Start-ups vs. Marktführer: Mehr KI soll autonome Autos auf die Straße bringen

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Autobrains nimmt die Sensordaten eines Autos und lässt sie durch eine KI laufen, die die Szene einem von vielen möglichen Szenarien zuordnet: Regen, Fußgängerübergang, Ampel, rechts abbiegendes Fahrrad, das Auto hinter dem eigenen Fahrzeug usw. Nach Angaben von Autobrains hat seine KI durch die Beobachtung von einer Million Meilen Fahrdaten rund 200.000 einzigartige Szenarien identifiziert, für die das Unternehmen individuelle neuronale Netze trainiert. Das Unternehmen arbeitet mit Autoherstellern zusammen, um seine Technologie zu testen, und hat gerade eine kleine Flotte eigener Fahrzeuge in Besitz genommen.

Kendall ist der Meinung, dass die Autobrains-Technik gut für fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme geeignet sein könnte, aber er sieht keinen Vorteil gegenüber seinem eigenen Ansatz. "Ich gehe davon aus, dass die Kollegen bei der Bewältigung des Problems des autonomen Fahrens mit der Komplexität der realen Welt ebenso konfrontiert werden", sagt er.

Wie auch immer der Wettstreit letztlich ausgeht: Können wir uns darauf verlassen, dass diese neue Welle von Unternehmen die bisherigen AV-Spitzenreiter abhängen wird? Es überrascht nicht, dass Mo ElShenawy, Executive Vice President of Engineering bei Cruise, davon nicht überzeugt ist. "Der heutige Stand der Technik reicht nicht aus, um das Stadium zu erreichen, in dem sich Cruise befindet", sagt er.

Cruise ist eines der am weitesten fortgeschrittenen Unternehmen für fahrerlose Autos. Seit November betreibt es in San Francisco einen Live-Robotaxi-Service. Die Fahrzeuge sind nur in einem begrenzten Gebiet im Einsatz, aber jeder kann jetzt mit der Cruise-App ein Auto anfordern und es an den Straßenrand fahren lassen, ohne dass jemand drin sitzt. "Wir sehen ein großes Spektrum an Reaktionen von unseren Kunden", sagt ElShenawy. "Es ist alles sehr spannend." Cruise hat eine riesige virtuelle "Fabrik" zur Unterstützung seiner Software aufgebaut, in der Hunderte von Ingenieuren an den verschiedenen Teilen der Pipeline arbeiten. ElShenawy argumentiert, dass der modulare Ansatz ein Vorteil ist, weil er es dem Unternehmen ermöglicht, neue Technologien nach und nach einzubauen.

Er weist auch den Gedanken zurück, dass der Ansatz von Cruise nicht auf andere Städte übertragbar ist. "Wir hätten schon vor Jahren in einem Vorort starten können, doch das hätte unseren Blick verengt", sagt er. "Wir haben uns ganz bewusst für eine komplexe städtische Umgebung wie San Francisco entschieden, wo wir Hunderttausende von Radfahrern, Fußgängern, Rettungsfahrzeugen und Autos sehen. Das zwingt uns, etwas zu bauen, das sich leicht skalieren lässt."

Doch bevor Cruise in einer neuen Stadt einfahren kann, muss es zunächst die Straßen zentimetergenau kartieren. Die meisten Unternehmen, die fahrerlose Autos anbieten, verwenden diese Art von hochauflösenden 3D-Karten. Sie liefern dem Fahrzeug zusätzlich zu den rohen Sensordaten, die es während der Fahrt erhält, weitere Informationen, z. B. über die Lage von Fahrbahnbegrenzungen und Ampeln – oder darüber, ob es auf einem bestimmten Straßenabschnitt Bordsteine gibt. Diese sogenannten HD-Karten werden durch die Kombination von Straßendaten, die von Kameras und Lidar erfasst wurden, mit Satellitenbildern erstellt. In den USA, Europa und Asien wurden auf diese Weise bereits Hunderte von Millionen Kilometern an Straßen kartiert. Die Straßenführung ändert sich jedoch täglich, was bedeutet, dass die Erstellung von Karten ein endloser Prozess ist.

Viele Unternehmen, die fahrerlose Autos anbieten, verwenden HD-Karten, die von spezialisierten Unternehmen erstellt und gepflegt werden, aber Cruise erstellt seine eigenen. "Wir können so Städte neu erschaffen – mit allen Fahrbedingungen, Straßenverläufen und allem anderen", sagt ElShenawy.

Das verschafft Cruise einen Vorteil gegenüber den etablierten Wettbewerbern, aber Newcomer wie Wayve und Autobrains haben die HD-Karten komplett über Bord geworfen. Die Autos von Wayve verfügen zwar über GPS, lernen aber ansonsten, die Straße allein anhand von Sensordaten zu lesen. Das mag schwieriger sein, aber es bedeutet, dass sie nicht an einen bestimmten Standort gebunden sind.

Für Kendall ist dies der Schlüssel zur Verbreitung fahrerloser Autos. "Wir werden langsamer sein, um in die erste Stadt zu kommen", sagt er. "Aber wenn wir erst einmal in einer Stadt sind, können wir uns überallhin ausdehnen." Trotz der vielen Gespräche liege aber noch ein langer Weg vor der Firma. Während die Robotertaxis von Cruise zahlende Kunden durch San Francisco chauffieren, muss Wayve – der am weitesten fortgeschrittene der neuen Anbieter – seine Autos erst noch ohne einen Sicherheitsfahrer testen. Und Waabi verwendet wie erwähnt nicht einmal echte Autos.

Dennoch haben diese AV2.0-Firmen wohl die Geschichte auf ihrer Seite: End-to-End-Lernen hat die Regeln dessen, was im Bereich der Bilderkennung und der Verarbeitung natürlicher Sprache möglich ist, neu geschrieben. Ihr Vertrauen in ihre Technik ist also nicht unangebracht. "Wenn alle in eine Richtung gehen – und zwar in die falsche –, werden wir dieses Problem nicht lösen", sagt Urtasun. "Wir brauchen eine Vielfalt von Ansätzen, denn wir haben noch keine Lösung gesehen."

(jle)