Nachruf auf ein unersetzliches Teleskop: ¡Adiós, Arecibo!

Seite 3: Die Rotation von Merkur und Venus

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Zu den ersten Entdeckungen gehörte die Rotationsgeschwindigkeit des Merkurs. Beobachtungen des Planeten mit optischen Teleskopen hatten kein eindeutiges Ergebnis ergeben, der Planet ist in steter Sonnennähe nur sehr schwierig zu beobachten: hoch am Himmel steht er nur am helllichten Tag, wenn der blaue Himmel den Kontrast schwächt, und in der Dämmerung steht er tief, so dass der Blick von einer dicken Schicht turbulenter Atmosphäre getrübt und durch Lichtbrechung verwaschen wird.

Die Beobachtungen deuteten jedoch auf eine langsame Rotation hin, und so ging man davon aus, dass Merkur mit seinem Umlauf gebunden rotiert, so wie der Mond das in Bezug auf die Erde tut. Die Erde hat den Mond mit ihrer Gezeitenkraft allmählich so weit abgebremst, dass er für eine Drehung um sich selbst genau so lange braucht wie für einen Umlauf um die Erde, so dass er uns stets dieselbe Seite zeigt. Dasselbe hatte man für den Merkur angenommen, dessen eine Hemisphäre demnach permanenter Gluthitze ausgesetzt wäre, während die andere in ewiger, eiskalter Nacht gefangen wäre. Arecibo fand jedoch 1965 mit seinem planetaren Radar, 9 Jahre vor dem ersten Vorbeiflug einer Raumsonde durch Mariner 10, dass Merkurs Rotation 58,646 Tage dauert, während ein Umlauf um die Sonne 87,969 Tage währt. Dies bedeutet dennoch eine Kopplung zwischen Rotation und Umlauf: zwei Umläufe dauern 175,938 Tage, genau so lange wie drei Rotationsperioden. Aus Sicht eines Ortes auf Merkur geht die Sonne also auf und unter, und der Merkurtag dauert 175,938 Erdtage. Man spricht von einer 3:2-Spin-Orbit-Resonanz. Die stark elliptische Bahn des Planeten trägt zur Stabilisierung dieser Resonanz bei, denn in Sonnennähe bewegt er sich deutlich schneller um die Sonne und rotiert dann fast synchron mit seinem Umlauf.

Die 3:2 Spin-Bahn-Resonanz des Merkur. Die Ziffernfolge von 1 bis 12 und wieder zur 1 beschreiben fortlaufend zwei Umläufe des Merkur um die Sonne. Die rote Linie markiert die Orientierung eines festen Längengrads des Planeten. Den ersten Sonnenumlauf vollführt Merkur von den Positionen 1 bis 7, den zweiten von 7 bis 1. Die erste Rotation vollführt Merkur von 1 bis 5, die zweite von 5 bis 9 und die dritte von 9 bis 1. Dabei hat ein Ort auf dem Merkur einen Umlauf lang Tag und einen Umlauf lang Nacht: beispielsweise geht in Position 10 für den Längengrad der Markierung gerade die Sonne auf, bei 1 steht sie am höchsten und bei Position 4 geht sie nach einem Umlauf wieder unter.

(Bild: Wikimedia Commons, Tos, CC BY-SA 3.0)

Überhaupt nur mit Radar konnte die Rotationsgeschwindigkeit der Venus gemessen werden, deren Oberfläche unter einer dichten Wolkendecke verborgen ist. Diese zeigt zwar im ultravioletten Licht Strukturen, aber deren "Superrotation" genannter Umlauf, der nur ca. 4 Tage dauert, hat nichts mit der Rotation des Planeten selbst zu tun. Arecibo fand, dass die Venus 243,025 Tage für eine Umdrehung braucht – 18,3 Tage länger als sie für einen Umlauf um die Sonne benötigt (224,701 Tage). Zudem rotiert sie retrograd, das heißt in Gegensinn zu ihrem Umlauf um die Sonne. Dies tut ansonsten nur Uranus, dessen Äquatorebene beinahe senkrecht zur Bahnebene steht, während der Äquator der Venus nur 3,4° gegen ihre Bahnebene verkippt ist.

Jocelyn Bell Burnell entdeckte 1967 den ersten Pulsar, eine periodische Radioquelle extremer Konstanz mit einer Pulsfrequenz im Subsekunden-Bereich und damals noch unbekannter Ursache. Heute wissen wir, dass es sich um rotierende Neutronensterne handelt. Dieser Zusammenhang konnte dadurch hergestellt werden, dass man Pulsare im Zentrum von Supernovaüberresten fand, das sind die sich ausbreitenden Gaswolken von als Supernova explodierten Sternen, die meist einen Neutronenstern hinterlassen. 1968 fand das Green-Bank-Radioteleskop zwei Pulsare in der Gegend des Krebsnebels Messier 1, von dem man wusste, dass er auf eine Supernova im Jahre 1054 zurückging, die von chinesischen Astronomen dokumentiert worden war. Green Bank konnte allerdings nur sporadische Pulse auffangen und daher die Pulsfrequenz nicht bestimmen. Arecibo konnte einen der beiden Pulsare im Zentrum des Krebsnebels lokalisieren und die genaue Pulsfrequenz messen. Sie beträgt 33,5 ms oder 29,8 Pulse pro Sekunde. So schnell rotiert der Pulsar im Krebsnebel.

Arecibo fand viele weitere Pulsare, darunter 1982 den ersten Millisekundenpulsar. Ein besonderes Highlight war seine Entdeckung des ersten binären Pulsars PSR B1913+16 durch Russell A. Hulse und Joseph Taylor im Jahr 1974. Der sichtbare Pulsar mit einer Pulsdauer von 59 ms umkreist hier einen unsichtbaren Neutronenstern in nur 7 Stunden und 45 Minuten. Dies konnten Hulse und Taylor anhand einer periodischen Dopplerverschiebung der Pulsar-Pulse nachweisen: wenn der Pulsar sich uns nähert, erscheinen seine Pulse verkürzt, wenn er sich entfernt, erscheinen sie verlängert. Aus den Bahndaten schlossen sie auf Massen von 1,44 Sonnenmassen für den Pulsar und 1,39 für den unsichtbaren Begleiter.

Durch eine genaue Beobachtung des Systems konnten Hulse und Taylor zwei Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie nachweisen: zum Einen die Zeitdilatation im Schwerefeld; wenn die Neutronensterne sich bei nur 1,1 Sonnenradien (765.000 km) am nächsten sind, verlangsamt sich die Pulsdauer um ca. 1 Mikrosekunde, weil im Schwerefeld die Zeit langsamer vergeht. Und zum Anderen die Abstrahlung von Gravitationswellen: die sich umkreisenden Neutronensterne kommen sich allmählich näher, was zu einer Verkürzung der Umlaufzeit um 76,5 Mikrosekunden pro Jahr führt. Dieser Wert entspricht 99,7±0,2 % des von der Allgemeinen Relativitätstheorie für den Energieverlust durch die Abstrahlung von Gravitationswellen berechneten Betrags. Die Beobachtung gilt als erster Nachweis von Gravitationswellen. 1993 erhielten Hulse und Taylor den Nobelpreis für ihre Messungen und PSR B1913+16 ist heute viel bekannter unter der Bezeichnung Hulse-Taylor-Pulsar.

Aufsummierte Verschiebung des Umlaufs des Hulse-Taylor-Pulsars PSR B1913+16. Auf der senkrechten Achse die Zahl der Sekunden, um die eine bestimmte Position des Pulsarorbits über die auf der waagerechten Achse aufgetragenen Jahre früher eintritt als bezogen auf die ursprüngliche Umlaufdauer 1974. Die roten Punkte zeigen gemessene Werte, die blaue Linie die von der Allgemeinen Relativitätstheorie aufgrund der Abstrahlung von Gravitationswellen vorausgesagte Entwicklung. In rund 300 Millionen Jahre werden die beiden Neutronensterne miteinander kollidieren und zu einem Schwarzen Loch verschmelzen.

Arecibo war wegen seiner enormen Empfangsstärke stets beliebt bei SETI-Projekten, also der Suche nach außerirdischer Intelligenz (Search for Extra Terrestrial Intelligence). Die SETI-Gruppe der Harvard-Universität nutzte das Radioteleskop seit 1978 immer wieder für Beobachtungen, wobei die Schüssel wegen ihres kleinen Blickfelds nur für Punktsuchen geeignet war, dort aber die größte Empfindlichkeit aller Radioteleskope auf der Welt bot. Für SETI werden spezielle Empfänger verwendet, die das Empfangssignal in viele schmalbandige Kanäle aufteilen und darin nach starken Signalen suchen, denn Funksignale wie wir sie für Rundfunk, Sprechfunk oder Datenübertragung benutzen, sind stets auf einen kleinstmöglichen Frequenzbereich beschränkt – den "Sender", den wir z.B. am Radio oder Fernseher abstimmen.

Bei der ersten Suche im Jahr 1978 wurde für 200 Kandidatensterne eine Bandbreite von nur 1 kHz um die Wasserstofflinie bei 21 cm durchsucht. Im bis zuletzt aktiven Projekt SERENDIP VI wurden auf der Basis einer in FPGA-Hardware gegossenen Fourieranalyse und eines Grafikkarten-Parallelprozessors (GPU) sieben Signalquellen zu je 300 MHz Bandbreite in 128 Millionen Kanälen mit einer Zeitauflösung von 0,2 Sekunden durchkämmt. SERENDIP lief im Hintergrund zu aktiven Beobachtungen anderer Astronomen und beanspruchte selbst keine eigene Beobachtungszeit.

Arecibo spielte auch eine Rolle im Spielfilm „Contact“, wo die Hauptfigur Ellie Arroway (angelehnt an die SETI-Forscherin und spätere Leiterin des SETI-Instituts Jill Tarter) an ihrem SETI-Projekt arbeitet. Als ihr die Fördermittel gestrichen werden, erhält sie unverhofft Mittel von einem Großindustriellen, kann weitermachen und empfängt schließlich tatsächlich das Signal einer außerirdischen Intelligenz. Die realen amerikanischen SETI-Programme werden bereits seit 1993 nicht mehr aus Steuergeldern, sondern ausschließlich aus privaten Mitteln und Spenden finanziert, zuletzt durch den russischen Milliardär Juri Borissowitsch Milner unter dem Programmnamen „Breakthrough Listen“. Nur China leistet sich noch ein SETI-Projekt aus staatlichen Mitteln, welches das neue FAST-Radioteleskop einsetzt. Anders als im Film hat jedoch weder Arecibo noch ein anderes Radioteleskop bisher ein unzweifelhaft künstliches Signal einer außerirdischen Zivilisation aufspüren können, wobei allerdings bisher auch nur ein kleiner Bruchteil aller Frequenzen und Sterne untersucht werden konnte.

1981 gelangen Arecibo die ersten Radarbilder der Venusoberfläche, die mit heutiger Technik zuletzt eine Auflösung von nur wenigen Kilometern erreicht haben. Die eingesetzte Technik ähnelt eher der Ultraschallortung von Fledermäusen oder Delfinen als der Abbildung durch einen Kamerasensor: Das planetare Radar nutzt zum einen die Laufzeitunterschiede zwischen näheren und entfernteren Orten auf dem Planeten und zum anderen den Dopplereffekt durch die Rotation. Ein scharfer Radarpuls kommt zeitlich gestreckt zurück, denn der Außenrand des Planeten ist weiter von der Erde entfernt als sein Zentrum. Zuerst kommt also das Echo aus der Mitte der Planetenscheibe zurück und danach das Summensignal eines sich ausbreitenden Rings auf der Venusoberfläche, auf dem alle Punkte dieselbe Entfernung zur Erde haben.

Da sich der Planet dreht, ist das reflektierte Signal auf der uns näherkommenden Seite jedoch ein wenig hochfrequenter als das Signal der sich entfernenden Seite, wobei die Frequenzverschiebung am Äquator am größten ist. Zeichnet man den Signalpegel über die Frequenz und die Zeit auf, so kann man daraus ein Bild generieren. Allerdings sind Nord- und Südhälfte zunächst nicht unterscheidbar, ihre Signale überlagern sich zu gleichen Laufzeiten und bei gleichen Frequenzen. Erst durch die Kombination zahlreicher Messungen mit verschiedenen Neigungen der Venusachse in Bezug zur Erde kann man die beiden Hemisphären auseinander dividieren. Die folgenden Aufnahmen wurden vom Green Bank Radioteleskop aufgenommen, wobei Arecibo den Radar-"Scheinwerfer" lieferte.

Dieses Radarbild wurde 2012 gemeinsam vom Green-Bank-Radioteleskop und dem Arecibo-Teleskop aufgenommen. Arecibo arbeitete hier als Radarsender und Green Bank als Empfänger. Es handelt sich nicht um eine optische Abbildung, sondern das Bild wird aus den Laufzeitunterschieden für verschieden weit entfernte Orte auf dem Planeten und der Dopplerverschiebung des Empfangssignals aufgrund seiner Rotation synthetisiert. Die von den Teleskopen erreichte Auflösung liegt bei 1 km in der Laufzeitachse und 3 km in der Doppler-Achse.

(Bild: B. Campbell, Smithsonian, et al., NRAO/AUI/NSF, Arecibo, NRAO, CC BY 3.0)

Die ersten Planeten außerhalb des Sonnensystems entdeckte kein optisches Teleskop und kein Weltraumteleskop, sondern das Radioteleskop in Arecibo. Am 9. Februar 1990 entdeckten Aleksander Wolszczan und Dale Frail den 2300 Lichtjahre entfernten Pulsar PSR B1257+12 mit dem Arecibo-Teleskop und verfolgten in den darauf folgenden Monaten, wie sich seine Periode aufgrund des Dopplereffekts zyklisch veränderte, ähnlich wie beim Hulse-Taylor-Pulsar, jedoch mit viel kleinerer Amplitude. Anders als beim Hulse-Taylor-Pulsar wurde PSR B1257+12 nicht von einer großen Masse begleitet, sondern von zwei nur rund 4 Erdmassen leichten Objekten, bei denen es sich folglich um Planeten handeln musste. 1994 fanden sie noch einen dritten Planeten mit nur 2 Mondmassen. 1992 veröffentlichten Wolszczan und Frail ihre legendäre Arbeit und kamen den Astronomen zuvor, die auf der Suche nach konventionellen Planeten waren, welche einen gewöhnlichen Stern wie die Sonne umkreisen. Sie hinterließen ratlose Wissenschaftler, die sich bis heute den Kopf darüber zerbrechen, wieso ein Pulsar überhaupt Planeten haben kann.