entrüstung: 146 Forscher zweifeln die Publikationen an, vor allem wegen der zugrunde liegenden Daten. Der US-Dienstleister Surgisphere, ein „kleiner Laden“ mit exakt drei Mitarbeitern, will sie von mehr als 96000 Covid-Patienten gesammelt haben. So viele in so kurzer Zeit erscheint den Wissenschaftlern unglaubwürdig. Und tatsächlich: In der sich anschließenden Debatte können die Autoren die Herkunft der Daten nicht erklären. Sie ziehen die Veröffentlichungen schließlich zurück. Nur der Inhaber von Surgisphere beharrt auf der Richtigkeit, bislang ohne Beweise vorlegen zu können.

Hier setzt Biks Arbeit an. Denn Surgisphere erklärt, der Datenlieferant für viele Veröffentlichungen in hochrangigen Journalen wie dem „British Medical Journal“ und dem „Journal of the American Medical Association“ gewesen zu sein und liefert Bik nach dem Skandal Grund genug, diese genauestens zu überprüfen.

Jeden Tag durchforstet sie Veröffentlichungen aus der Medizin, Biologie, Nanotechnologie, alles, was Bilder enthält, „so viele, dass ich auch die ganze Nacht durch am Schreibtisch sitzen könnte“, sagt die Mikrobiologin. Sie hat sich darauf spezialisiert, gefälschte Bilder in wissenschaftlichen Arbeiten zu entlarven – und das mit bloßem Auge. „Ich sehe gefälschte Bilder oft in Sekunden; ich habe so etwas wie einen Sinn dafür.“ Die Fotos sind gespiegelt, gedreht oder auch zusammengesetzt – häufig Mikroskopieaufnahmen oder Western Blots, eine Methode zur Bestimmung von Proteinen. Bei einigen sind Ausschnitte komplett neu zusammengepuzzelt. „Ich denke mir manchmal, dass die Fälschung mehr Arbeit macht, als das Experiment zu wiederholen.“

Bik hat sich international einen Namen als Detektivin für Wissenschaftsbetrug gemacht. Zigtausende Veröffentlichungen hat sie in den letzten Jahren durchforstet, in vielen Hunderten Fällen auf Ungereimtheiten hingewiesen. Als Folge wurden über 170 Veröffentlichungen zurückgezogen und über 300 korrigiert oder als fehlerhaft markiert. „Sie hat einen unglaublichen Blick für Bilder“, sagt Debora Weber-Wulff von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Im April 2019 hat Bik ihre Festanstellung als Wissenschaftsdirektorin beim Unternehmen Astarte Medical an den Nagel gehängt und machte ihre Freizeitbeschäftigung zum Fulltimejob. „Ich bekomme kein Geld dafür und lebe von meinen Ersparnissen. Dafür bin ich unabhängig, und niemand kann mir den Mund verbieten“, sagt sie. „Es ist mir wichtig, dass Wissenschaft integer ist, und kaum jemand macht diese Arbeit hinter den Kulissen.“

Anders als ihre wenigen Mitstreiter tritt Bik öffentlich und namentlich in Erscheinung – und wird dadurch leicht zum Ziel von Anfeindungen. So auch im Fall von Surgisphere. Ein hochrangiger französischer Mediziner, der die Daten des US-Dienstleisters verwendet hat, beschimpfte sie als Hexenjägerin. Bik postete seine Beleidigung auf Twitter und kommentierte: „Macht mir nichts.“ Es gab aber auch schon Fälle, bei denen sie ihren Twitter-Account wegen zu vieler Anfeindungen zeitweilig geschlossen hat.

Die Falschmeldung über das Malariamittel ist kein Einzelfall. In rund vier Prozent der Publikationen würde sie fündig, sagt sie. Dahinter müsse nicht gleich ein Betrugsskandal stehen. Es könne sich auch um ein Versehen handeln. Auffällig sei aber: In Journalen mit niedrigerem Impact-Faktor, die also relativ wenig von anderen zitiert werden, häufen sich die verdächtigen Veröffentlichungen. In viel gelesenen Journalen liegt die Quote niedriger. Das deutet darauf hin, dass Autoren ihren Betrug bewusst verschleiern wollen. „Bei ,Science‘ und ,Nature‘ sind ungefähr ein Prozent der Arbeiten verdächtig. ,Plos One‘ liegt mit vier Prozent im Mittelfeld“, sagt Bik.

TR 9/2020

In diesem Frühjahr entdeckte sie zu ihrem Erstaunen eine ganze Betrugsserie. In mehr als 400 Veröffentlichungen wiesen die Bilder denselben leicht schmutzigen Hintergrund auf. Es gebe regelrechte Wissenschaftsfake-Fabriken, ist Bik überzeugt. Forscher geben dort ihre Veröffentlichungen in Auftrag. „In diesen Fabriken schreiben Wissenschaftler Texte so und so lang, mit so und so viel Zitaten. Die haben ein rudimentäres Labor für einfache Mikroskopieaufnahmen und Ähnliches.“ Beim Lesen fielen ihr krude Ausdrücke wie „sponging“ auf, die in der Wissenschaftssprache so nicht geläufig seien. „Viele sind sich des Ausmaßes des Betrugs in der Wissenschaft nicht bewusst“, sagt Bik. „Wir brauchen eine ganz andere Sensibilität und viel mehr und intensivere Vorabprüfungen.“

Fragwürdige Rohdaten wie im Fall des Corona-Wissenschaftsskandals fallen zudem kaum auf, weil sie selten zur Veröffentlichung mit eingereicht werden. Einige Verlage wollten diese einsehen, nachdem Bik einen Verdacht geäußert hatte – und prompt konnten die Autoren keine Daten zu ihrer Entlastung vorlegen. Frei erfunden? „Ich weiß es nicht. Dubios zumindest“, sagt Bik.

Es sei eine schlimme Vorstellung, dass ein erklecklicher Anteil dessen, was wir harte Wissenschaft nennen, reine Fiktion sein könnte. Bik aber schmerzt es noch mehr, dass sie auf ein Kartell des Schweigens stößt: „Von knapp 800 Veröffentlichungen, die ich 2014 und 2015 als verdächtig bei den Redaktionen angezeigt habe, sind nur ein Drittel zurückgezogen oder korrigiert worden. Die meisten Fachzeitschriften schicken eine höfliche Antwort oder gar keine und schauen weg.“