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Ortsdaten, mit Informationen verknüpft und auf interaktiven Online-Karten dargestellt, werden zur preiswerten Massenware im Web. Das hilft Nutzern, sich besser zurechtzufinden, ermöglicht aber auch deren Überwachung.

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Von
  • Steffan Heuer
Inhaltsverzeichnis

Ortsdaten, mit Informationen verknüpft und auf interaktiven Online-Karten dargestellt, werden zur preiswerten Massenware im Web. Das hilft Nutzern, sich besser zurechtzufinden, ermöglicht aber auch deren Überwachung.

Die Nachricht passte prima ins Feindbild: Googles "Street View"- Autoflotte fotografierte, wie Ende April herauskam, nicht nur Straßenzüge, sondern saugte nebenbei auch noch mehrere Terabyte privater Daten aus den WLAN-Netzen am Wegesrand ab – verknüpft mit den geografischen Positionen. Was in der allgemeinen Empörung über Googles Datenfeldzug unterging: Schon seit Jahren weben zahlreiche Unternehmen ein immer feinmaschigeres Netz aus Geo-Informationen. Und die wahren Datenschleudern sind dabei nicht die üblichen verdächtigen Großkonzerne, sondern die Nutzer selber.

Geodaten – also die Verknüpfung von Ortsangaben mit digitalen Informationen aller Art – schicken sich an, zur neuen Währung im Web zu werden. Interaktive Karten, in denen sich Nutzer, Inhalte und Anwendungen ineinander verranken, seien die "Informationsökologie" der Zukunft, sagt Blaise Agüera y Arcas, Chefarchitekt von Microsofts Kartendienst Bing Maps. Eine zweischneidige Ansage: Unternehmen dürften sich freuen, wenn ihnen potenzielle Kunden mit einem konkreten Aufenthaltsort statt einer abstrakten IP-Adresse gegenübertreten. Datenschützer dürften sich aus dem gleichen Grund gruseln.

Für Nutzer liegt der Charme von Geodaten zunächst einmal auf der Hand: Praktisch jeder findet sich auf Anhieb mit einer Landkarte oder einem Stadtplan zurecht. Warum also nicht das bewährte Prinzip auf die Organisation von Daten übertragen? Ein klassisches Beispiel dafür sind Fotos: GPS-fähige Fotohandys etwa schreiben auf Wunsch schon längst Ortsangaben in die Metadaten einer Bilddatei. Für Kameras ohne GPS können Zubehör-Module diese Funktion übernehmen. Solche "georeferenzierten" Bilder lassen sich auf Online-Plattformen wie Locr hochladen und werden dann auf einer Landkarte angezeigt. Andere Nutzer sehen dann sofort, welche Fotos von einer bestimmten Region oder einem potenziellen Urlaubsort schon online sind. Aber auch zur Organisation der eigenen Bilderhalde sind Landkarten hilfreicher als die Ablage in Ordnern oder eine Sortierung nach Datum. IBM-Forscher Stephen Whittaker hat herausgefunden, dass Versuchspersonen Bilddateien deutlich einfacher wiederfinden, wenn sie mit einer Ortsangabe versehen sind.

Georeferenzierte Bildersammlungen werden meist als Landkarte dargestellt, in die für jedes Foto eine kleine Stecknadel gepikst wurde. Hat man aber erst einmal ausreichend viele Fotos mit Geobezügen gesammelt, lässt sich damit auch weitaus Spannenderes anstellen, wie es Agüera y Arcas mit der von ihm entwickelten Software Photosynth bewiesen hat. Es ging ihm dabei nicht nur darum, Bilder zu organisieren, sondern "wesentliche Teile der Welt zu rekonstruieren", erklärt Agüera y Arcas eines seiner Lieblingsprojekte bei Microsoft. Photosynth hat seit August 2008 rund zwei Millionen Schnappschüsse ausgewertet, um daraus die Tempel von Angkor Wat in Kambodscha oder die Kathedrale Notre-Dame in Paris dreidimensional nachzubauen. Von seinem Schreibtisch aus kann der Nutzer mit einem normalen Browser virtuell um diese Gebäude herumgehen und sich Details aus nächster Nähe anschauen. Bislang gibt es mehr als 23000 solcher Rekonstruktionen.

Öffentliche Fotoarchive wie Flickr dienen dabei als digitaler Steinbruch. Die Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Nutzern verdeutlicht Agüera y Arcas mit einer Metapher: Photosynth sei wie ein Weinberg, bei dem Microsoft die Stöcke einsetze. Die Nutzer pflanzen dann die Reben, die sich an den Stöcken emporranken. Das klingt hübsch, funktioniert in der Praxis aber nur begrenzt, wie das Microsoft-Team in den letzten anderthalb Jahren erfahren musste. Nur von besonders frequentierten Sehenswürdigkeiten gibt es genügend öffentlich zugängliche Bilder, um daraus eine Photosynth-Parallelwelt zu bauen. Um die Lücken zu füllen, müssen die Microsoft-Leute selbst mit Kamera und GPS-Modul losziehen. Zunächst noch – wie bei Google Street View – mit dem Auto, später auch mit einer neu entwickelten Rucksack-Kamera, die zu Fuß, mit dem Fahrrad und in Innenräumen Bilder liefert. Weitere Details oder einen Starttermin nennt Agüera y Arcas nicht, doch er versichert: "Sobald sie preiswert genug sind, werden wir die Welt mit solchen Geräten überziehen."