Quantenradieren wider den Zeitstrom (Teil 1): UnergrĂĽndliche Wege der Photonen

Seite 2: Doppelspaltversuch

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Erst 100 Jahre später, im Jahr 1801, konnte der Brite Thomas Young anhand des von ihm erstmals durchgeführten Doppelspaltversuchs die Wellennatur des Lichts eindeutig belegen, und damit war die Frage "Welle oder Teilchen?" für das folgende Jahrhundert geklärt. Newtons Argumente waren nichtig, weil die Wellenlänge des Lichts viel kleiner war, als er es sich hatte vorstellen können. Aus der Geometrie des Doppelspaltversuchs konnte Young bestimmen, dass Lichtwellen circa einen halben Mikrometer lang sind (ca. 400 - 700 nm), sodass in einem Millimeter rund 2000 Wellenzüge nebeneinander passen.

Die Teilchentheorie kam jedoch im frühen 20. Jahrhundert mit Wucht zurück, als kein Geringerer als Albert Einstein 1905 erstmals den schon 1887 von Heinrich Hertz nachgewiesenen photoelektrischen Effekt erklären konnte, wofür Einstein seinen einzigen Nobelpreis erhielt (nicht etwa für seine im Rückblick viel bedeutsamere Relativitätstheorie).

Beim photoelektrischen Effekt kann Licht Elektronen aus einer metallischen Oberfläche herausschlagen, aber nur, wenn es genug Energie mitbringt. Langwelliges, sichtbares Licht hat bei keiner noch so hohen Beleuchtungsstärke genug Energie, um Elektronen freizusetzen, sondern nur ultraviolettes Licht mit deutlich kürzerer Wellenlänge, und dies schon bei geringer Intensität. Einstein erklärte dies damit, dass Licht aus kleinen Paketen von Energie, sogenannten "Quanten" (Plural von Quantum, die Menge), bestehe. Nur wenn ein Quantum mit ausreichendem Energiegehalt auf ein Elektron in einem der Atome des Metalls trifft, reicht diese Energie aus, um es aus dem Atom herauszuschlagen. Nur die Quanten des ultravioletten Lichts konnten auf einen Schlag genug Energie an ein Elektron abgeben, sodass es sich aus der äußeren Schale seines Atoms lösen konnte. Noch so viele Photonen längerer Wellenlänge mit jeweils geringerer Energie haben keinen Effekt, denn das Elektron kann ihre Energie nicht ansammeln.

Die Energie eines in einem Atom befindlichen Elektrons steckt (vereinfacht gesagt) in der Schale des Atoms, in der es sich aufhält, und davon gibt es nur eine diskrete Anzahl. Wenn die Energie eines Photons einem Elektron auf der äußeren Schale nicht ausreicht, diese zu verlassen, dann lässt es das Photon unbehelligt passieren. Erst wenn die Energie des Photons größer ist als die Bindungsenergie des Elektrons, kann es das Photon aufnehmen und diese Energie als Ticket zur Freiheit einsetzen. Im photoelektrischen Effekt zeigen die Photonen als Überträger quantisierter Energiemengen, die sie an einem scharf lokalisierten Ort deponieren, ihre Teilchennatur.

Also, was ist Licht denn nun, Welle oder Teilchen? Die Antwort ist: Es kommt darauf an, welche der beiden Erscheinungsformen das durchgeführte Experiment in den Fokus nimmt. Solange man den Ort eines Photons nicht messtechnisch festnagelt, verhält sich Licht wie eine Welle und ist verschmiert über einen ausgedehnten Bereich. Es kann etwa einen Doppelspalt durchlaufen. Der Doppelspaltversuch funktioniert sogar, wenn man die Intensität der Lichtquelle so stark mindert, dass nur noch einzelne Photonen durch die Spalte gehen. Das Interferenzmuster ergibt sich dann bei einer Langzeitbelichtung aus der Summe vieler Photonen. Es sei nochmals daran erinnert, dass ein Photon, das durch einen einzelnen Spalt geht, kein Interferenzmuster verursacht, und daran ändert sich nichts, wenn man viele Photonen aussendet. Man könnte beispielsweise die Spalten abwechselnd verschließen, sodass immer genau einer offen ist; dann würden auch viele Photonen trotz Laufzeitunterschieden zum Detektor zwischen den Spalten kein Interferenzmuster erzeugen – wenn also ein Interferenzmuster entsteht, dann muss das Photon durch beide Spalten gegangen sein. Wenn Licht jedoch mit einem Teilchen interagiert, dann verhält es sich wie ein Teilchen und deponiert seine gesamte Energie in diesem einen Teilchen an einem scharf bestimmten Ort.

Auch Elektronen bilden ein Interferenzmuster, wenn man sie durch einen Doppelspalt schickt. In diesem Experiment von Tanamura et al. (Am. J. Physics 57, 117, 1989) wurden Elektronen einzeln durch einen Doppelspalt auf einen Leuchtschirm geschossen. Die Bilder zeigen das Ergebnis nach 200, 6000, 40000 und 140000 Elektronen.

(Bild: Wikimedia: Double-slit_experiment_results_Tanamura_four.jpg, Dr. Tonomura and Belsazar, CC-BY-SA-3.0)

Aber auch Elektronen oder andere Quantenobjekte, die gemeinhin als Teilchen betrachtet werden (Neutronen, Alphateilchen, Atomkerne und ganze Atome oder gar Moleküle), zeigen dieses Verhalten am Doppelspalt. Auch ein Elektron kann offenbar simultan durch zwei Spalte gehen. Selbst Neutronen oder Atomkerne scheinen beim Durchgang durch den Doppelspalt auf merkwürdige Weise verschmiert zu sein, obwohl ihre Dichte etwa der eines Neutronensterns entspricht – dichter kann man Materie nicht packen, ohne dass sie zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Auch solch massiven Teilchen spricht man in der Quantenphysik eine Wellennatur zu. Freilich keine "Elektronen-" oder "Neutronenwelle", sondern eine "Wahrscheinlichkeitswelle", die bestimmt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teilchen an einer bestimmten Stelle auf einem Detektor aufschlägt. Während Lichtwellen vertraut und über die oben genannten Experimente greifbar sind, ist die Natur der quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitswellen vollkommen unklar, aber sie sind mathematisch leicht zu beschreiben und eignen sich vorzüglich zum Rechnen. Der Quantenwelt ist manchmal nur mit Mathematik beizukommen.

Je massiver ein Quantenobjekt ist, desto kürzer ist seine Wellenlänge – bis sie in der makroskopischen Welt so klein wird, dass sie ihre Bedeutung verliert. Regentropfen oder Haustiere befinden sich im Rahmen der Messgenauigkeit niemals an mehreren Orten gleichzeitig und interferieren hinter keinem Doppelspalt mit sich selbst.