Große Nachfrage in den USA nach Medikament gegen RSV –​ Mangel droht

Eine neuer Wirkstoff namens Nirsevimab soll Kinder vor den schlimmsten Auswirkungen des RS-Virus schützen. Wenn er denn zu bekommen ist.

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(Bild: paulaphoto/Shutterstock.com)

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Von
  • Cassandra Willyard

Herbstzeit ist Erkältungszeit. In Deutschland dominieren nach dem jüngsten Wochenbericht des Robert Koch-Instituts neben den typischen Erkältungsviren derzeit vor allem Corona-Infektionen. Das bedeutet aber nicht, dass nicht noch eine weitere Welle mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) dazu kommen könnte. Die gute Nachricht: Inzwischen gibt es mehr Möglichkeiten, um vor allem Kinder vor einer Erkrankung zu schützen.

Dazu gehört ein neuer Wirkstoff namens Nirsevimab, der Babys und gefährdeten Kleinkindern vorbeugend verabreicht wird, um sie vor den schlimmsten Auswirkungen des RS-Virus zu schützen. In Deutschland ist der Antikörper seit September erhältlich, allerdings gibt es noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission und Unklarheiten bei der Kostenerstattung, weshalb die Impfung hierzulande schleppend verläuft.

Ganz andere Probleme gibt es in den USA: Dort hat die Gesundheitsbehörde vergangene Woche eine Warnung herausgegeben, in der sie Kinderärztinnen und Kinderärzten rät, die Dosen zu rationieren und sie für Säuglinge, die jünger als sechs Monate sind, und für Kleinkinder mit Grunderkrankungen zu reservieren. Die Situation ist für Eltern und Ärzte gleichermaßen frustrierend. "Wir wussten, dass es viele Hürden für die Einführung von Nirsevimab geben würde. Aber uns wurde vom Hersteller versichert, dass die Versorgung keine Hürde sei", sagte Sean T. O'Leary, Vorsitzender des Ausschusses für Infektionskrankheiten der American Academy of Pediatrics.

Die Nachfrage sei höher als erwartet, sagt Evan Berland, ein Sprecher des Pharmakonzerns Sanofi, der mit AstraZeneca eine Partnerschaft zur Entwicklung und Vermarktung des Medikaments eingegangen ist. Die Nachfrage habe selbst die optimistischsten Schätzungen gemessen an historischen Daten übertroffen. Aber warum gab es überhaupt eine solche Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage? Sollte die Vorhersage der Nachfrage nach solchen Wirkstoffen nicht relativ einfach sein, da man weiß, wie viele Kinder geboren werden und folglich als Empfänger in Frage kommen?

"Es ist eine ungewöhnliche Situation", sagt Michael Ganio, Senior Director of Pharmacy Practice and Quality beim Branchenverband der US-Apotheker. Nirsevimab sei das erste Medikament seiner Art, daher gebe es keine gute Vergleichsgrundlage. Hinzu komme, dass Babys, deren Mütter innerhalb von 14 Tagen nach der Geburt geimpft wurden, das Medikament nicht benötigen, was die Berechnungen zusätzlich erschwert.

Trotzdem sollte es keine große Überraschung sein, dass die Nachfrage hoch sein würde. Bei RSV handelt sich um einen der saisonalen Viren, die im Herbst und Winter Erkältungssymptome hervorrufen. Für Erwachsene bedeutet das eine laufende Nase, Halsweh, Husten, Kopfschmerzen. Aber bei Babys und älteren Menschen kann sie zu ernsthaften Erkrankungen führen. Jedes Jahr werden in den USA bis zu 80.000 Kinder unter fünf Jahren mit RSV ins Krankenhaus eingeliefert. Und schätzungsweise 100 bis 300 Kinder sterben daran.

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Letztes Jahr stiegen die RSV-Fälle in den USA im Herbst sprunghaft an (wie in Deutschland), so dass die Krankenhäuser überlastet waren und einige Staaten den Notstand ausriefen. Nirsevimab soll eine Wiederholung der Situation verhindern. Im August empfahl die Gesundheitsbehörde CDC die Behandlung für alle Säuglinge unter acht Monaten, die vor ihrer ersten RSV-Saison stehen, sowie für ältere Säuglinge und Kleinkinder bis zu 19 Monaten, die ein höheres Risiko einer schweren Erkrankung durch RSV haben.

Nirsevimab wird per Spritze verabreicht, ist aber streng genommen kein Impfstoff. Es handelt sich um einen im Labor hergestellten monoklonalen Antikörper, der etwa fünf Monate lang Schutz bietet, so lange dauert die RSV-Saison gewöhnlich. Der Antikörper bindet an das Virus und hindert es daran, Zellen zu infizieren, wodurch schwere Erkrankungen eingedämmt werden. In klinischen Studien verhinderte das Medikament im Vergleich zu einem Placebo 80 Prozent der RSV-bedingten Krankenhausaufenthalte und 90 Prozent der Einweisungen in die Intensivstation.

Deshalb war Emi Ithen so begeistert, dass ihre im März geborene Tochter Eliza Nirsevimab erhalten sollte. Ithen war besorgt über die Viren, die sich Eliza in der Kindertagesstätte einfangen könnte. RSV trifft kleine Kinder besonders hart, weil ihre Atemwege noch sehr klein sind. Es braucht also nicht viel Entzündung, um das Atmen zu erschweren. Doch als die Kinderärztin der Familie Mitte Oktober versuchte, das Medikament zu bestellen, konnte sie keines auftreiben.

Sanofi lehnte es ab, die Anzahl der bereits gelieferten Dosen, das Ausmaß des Defizits oder den Zeitplan für die Wiederauffüllung der Vorräte mit dem Medikament bekannt zu geben. Im Moment nimmt das Unternehmen keine neuen Bestellungen für die 100-Milligramm-Dosis an, die für Babys mit einem Gewicht von mehr als 11 Pfund bestimmt ist. Die 50-Milligramm-Dosis sei verfügbar, sagt Sprecher Evan Berland, sie sei aber für die kleinsten Säuglinge reserviert.

Die Herstellung monoklonaler Antikörper ist ein komplexer Prozess, der Bioreaktoren voller lebender Zellen erfordert, und die Herstellung weiterer Dosen wird Zeit in Anspruch nehmen. "Kliniker und Pflegepersonal sollten in diesem Winter mit einer begrenzten Versorgung rechnen", sagt Michael Ganio.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, Säuglinge vor RSV zu schützen, aber sie sind nicht für jeden geeignet. Schwangere können sich zwischen der 32. und 36. Schwangerschaftswoche selbst mit einem neuen Impfstoff namens Abrysvo immunisieren lassen. Sie geben die Antikörper, die sie erzeugen, an ihre Neugeborenen weiter.

Eltern können auch versuchen, einen monoklonalen Antikörper namens Palivizumab zu erhalten, der seit mehr als zwei Jahrzehnten eingesetzt wird. Er ist jedoch nur für Babys erhältlich, die zu früh geboren wurden oder andere Risikofaktoren aufweisen, die sie anfällig für eine schwere RSV-Infektion machen. Palivizumab hat auch andere Nachteile. Es muss in Form von fünf Spritzen über einen Zeitraum von fünf Monaten verabreicht werden, und es ist teuer: mehr als 1.000 US-Dollar pro Spritze. Nirsevimab kostet etwa 500 US-Dollar und erfordert nur eine einzige Dosis.

(jle)