City-Sensoren mit Open Source: Chicagos Umweltdaten-Sensoren für andere Orte

Das "Array of Things" entstand in Chicago und soll nun auch in anderen Städten Atmosphärendaten, Erdbeben und andere Geoinformationen erfassen.

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(Bild: UChicago/UrbanCCD)

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Von
  • Christian Elliott
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Es begann am Tisch eines deutschen Restaurants in Chicago: Im "Berghoff" in der Innenstadt zeichnete Charlie Catlett im Jahr 2012 fieberhaft eine Software-Architektur auf eine Serviette. Catlett, damals leitender Informatiker am Argonne National Laboratory, hatte mit Wissenschaftlern der US-Umweltschutzbehörde kooperiert, um die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Einwohner von Städten zu verstehen.

Allerdings fühlte er sich von den mangelhaften Daten der Behörde eingeschränkt. Denn in der gesamten Metropole gab es nur ein Dutzend Luftqualitätssensoren. Catlett träumte von etwas viel Größerem: einem ausgedehnten Netz kostengünstiger Sensoren, die alles messen könnten – von städtischen Wärmeinseln bis zur Lärmbelastung.

Der Zeitpunkt war günstig – Chicago war dabei, 300.000 neue Straßenlaternen aufzustellen, perfekte Standorte für Catletts "Fitness-Tracker für die Stadt", wie er es scherzhaft nannte. In den nächsten zehn Jahren brachte Catletts "Array of Things"-Initiative (AoT), wie er das Projekt nannte, Wissenschaftler, Anwohner und Regierungsbehörden zusammen, um den Sektor der City-Sensoren neu zu denken. Dafür gab es von der National Science Foundation 12 Millionen US-Dollar dazu.

Das technische Ergebnis ist ein absichtlich auffälliges Gerät, das wie vier große weiße Rührschüsseln aussieht, die übereinandergestapelt sind – nur falsch herum. Darin befinden sich Kameras und ein Mikrofon – und, besonders wichtig, Sensoren für Feuchtigkeit, Vibration, Magnetfelder, Temperatur, Luftverschmutzung und Luftdruck.

(Bild: UrbanCCD)

Jeder Knotenpunkt im gesamtem Netzwerk des Array of Things ist intern mit einer Nvidia-Grafikkarte (GPU) ausgestattet, um KI-Berechnungen an den Daten vor Ort durchzuführen und nur die interessantesten Informationen an die Zentrale weiterzuleiten – eine Form des Edge Computing. Um die Privatsphäre der Menschen zu schützen, sind die Knoten so konzipiert, dass sie nur vorübergehend installiert werden müssen. "Ich möchte nicht, dass Edge Computing flächendeckend in der Stadt eingesetzt wird und dass überall, wo man hingeht, eine Kamera ist, die das analysiert, was man tut", sagt Catlett. "Das wäre für mich eher dystopisch." Er glaubt, dass sein Gerät der Diagnose dient. "Man setzt seine Fähigkeiten für einen bestimmten Zweck ein und zieht es dann wieder ab."

Zwischen 2016 und 2019 hat das Team 140 AoT-Knoten an Straßenlaternen in Chicago angebracht. In einem partizipativen Prozess arbeiteten das Team in Argonne mit lokalen Universitäten und den Bürgern Chicagos sowie städtischen Behörden zusammen, um zu entscheiden, wo die Sensoren angebracht werden sollten.

Dutzende von Studien haben seitdem die Sensordaten ausgewertet. Die Knotenpunkte wurden eingesetzt, um die Sicherheit von Bahnübergängen zu bewerten, die Nutzung von Fußgängerüberwegen zu überwachen und Überschwemmungen entlang des Chicago River rechtzeitig zu erkennen. Kathleen Cagney, eine Projektmitarbeiterin und Leiterin des Instituts für Sozialforschung an der University of Michigan, nutzte Umweltdaten der Sensoren für eine Studie über die öffentliche Gesundheit in der Stadt und stellte fest, dass die Asthma-Raten tatsächlich dort höher sind, wo die Sensoren mehr Luftverschmutzung erfassten.

Catletts Team hat sich seither auch mit weniger komplexen Projekten beschäftigt. So haben er und seine Kollegen im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit Microsoft Research 115 kostengünstige, solarbetriebene Luftqualitätssensoren an Bushaltestellen in der ganzen Stadt installiert. Die daraus resultierenden Daten zeigten Verschmutzungsschwerpunkte in der Nähe von Industriekorridoren in Chicagos South Side und der West Side in noch nie dagewesener Auflösung. Umwelt- und Bürgerinitiativen setzen die Stadt nun unter Druck, ihre Politik zu ändern. Das Team plant, in den kommenden Jahren Tausende von Luftqualitätssensoren zu installieren.

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Das Array of Things wird durch ein Projekt namens SAGE mittlerweile auch über Chicago hinaus verwendet. Im Gegensatz zu anderen City-Sensoren, die in der Regel proprietär sind, erlaubt SAGE, ein Upgrade der bisherigen Technik, jedem Software für die Knoten zu schreiben, die hochauflösende Hyperspektralkameras, LIDAR und Audioaufzeichner enthalten. Laut Catlett tritt das Team jetzt in die Nutzungsphase ein.

Bis Ende des Jahres sollen 50 der 10.000 Dollar teuren Knoten in Chicago installiert werden und die bisherigen Array-of-Things-Knoten der früheren Generation ersetzen. Mehrere Dutzend wurden bereits in Südkalifornien zur Erkennung von Waldbränden und landesweit auf Türmen zur Analyse von Wetter und Klimawandel eingesetzt. Die National Science Foundation will 80 Stück anschaffen, einen für jeden ihrer Türme des "National Ecological Observatory Network".

Der Bundesstaat Oregon will wiederum 100 SAGE-Einheiten zur Erkennung von Erdbeben einsetzen – und auch die australische Wissenschaftsbehörde CSIRO hat eine Bestellung aufgegeben. Die Bibliothek der Open-Source-Anwendungen für das System, die auf GitHub verfügbar ist, wächst ständig und umfasst Programme zur Identifizierung von Vögeln anhand ihres Gesangs oder zur Klassifizierung von Trichterwolken anhand von Videobildern. Der "Fitness-Tracker für die Stadt" ist damit jetzt weltweit verfügbar – genau rechtzeitig, um unsere sich verändernde Welt zu studieren.

(bsc)