Nebenkostenprivileg: "Die Cash-Cow der Kabelnetzbetreiber schlachten"
Die Novelle des Telekommunikationsgesetzes hängt im Kabinett. Ein Streitpunkt unter vielen: Das Nebenkostenprivileg für Kabelanschlüsse.
Die geplante Novelle des Telekommunikatonsgesetzes (TKG) ist weiterhin umstritten – und das auch innerhalb der Bundesregierung. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) haben ihre Pläne zwar schon der Presse vorgestellt, abgestimmt ist der Entwurf innerhalb des Kabinetts aber noch nicht. Nach Informationen von heise online melden das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundesministerium für Justiz (BMJ) noch Klärungsbedarf an. Ein Streitpunkt ist das sogenannte "Nebenkostenprivileg" für Kabelanschlüsse.
Ăśber 12 Millionen Haushalte betroffen
Laut den bisher bekannten Plänen will die Bundesregierung die Möglichkeit abschaffen, dass ein Vermieter die Kosten eines Kabelanschlusses mit den Nebenkosten der Wohnung abrechnet. Die Regelung wurde in den 1980er Jahren eingeführt, um den Ausbau von Kabelfernsehen zu beschleunigen. Hausbesitzer und Wohnungsbaugesellschaften rechnen den Kabelanschluss auf Grundlage sogenannter Gestattungsverträge mit den Kabelnetzbetreibern ab, die lange Laufzeiten von 10 Jahren oder mehr haben, und legen die Kosten mit der Betriebskostenabrechnung auf die Mieter um. 12,5 Millionen der rund 17,5 Millionen Kabelhaushalte rechnen laut Branchenangaben die Anschlusskosten so ab.
Mieter bekommen Kabel-TV im sogenannten "Sammelinkasso"" einerseits günstiger als direkt beim Anbieter, müssen aber andererseits einen Anschluss bezahlen – ob sie ihn nun nutzen oder nicht. Verbraucherschützer kritisieren schon länger, dass dadurch die Wahlmöglichkeit von Mietern eingeschränkt wird, sich frei für eine Empfangsvariante und eine Anschlusstechnologie zu entscheiden. Zudem sei die Abrechnung der Anschlusskosten mit den Nebenkosten ein Langzeitvertrag über Telekommunikationsdienste, den es laut geltendem Recht eigentlich nicht geben darf.
Das "Nebenkostenprivileg" – der Begriff wurde maßgeblich von den Marktkräften geprägt, die es loswerden wollen – ist ein politisches Erbe aus analoger Vorzeit. Als die Deutsche Bundespost in den 1980er Jahren mit dem Ausbau des Kabelnetzes begann, ging es vor allem um besseren Fernsehempfang und mehr Sender. Anfang der 1980er Jahre gab es in Deutschland drei Fernsehprogramme, die über Antenne empfangen wurden. Damit auch Hausbesitzer mitziehen und die Verkabelung im Haus ausbauen, sollten die Kosten dafür auf die Miete umgelegt werden können.
Im Wettbewerb mit IPTV und Streaming
Der Kabelanschluss steht bei der Fernsehverbreitung heutzutage im Wettbewerb mit IPTV, Satelliten-TV und terrestrischem Fernsehen (DVB-T), das in Deutschland von einer Tochter der Freenet AG ausgestrahlt wird. Die Monopolkommission als Berater der Bundesregierung in Wettbewerbsfragen sieht in der Abrechnung des Kabelanschlusses mit der Miete deshalb eine "Wettbewerbsbeschränkung", die den "Markteintritt für Anbieter alternativer Übertragungsmöglichkeiten, wie etwa IPTV-Anbieter, erschwert" habe – und spricht sich klar "für eine Abschaffung des Nebenkostenprivilegs" aus.
Für den Gründer der IPTV-Plattform Waipu.tv ist das Nebenkostenprivileg ein gutes Beispiel für die Versäumnisse Deutschlands bei der Digitalisierung. "Es ist ein Relikt der analogen 80er Jahre, das im Jahre 2020 zwar immer noch für immense Gewinne der Kabelunternehmen sorgt, aber gleichzeitig den Wettbewerb mit digitalen IPTV-Plattformen unterbindet", kritisiert Christoph Bellmer. Die Abschaffung würde "nicht nur die TV-Versorgung für Millionen Haushalte immens verbessern, sondern auch die Kosten für die Mieter deutlich reduzieren". Bellmer verweist auf eine Umfrage unter Waipu.tv-Nutzern, derzufolge 35 Prozent parallel noch einen Kabelanschluss bezahlen – und das zumeist, weil er nicht gekündigt werden kann.
Fernsehkabelnetz der Deutschen Bundespost
Bis zur Jahrtausendwende gehörte das deutsche Kabelnetz der Telekom. Die EU-Kommission sah die Chance, mit der Digitalisierung des TV-Kabels mehr Wettbewerb auf dem von ehemaligen Staatsbetrieben dominierten Telekommunikationsmarkt zu schaffen. Brüssel forderte deshalb, das Kabelnetz solle in eine eigenständige Gesellschaft ausgelagert werden. Um sich nicht selbst einen schlagkräftigen Konkurrenten vor die Nase zu setzen, zerschlug die Telekom das deutsche Kabelnetz in zahlreiche kleine Regionalgesellschaften und verkaufte sie an Investoren.
Konkurrent fĂĽr VDSL
Heute ist ein Großteil der deutschen Kabelnetze wieder unter einem Dach – bei Vodafone. Das TV-Kabel ist mit rund 17,5 Millionen angeschlossenen Haushalten inzwischen ein enorm wichtiges Medium für schnelles Internet und die größte Konkurrenz für das Festnetz der Telekom. Die Kabelnetzbetreiber liefern nominelle Bandbreiten, bei denen VDSL-Vectoring auch preislich nicht mehr mithalten kann. Es ist deshalb nicht überraschend, dass sich die Telekom vehement für die Abschaffung der "Zwangsabgabe für ein Fernseh-Kupferkabel aus dem letzten Jahrhundert" einsetzt, wie es ein Sprecher formuliert. In Branchenkreisen gilt es als offenes Geheimnis, dass das BMWi die Streichung des Nebenkostenprivilegs nach massiver Lobby-Arbeit der Telekom in die TKG-Novelle aufgenommen hat.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Telekom dabei ausgerechnet mit dem Glasfaserausbau argumentiert, den sie selbst gerne da behindert, wo er ihr in die Quere kommt: "Wir begrüßen die vorgesehene Abschaffung des Nebenkostenprivilegs, denn dieses Relikt aus den 80er Jahren gehört zu den größten Hindernissen für einen schnelleren Glasfaserausbau." Ganz anders sehen das die Wettbewerber der Telekom und erwarten eher positive Effekte: Denn das noch geltende Nebenkostenprivileg ist per Gesetz technologieneutral. So können davon auch Immobilienbesitzer profitieren, die ihre Hausanlage fit für FTTH/B machen wollen.
FĂĽr Glasfaser-Ausbau nutzen
Deshalb spricht sich der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) auch dagegen aus, die Umlagefähigkeit über die Betriebskosten jetzt kurzerhand abzuschaffen. "Anstatt sie zu streichen, sollte man sie aber besser modernisieren und zu einer Triebfeder für den Ausbau zukunftsfähiger digitaler Infrastruktur machen, indem man die Umlagefähigkeit an neue Investitionen in Glasfasernetze bis in die Gebäude und Wohnungen koppelt", schlägt Breko-Chef Stephan Albers vor. Der Breko will das Instrument zur Förderung von Glasfaser und Open-Access-Netzen einsetzen, aber auch nicht in alle Ewigkeit festschreiben. Die bestehenden Gestattungsverträge sollten aber über ihre Laufzeit unbedingten Bestandsschutz genießen, fordert der Verband.
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Das wäre ein Kompromiss, mit dem auch der FDP-Digitalexperte Manuel Höferlin leben kann. "Leider findet der Gigabit-Ausbau auch auf den letzten Metern noch viel zu schleppend statt", erklärt der Bundestagsabgeordnete gegenüber heise online. Auch Höferlin ist dagegen, die Umlagefähigkeit jetzt sofort einzustampfen. "Es wäre eine vertane Chance, das Nebenkostenprivileg einfach nur abzuschaffen. Stattdessen braucht es ein Upgrade mit einem Investitionsanreiz für die Inhaus-Versorgung", sagt der Oppositionspolitiker. "Umlagefähig sollen meiner Meinung nach zukünftig nur noch gigabitfähige Anschlüsse sein. Ein Bestandsschutz für bestehende Mietverträge ist obligatorisch."
"Echte Wahlfreiheit? Fehlanzeige!"
Der bisher bekannte Entwurf der TKG-Novelle sieht eine fünfjährige Übergangsfrist für bestehende Verträge vor. Deren üblicherweise deutlich längere Laufzeiten machen es den Netzbetreibern leicht, zu kalkulieren. Rund drei Viertel aller Kabelanschlüsse sind über Jahre fest vermarktet, sorgen für einen stetigen Cashflow und können nicht gekündigt werden. Dass das ein bisschen planwirtschaftlich anmutet, muss jetzt auch als Argument für die Abschaffung der Umlagefähigkeit herhalten. Der EU-Kodex für Telekommunikation sieht vor, dass Vertragslaufzeiten für Telekommunikationsdienste zunächst nicht länger als 24 Monate sein dürfen und danach jährlich gekündigt werden können.
Wegen der Laufzeiten sind die Gestattungsverträge den Verbraucherschützern ein Dorn im Auge. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) will sich nicht festlegen, solange der Entwurf noch im Kabinett gärt, verweist aber – wie andere Kritiker des Nebenkostenprivilegs auch – auf einen Beitrag von Michael Gundall von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Verbraucher hätten keinen Einfluss auf die Auswahl des Netzbetreibers, kritisiert Gundall darin: "Echte Wahlfreiheit? Fehlanzeige!". Es sei an der Zeit, "dass die 'CashCow' der Kabelnetzbetreiber zur Schlachtbank geführt" werde. Die Netzbetreiber halten dagegen, dass die Laufzeitregelungen im EU-Kodex für Kundenverträge gelten und nicht für die Gestattungsverträge mit der Immobilienwirtschaft.
Wäre eine Abschaffung "in hohem Maße unsozial"?
Aber auch die Wohnungswirtschaft spricht sich gegen die Abschaffung des "bewährten" Umlagesystems aus, das für alle Beteiligten Vorteile habe. Mieter können modernes Fernsehen zu "Großhandelspreisen" beziehen, die derzeit deutlich unter 10 Euro liegen. Vermieter müssen darüber nicht monatlich mit ihren Mietern abrechnen. Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) betont auch, dass die Umlagefähigkeit wichtige Impulse für die Digitalisierung setze, weil sie Immobilienbesitzern eine solide Grundlage für teils dringend benötigte Investitionen in die Hausverkabelung böte.
Mit der Miete zahlt das Amt
Nicht zuletzt warnt der GdW, dass die Abschaffung zu deutliche höheren Kosten für Mieter führen dürfte. Das sei vor allem für die rund 3 Millionen Haushalte, die von Transferleistungen leben, ein Problem. Denn "das Amt" könne die Kosten für einen Kabelanschluss nur übernehmen, wenn er Teil der Mietkosten ist. Auch die Kabelnetzbetreiber entdecken in der Debatte plötzlich ihre soziale Verantwortung und argumentieren gerne mit den Folgen, die eine Abschaffung des Nebenkostenprivilegs für sozial schwache Haushalte hätte.
"Neben der Behinderung des Breitbandausbaus wäre eine Abschaffung der Umlagefähigkeit auch in hohem Maße unsozial", erklärt Thomas Braun, Präsident des Kabelverbands ANGA. "Bei der gebündelten TV-Versorgung über den Vermieter werden die damit verbundenen Betriebskosten als Teil der Wohnkosten von der Bundesagentur für Arbeit oder dem Sozialhilfeträger zusätzlich zum Regelsatz erstattet. Die jetzt vorgeschlagene Änderung hätte zur Folge, dass die Empfänger von Arbeitslosengeld II oder von Grundsicherung die Kosten künftig aus dem Regelsatz zahlen müssten. Das kann für sie zu Mehrbelastungen von über 200 Euro pro Jahr führen."
Ganz von der Hand zu weisen ist das Argument nicht. Vodafone zum Beispiel berechnet für den nackten TV-Anschluss rund 19 Euro im Monat. Ohne die Umlagefähigkeit müssten die betroffenen 3 Millionen Haushalte den Anschluss selbst beauftragen und die Kosten aus dem Regelsatz tragen. Das entlastet dann zwar die Kommunen, die für die Mietkosten aufkommen, müsste möglicherweise beim Regelsatz berücksichtigt werden, der aus Steuermitteln vom Bund finanziert wird.
Auch die Sozialverbände kennen das Problem. Andererseits sehen sie auch die Chance auf eine Entlastung der vielen sozial schwachen Mieter, wenn der Zwang zum Anschluss fällt. Es dürfte diesem Dilemma geschuldet sein, dass sich die Sozialverbände in der Debatte bisher eher bedeckt halten. Aus dieser Ecke können Telekommunikationsriesen und Immobilienwirtschaft offenbar keine Solidarität erwarten.
Noch keine Einigung im Kabinett
Der Streit über das Nebenkostenprivileg ist ein Grund, warum die TKG-Novelle noch im Kabinett hängt. Eigentlich sollte die sogenannte "Ressortabstimmung" schon in der ersten Augustwoche fertig sein und den Verbänden zur Konsultation zugegangen sein, dann hieß es Ende August. Passiert ist aber bisher nichts. Das hat BMWi und BMVI aber nicht davon abgehalten, ihre Pläne schon mal der Presse vorzustellen, was in Verbandskreisen für einigen Unmut sorgte.
Die Ministerien wollen wie üblich nicht sagen, worüber sie noch streiten. Dem Vernehmen passt dem Innenministerium nicht, dass die TKG-Novelle mit der geplanten Abschaffung ins Mietrecht eingreift. Deswegen würde das BMI aber keinen Kompromiss platzen lassen, meint ein Brancheninsider. Und dem BMJV gehen die Vorgaben für Vertragslaufzeiten im aktuellen TKG-Entwurf offenbar nicht weit genug. Bisher ist eine Erstlaufzeit von zwei Jahren für Kundenverträge vorgesehen, das Verbraucherschutzressort meint, das 12 Monate reichen.
Es wird interessant, wie das Kabinett die internen Konflikte auflöst. Doch wird das nicht das Ende der Debatte sein. Wenn sich die Ministerien geeinigt haben, soll der Entwurf dann im Eiltempo durch die Konsultation mit den betroffenen Verbänden und Organisationen. Das TKG betrifft viele Interessengruppen, nicht nur beim Kabelanschluss – auch das Sicherheitspaket für 5G-Netze hängt an der TKG-Novelle. Das Gezerre wird also weitergehen.
(vbr)