Sag mir, wo Du bist!

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Ist ein Gerüst aus Geobildern erst einmal aufgestellt, lässt sich auch die Zeit als zusätzliche Dimension einbringen. Bei Microsofts Streetside-Anwendung innerhalb seiner Suchmaschine Bing sind aktuelle und historische Aufnahmen fotogrammetrisch – also räumlich exakt – aufeinandergelegt, sodass Nutzer zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her schalten können. Streetside deckt in den USA bislang 56 Ballungsgebiete ab, in denen zusammen fast die Hälfte der gesamten US-Bevölkerung lebt.

Anders als die Teams von Google Street View und Microsoft Streetside müssen neue Ortungsdienste wie Brightkite, Loopt, Foursquare und Gowalla nicht in die Welt hinausziehen, um Geodaten zu bekommen. Sie leben von der offenbar grenzenlosen Mitteilsamkeit ihrer Nutzer, die der Microblogging-Dienst Twitter salonfähig gemacht hat. Selbstverständlich sind auch die 59 Millionen täglich verschickten Twitter-Kurznachrichten ("Tweets") bereits mit Ortsangaben des Absenders codiert. Täglich wird die Twitter-Datenbank rund drei Milliarden Mal von anderen Webdiensten und Programmen angezapft, die unter anderem die Geo-Koordinaten der Tweets in Erfahrung bringen, um beispielsweise auf einer Karte anzuzeigen, wer gerade wo was zu welchem Thema twittert. Und auch Facebook mit seinen mehr als 400 Millionen registrierten Nutzern sitzt auf einem noch ungehobenen Schatz – und bastelt dem Vernehmen nach mit Hochdruck an einem eigenen Ortungsdienst.

Das beständige Prahlen der digitalen Generation mit der eigenen Mobilität – ein Kaffee hier, ein Meeting da und ein Film dort – haben Foursquare & Co. für das Marketing eingespannt. Sie erlauben ihren Mitgliedern, sich in Kneipen, Restaurants oder Läden "einzuchecken" und dem Rest der Welt – oder auch nur ihren Bekannten – den aktuellen Standort kundzutun. Große Firmen wie Starbucks oder The Gap, aber auch kleine Bars können Foursquare oder Loopt nun nutzen, um regelmäßigen Kunden Loyalitäts-Medaillen oder Rabatte anzubieten. In Deutschland etwa spendiert Vapiano, eine Gastronomie-Kette für italienisches Essen, seit Mitte Mai den Stammgästen unter den Foursquare-Nutzern einen Gratis-Kaffee.

Die nächste Evolutionsstufe der interaktiven Landkarten werden Videos sein, glaubt Microsoft-Manager Chris Pendleton, der als "Technologie-Evangelist" die Vorzüge von Bing Maps unter das Programmierervolk bringen soll. So wird die Video-Editier-Software im neuen iPhone 4 jeden Film automatisch georeferenzieren und auf Wunsch auch auf einer Landkarte einblenden. "In den nächsten paar Jahren werden Live-Kameras zunehmend in Karten eingebettet werden – ob es eine Straßenecke, eine chronisch verstopfte Autobahn-Abfahrt oder andere Dinge sind, die mich interessieren", prophezeit Pendleton.

Anschub könnten die Geovideos von einer neuartigen Kamera bekommen, die von der Firma Social Animal aus Los Angeles entwickelt wurde. Ihr Modell SA9 erzeugt die Bilder für eine Art virtuellen Spaziergang am Rechner. In dem knapp 40 Kilo schweren Gerät stecken neun hochauflösende Kameras, die ein 360-Grad-Video aufzeichnen. Ein Betrachter kann im laufenden Film schwenken, anhalten oder heranzoomen, um Details zu studieren. Diese Dioramen lassen sich nach Belieben mit ortsbezogenen Informationen über Restaurants oder den Check-ins von Freunden spicken – und wiederum in die Atlanten der großen Plattformen einpassen. "Wir verhandeln bereits mit mehreren Mapping-Diensten und Tourismusverbänden in aller Welt", berichtet Geschäftsführer Tyler Malin.

Auch Microsoft experimentiert mit sogenannten "Mash-ins", bei denen die Informationen aus völlig unterschiedlichen Webdiensten in eine Echtzeitkarte einfließen – Nachrichten von Freunden etwa, Verkehrsinformationen, Immobilienangebote oder Benzinpreise. "Die Karte wird zur neuen Arbeitsoberfläche, auf der die für mich relevanten Daten auftauchen", sagt Pendleton. Um die schnell wachsende Infoflut einzudämmen, lassen sich die gewünschten Informationen über einzelne Ebenen einblenden und zeitlich eingrenzen – ähnlich wie man heute den Posteingang in seinem E-Mail-Programm filtert.

Als Pfadfinder im sekündlich wachsenden Geodaten-Dschungel fungieren eine Reihe neuer Anbieter wie SimpleGeo, die den Datenfluss der Ortungsdienste aggregieren und aufbereiten. SimpleGeo verkauft Marketingfirmen und Entwicklern von Mobilprogrammen den Zugriff auf Datenbanken, in denen sie Milliarden von Koordinaten samt Kontext aus sozialen Diensten sowie die Rohdaten von Mobilnetzen bündeln, um bestehende und potenzielle Kunden zu verfolgen und anzusprechen. "Man kann jeden beliebigen Punkt markieren oder ein drei Quadratmeter großes Polygon über eine beliebige Straßenecke legen und Nutzerbewegungen darin verfolgen", erklärt SimpleGeo-Gründer Matt Galligan.