Schule digital: Bildungsmedien für Schulen – bundesweites Kuddelmuddel

Seite 4: Der Markt der Bildungsmedien und die Digitalisierung

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Dieser Markt ist durch seine Geschichte und durch die Medienarten und ihre technisch sehr unterschiedlichen Beschaffenheiten – auf der einen Seite Bücher, auf der anderen Filme und Video – und durch ihre Verfügbarkeiten bestimmt. Er besteht daher für die Nutzung im Kontext Schule und völlig aus der Zeit gefallen aus zwei immer noch stark voneinander getrennten Bereichen: Dem Schulbuchmarkt und dem Markt für digitale Bildungsmedien mit audiovisuellen Inhalten, der aus dem Markt für den klassischen Unterrichtsfilm hervorging.

Die Nutzungsmöglichkeit der Medien im Bildungskontext wird in diesem Marktbereich in Deutschland durch das System der kommunalen und Landesmedienzentren gewährleistet und ist gesetzlich verankert. Stellvertretend und als Beispiele seien hier zwei Bundesländer angeführt. Die Situation in den anderen Vierzehn ist vergleichbar.

Nach §79 des Schulgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen ist die Lehrmittel- und Medienbereitstellung eine Pflichtaufgabe der Schulträger, also der Kommunen, die Verleih- und Onlinebereitstellung ihren Medienzentren übertragen. Der zuständige Paragraph im Schulgesetz des Freistaats Bayern trägt ebenfalls die Nummer 79 und immer noch den Titel "Bildstellenwesen". Bildstellen, so hießen die Medienzentren früher – sehr viel früher.

Die Größe dieses Bereichs entspricht daher in etwa den summierten Beschaffungsbudgets der Medienzentren im Bundesgebiet und kommt bestenfalls auf eine zweistellige Millionensumme. Dem gegenüber besitzt der bundesdeutsche Schulbuchmarkt ein Gesamtvolumen von etwa 700 Millionen Euro. Bedingt durch die unterschiedlichen Bereichsgrößen in Euro ergibt sich eine stark divergierende Struktur der Unternehmen und Akteure.

Während der Schulbuchmarkt mit insgesamt etwa 80 Verlagen durch ein Oligopol von drei großen Verlagen bestimmt ist, die etwa 90 Prozent des Umsatzes generieren, besteht der Markt der digitalen Bildungsmedien aus ebenfalls etwa 80 jedoch kleineren mittelständischen Unternehmen mit zwei bis 20 Mitarbeitenden, mit Ausnahme des Medieninstituts der Länder, des FWU mit etwa 50 Mitarbeitenden.

Die Digitalisierungsprozesse üben und übten einen erheblichen Innovationsdruck auf diese Marktbereiche, die Unternehmen und Distributionsstrukturen aus. Der zunehmende Einsatz von digitalen Lernplattformen und Lernmanagementsystemen (LMS) wirkt aktuell zusätzlich als Katalysator, denn beim Lernenden und auf dessen Endgeräten laufen die Medien letztlich zusammen. Dies stellt hohe technische Anforderungen an die Distributionssysteme – so sind Schnittstellen zu LMS als obligatorisch zu betrachten – sowie an die Sicherung der Wahrung der Urheberrechte der Content-Produzenten in Form leistungsfähiger Lizenzverwaltungen und an den Datenschutz der Nutzerinnen und Nutzer. Der Bildungsbereich mit in der Überzahl zu schützenden Minderjährigen stellt hierbei eine besondere Herausforderung dar.

In der Digitalisierung und Verfügbarmachung von Bildungscontent hat der kleinere Marktbereich gegenüber dem Schulbuchmarkt bis dato einen erheblichen Innovationsvorsprung, dessen Hauptursache in einem ungleich größeren Veränderungsdruck liegt. Er begann mit der DVD als digitalem physischen Trägermedium als Nachfolger der VHS-Kassette und des 16mm-Films zeitlich sehr viel früher in den 90er Jahren. Hinzu kamen die zunächst verwirrenden Möglichkeiten für Strukturen und Schachtelungen durch Hypertext per HTML. Und schnell wurde deutlich, der Medieninhalt ist nicht der physische Datenträger.

Bereits 2004, ein Jahr vor Youtubes Gründung – Facebook war noch nicht in Sicht und die Schulbuchverlage verstanden unter einem digitalen Schulbuch eine pdf-Datei – zeigte Friedemann Schuchardt wohin die Reise gehen könnte mit den Digitalmedien. Der damalige Geschäftsführer der Matthiasfilm GmbH, einem Medienproduzenten der evangelischen Kirche, stellte eine sogenannte "DVD educativ" mit dem Titel "Luther" vor. Das Multimediaprodukt enthält den kompletten Spielfilm Luther von Eric Till aus dem Jahr 2003, unter anderem mit Joseph Fiennes, Sir Peter Ustinov und Bruno Ganz in Hauptrollen. Der Film ist in voller Länge aber auch einzeln kapitelweise aufrufbar. Jedes Kapitel enthält zudem Fragen, Arbeitsblätter und eine Vielzahl an Zusatzinformationen in Form von Audiodateien und Texten, auch zu historischen Quellen. Interviewsequenzen mit einigen Schauspielern zu ihren Rollen runden das Produkt ab. Luther war ein weit über den Spielfilm hinaus umfassendes Multimediaportrait der Reformationszeit, in Schulen vielfältig in Gänze als auch in Teilen/Modulen einsetzbar in den Fächern Geschichte, Sozialkunde, Philosophie und Religion.

Dem vorangegangen war bei Matthiasfilm ein vergleichbares, jedoch nicht so umfangreiches Produkt: "Das Tagebuch der Anne Frank", basierend auf dem gleichnamigen Spielfilm von Gareth Davies aus dem Jahr 1987. Das Begleitmaterial dieser DVD enthielt etwa als historisches Highlight eine bis dato unveröffentlichte digitalisierte Version einer kurzen 8mm-Schmalfilmaufnahme aus dem Privatleben von Anne Frank.

Das FWU in Grünwald bei München hatte da schon eine Pilot-Produktion mit dem Titel "Die Alpen", basierend auf dem Träger CD-ROM präsentiert, ein Multimediaprodukt rund um die Alpen, das die unterschiedlichen Aspekte dieser geographischen Region, von der Ökologie über die Landwirtschaft bis hin zum Tourismus, für den Erdkundeunterricht beleuchtete. Die Struktur des Mediums entsprach in etwa der einer Mindmap mit netzartigen Verknüpfungen.

Heute gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichsten multimedialen Produkten zu allen schulischen Themen; von "Was ist Zeit?", einem Grundschulmedium für den Sachunterricht, über "Die französische Revolution", "Atombau und Atommodelle", "Proteinbiosynthese", "Gesunde Ernährung" bis hin zu "Fake News" – alle ausgestattet mit zahlreichen Begleitmaterialien und mit einer thematischen Tiefe, die von entsprechenden Kapiteln in Schulbüchern nur selten erreicht wird. Durch den Wegfall der Schuljahresrhythmiken und Drucklegungen im Produktionsprozess weisen diese Medien gegenüber den Schulbüchern oft auch eine erheblich höhere Aktualität auf.

Was dementsprechend deutlich verwirrt, sind Entscheidungen, wie sie in diesem Jahr exemplarisch vom Schulministerium in Nordrhein-Westfalen getroffen wurden: Als das Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW am 18. Februar 2021 bekannt gab, dass es 2,6 Millionen Euro "für mehr digitale Lernmittel an den Schulen" ausgebe, darunter für 1,6 Millionen Euro eine Drei-Jahres-Lizenz des Online-Lexikons Brockhaus für alle Schulen in NRW, löste dies sowohl auf Twitter als auch in der Presse Verwunderung aus. Im Deutschlandfunk wurde etwa die Frage gestellt: "Viel Geld für Bildung ohne Nachhaltigkeit?"

In Zeiten von frei verfügbaren Quellen wie Wikipedia, Klexikon und vielfältigen Übersetzungswerkzeugen ist der Erwerb einer zeitlich auf drei Jahre begrenzten Lizenz ganz sicher merk- und fragwürdig. Aber die auf Twitter und andernorts vielfach hingeworfene Forderung nach uneingeschränkter Förderung von OER ist es ebenso, wie das Beispiel Jointly und die beiden Suchmaschinen zeigen. Hier ist ein genauer Blick auf die Angebote besser.