Neue Sensoren ermitteln, warum Babies so viel schlafen

Die Beobachtung der Gehirne von Neugeborenen im Schlaf gibt Aufschluss darüber, wie sie lernen.

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(Bild: paulaphoto/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou

Kleinkinder brauchen mehr Schlaf als Erwachsene. Das ist zwar hinreichend bekannt, doch wissenschaftliche Erklärungen dafür gibt es bislang nur wenige. Nun könnte eine neue Technologie etwas mehr Licht in dieses Geheimnis zu bringen – und zudem erklären, was in dem sich schnell entwickelnden Gehirn eines Neugeborenen vor sich geht.

"In der Zeit nach der Geburt entwickelt das Gehirn neue Verbindungen mit einer Geschwindigkeit von etwa einer Million Synapsen pro Sekunde", sagt Topun Austin, Neonatologe am Cambridge University Hospitals NHS Foundation Trust in Großbritannien. Man geht davon aus, dass diese Verbindungen Babys helfen, die Welt um sie herum zu begreifen. Viele von ihnen werden später wieder abgebaut. Doch in den ersten Lebenswochen eines Babys werden entscheidende Weichen für das ganze Leben gestellt.

Bislang wurde Hirnforschung an Kleinkindern häufig mithilfe von Elektroenzephalografie (EEG) durchgeführt: Die Neugeborenen bekommen dabei eine Kappe mit Elektroden aufgesetzt, um die elektrische Gehirnaktivität zu untersuchen. Diese Form der Bildgebung bietet jedoch nur eine geringe räumliche Auflösung, sodass es schwierig ist, genau festzustellen, welche Gehirnregionen zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv sind.

Eine zweite Möglichkeit ist es, Babys in MRT-Scanner zu stecken, die den Blutfluss im Gehirn messen können, durch die sogenannte Perfusionsbildgebung. Doch die Scanner sind nicht nur laut, sie verlangen von der Person, die gescannt wird, auch nahezu perfekte Stille. Man kann verstehen, weshalb diese Kombination bei Babys nur zu mäßig erfolgreichen Messergebnissen führt.

Topun Austin und Julie Uchitel, ehemalige Doktorandin an der Universität Cambridge und jetzt Medizinstudentin an der Stanford University, haben gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen eine dritte Möglichkeit entwickelt. Das Team verwendet eine Kappe, in die Lichtquellen und Sensoren eingebettet sind. Zusammen können diese Komponenten den Blutfluss im Gehirn auf die gleiche Weise messen wie ein Pulsoximeter, das man sich in einer Arztpraxis an den Finger klemmt, um den Puls und die Sauerstoffsättigung zu messen.

Ähnliche Techniken wurden schon früher zur Untersuchung des Gehirns eingesetzt, aber sie nutzten eine Kappe mit mehreren Glasfaserkabeln, was das Gerät schwer und somit kaum geeignet für Neugeborene macht. Das neue Gerät dagegen macht sich kürzlich entwickelte Sensormodule zunutze, die jeweils mehrere Lichtquellen und Detektoren enthalten. Austins Team hat zwölf dieser Kacheln in eine für Neugeborene geeignete Kappe eingepasst, die über ein einziges Kabel mit einem Computer verbunden ist. Das daraus resultierende System ermögliche eine Aufnahme des Gehirns "mit mindestens der zehnfachen Auflösung des [früheren] Glasfaserkabelsystems", sagt Austin.

In einer kürzlich in der Fachzeitschrift "NeuroImage" veröffentlichten Studie fragte das Team um Austin und Uchitel frischgebackene Eltern, ob die Forschenden ihre Babys überwachen könnten, während sie noch auf der postnatalen Station eines Krankenhauses lagen. "Es ist wie eine kleine Badekappe – die Babys scheinen sehr glücklich zu sein, wenn sie aufgesetzt ist", sagt Austin. Das Team zeichnete die Gehirnaktivität von insgesamt 28 Neugeborenen auf, während diese schliefen.

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Babys durchlaufen zwei Schlafphasen: Auf eine aktive Phase, die von Zuckungen und Grimassen begleitet wird, folgt eine ruhige Phase, in der das Baby sehr still ist. Das Team filmte alle Babys, während ihre Gehirne überwacht wurden, sodass sie später herausfinden konnten, in welcher Schlafphase sich jedes Baby gerade befand.

Als Austin und sein Team später Schnappschüsse der Aufnahmen analysierten, stellten sie Unterschiede im Gehirn während des aktiven und des ruhigen Schlafs fest. Während des aktiven Schlafs, wenn die Babys unruhiger waren, schienen die Synapsen in den Hirnregionen in der linken und rechten Hemisphäre zur gleichen Zeit und auf die gleiche Weise zu feuern. Dies deutet darauf hin, dass sich im gesamten Gehirn neue, lange Verbindungen bilden, sagt Austin. Während des ruhigen Schlafs dagegen scheint es, als ob sich mehr kurze Verbindungen innerhalb der Gehirnregionen bilden.

Es ist nicht klar, warum das so ist, aber Austin hat eine Theorie. Er glaubt, dass Schlaf in der aktiven Phase wichtiger ist, um das Gehirn darauf vorzubereiten, eine bewusste Erfahrung zu machen: zum Beispiel, um einen bestimmten Menschen zu erkennen und nicht nur als eine Reihe von Klecksen aus Farbe und Textur wahrzunehmen. Um dies zu erreichen, müssen verschiedene Gehirnregionen zusammenarbeiten.

Die kürzeren Verbindungen, die während des ruhigen Schlafs hergestellt werden, dienen wahrscheinlich der Feinabstimmung der Arbeitsweise einzelner Hirnregionen, sagt Austin: "Im aktiven Schlaf baut man ein Bild auf, und im ruhigen Schlaf verfeinert man die Dinge".

Je mehr wir über die Funktionsweise des gesunden Gehirns von Neugeborenen wissen, desto besser können wir Babys helfen, die zu früh geboren werden oder die schon früh im Leben Hirnschäden erleiden. Austin hofft auch, mehr darüber zu erfahren, was die einzelnen Schlafphasen für das Gehirn bewirken können. Wenn wir erst einmal besser verstehen, was das Gehirn tut, können wir vielleicht herausfinden, wann es am sichersten ist, das Baby zu wecken, zum Beispiel zum Stillen oder um das Fläschchen zu geben.

Austin stellt sich eine Art Ampelsystem vor, das in der Nähe eines schlafenden Babys angebracht werden könnte. Ein grünes Licht könnte signalisieren, dass sich das Baby in einem Zwischenschlafzustand befindet und geweckt werden kann. Ein rotes Licht hingegen könnte anzeigen, dass es besser ist, das Baby weiterschlafen zu lassen, weil das Gehirn gerade einen wichtigen Prozess durchläuft.

(jle)