Story: Higgsbi. Ein neues Zeitalter. Kapitel 2

Seite 4: 2.4 Notaufnahme

Inhaltsverzeichnis

Der Sanitätskraftwagen hielt vor der Notaufnahme des Hospitals Academics De Genève, der Universitätsklinik von Genf und wurde von einer Ärztin und einer Krankenschwester empfangen. Sie zogen die Notfall-Liege mit Lisa heraus, während Pinja sorgsam Frank in Richtung der Tür führte. "Du gehst mit ihm, du mit ihr und ich bleibe bei der schwangeren", stimmten sich ihre drei Bewacher ab. Da drehte sich die ältere Krankenschwester um, der das Missfallen über die bewaffnete Anlieferung von Anfang an überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand, und schrie förmlich: "Bewachen sie von mir aus den Eingang, aber in dieses Krankenhaus kommt niemand bewaffnet und wenn sie den Präsidenten der Europäischen Union bewachen müssten! Und sie fahren das Fahrzeug weg, es kommt gleich noch ein Notfall!" Verunsichert sahen sie sich an und reagierten schließlich: "Ok, du bleibst hier und bewachst den Ausgang der Notaufnahme, du gehst zum Haupteingang und lässt niemand von den dreien hinaus und ich fahre das Fahrzeug weg, funke nach Verstärkung, und gehe dann ins Krankenhaus zu unseren Patienten." Er sah nochmal zur Schwester und fügte eilig hinzu: "unbewaffnet!"

Während die Ärztin Lisa nach ihrem Befinden fragte, standen Pinja und Frank etwas abseits, sodass Pinja in Franks Ohr flüstern konnte: "Wir müssen hier raus, bevor die Verstärkung kommt. D.h. wir müssen dich hier lassen, damit sie deinen Arm röntgen und richtig behandeln können." Frank überlegte kurz. Dann flüsterte er zurück: "Du hast doch selbst gesagt, dass nichts gebrochen ist. Ich werde bei euch bleiben." "Du dummer Junge", antwortete Pinja mit ungewohnt schimmernden Augen. "Das ist die Gelegenheit für dich, aus dem ganzen Schlamassel herauszukommen. Ich will nicht, dass dir noch mehr passiert!" "Denkst du wirklich, dass die, die hinter all dem stecken, einen Zurückgelassenen einfach so in Ruhe lassen, wenn sie euch beide suchen?", sagte Frank und wunderte sich, als ihn Pinja an sich drückte. Er hatte das Argument geliefert, das sie überzeugte, ihn ohne schlechtes Gewissen bei sich behalten zu können.

Während sie vor dem Aufzug standen, strich Pinja Lisa über das Haar, beugte sich zu ihr hinunter und sagte, weil in der momentanen Stille auch ein Flüstern an die Ohren der anderen gekommen wäre: "Du schaffst das. Es geht erst ganz tief runter. Aber schon fünf Minuten später kommt man da wieder raus." Die Ärztin lächelte ob dieser aufmunternden Worte. In Lisas Ohren kam die Nachricht aber richtig an: "Tiefgarage. In fünf Minuten." Dann fuhr Lisa mit der Ärztin im Aufzug in die Gynäkologie zum Ultraschall. Das Bett war im ’follow me’-Modus und fuhr der Ärztin automatisch hinterher.

Pinja und Frank warteten vor dem zweiten Aufzug mit der Krankenschwester, die sie zum Röntgen bringen sollte. Da kam ein weiterer Notfall auf einer Liege herein und ein Arzt sprach von ’Lungenriss’ und ’sofort in den OP’. Das Gesicht des Patienten war durch die Beatmungsmaske und eine Haube nicht zu sehen. Aber Pinja wurde kreidebleich, als sie bei der gemeinsamen Fahrt im Aufzug die Hand unter der Decke herausschauen sah. Es war Mathis Hand. Sie erkannte sofort die auffällige Narbe an seinem Daumen. Ihre Gefühle schwankten zwischen Freude, dass er noch lebte und Sorge, dass seine Verletzungen zu schwer sein könnten. Und jetzt fiel es ihr noch schwerer, nicht hier im Krankenhaus bei Mathis zu bleiben, sondern, wie es sicher sein Wunsch wäre, das Paket auszuliefern. Vorsichtig und unbemerkt von allen nahm sie ihren Ring vom Finger und steckte ihn auf den kleinen Finger von Mathis Hand, soweit er eben passte. Natürlich wusste sie, dass sie ihm den Ring abnehmen würden. Aber er würde ihn zurückerhalten und hätte ein Zeichen, dass er sich um sie keine Sorgen machen musste. Er wusste ja nichts von ihrer Flucht aus dem Technikraum in Production.

Lisa hatte sich im Vorbeifahren heimlich eine leere Stofftasche von einem Tisch mit Werbeträgern der Klinik genommen und unter der Decke versteckt. Sie zog ihre Knie an, damit die Decke ihre Tätigkeit verbarg, was die Ärztin bei einem Blick hinter sich als ein mögliches Anzeichen für Wehen deutete. Lisa drehte sich leicht zur Seite, um den Knoten auf ihrem Rücken lösen zu können und zog nach einigem Gefummle den Fahrradschlauch aus, stülpte den Fahrradsattel vom Paket und streifte es vorsichtig in die Stofftasche. Gleich nach dem Betreten der Gynäkologieabteilung fand eine Übergabe zwischen der Ärztin und dem Frauenarzt statt. Lisa sah die Chance, stand leise aus dem Bett auf und verschwand im nach links abknickenden Flur mit der Stofftasche. Sie hätte eine Woche Kloputzen dafür gegeben, die Gesichter der Ärzte zu sehen, als sie vor dem leeren Bett mit dem Fahrradschlauch und dem Sattelbezug standen. Lange währte deren Überraschung allerdings nicht und schon als Lisa um die zweite Ecke lief, hörte sie die Rufe der Ärzte. Sie rannte zum Treppenhaus und hinunter bis zur Tiefgarage.

"Würden sie uns bitte fünf Minuten entschuldigen, mein Freund und ich müssen noch etwas besprechen", bat Pinja die Krankenschwester, als sie in der Radiologie auf das Röntgen warten mussten. Frank errötete, weil er sehr unsicher war, ob Pinja das immer noch spielte oder es nicht im Grunde so meinte. "Aber sicher doch ihr Turteltäubchen. Dauert eh noch fünf bis zehn Minuten. Dann mache ich mal Biopause", sagte die Krankenschwester und lief in Richtung der Mitarbeitertoilette. Sofort schlichen sich Pinja und Frank aus der Radiologie hinaus und gingen zum Aufzug. Unten in der Tiefgarage angekommen staunten sie nicht schlecht, als Lisa sie bereits zu sich winkte, die sich zuerst noch hinter einem Transporter versteckt hatte, aber sich sofort regte als sie die beiden erkannte.

"Mathis wurde gerade eingeliefert. Er hat einen Lungenriss, aber er lebt", informierte Pinja die anderen. "Kannst du einen Wagen klauen?", wechselte sie nahtlos das Thema und sah Lisa an. "Keine Chance", war deren knappe Antwort. Also rannten sie zur Ausfahrt und diese hinaus auf den Boulevard de la Cluse. Vorsichtig überzeugten sie sich, dass die Ausfahrt der Tiefgarage nicht vom Haupteingang aus einzusehen war und liefen dann zügig, aber möglichst ohne aufzufallen die Rue Micheli-du-Crest entlang, an deren Ende sie von Weitem Militärfahrzeuge, vermutlich mit der Verstärkung, in den Boulevard de la Tour einbiegen sahen. Endlich kam ein leeres Taxi die Straße entlang gefahren, in das sie mehr als erleichtert einstiegen. Obwohl es noch nicht einmal 15 Uhr war, kam ihnen der Tag bereits wie zwei Tage vor. Aber sie waren ihren Bewachern entkommen und sie hatten es geschafft, dass niemand davon wusste, dass das richtige Paket durch den Tunnel entkommen ist. Den dunklen Mercedes, der ihnen genau in dem Moment, als sie die Ausfahrt hinauf rannten, entgegen kam, der in der Tiefgarage sofort wendete und die Ausfahrt wieder hochfuhr und ihnen jetzt folgte, hatten sie leider nicht bemerkt.