Strommarkt erklärt: Preisbildung, Preiskrise und die "Strompreisbremse"
Seite 4: Die "Strompreisbremse": Abschöpfung von Zufallsgewinnen bei Produzenten und Entlastung von Verbrauchern
Das aktuell diskutierte Konzept einer "Strompreisbremse" besteht aus zwei Elementen: zum Einen sollen sogenannte "Zufallsgewinne" der Stromerzeuger abgeschöpft werden, und zum Anderen sollen diese Einnahmen für Entlastungen der Stromkund:innen genutzt werden. Der aktuell in Deutschland diskutierte Entwurf, der noch nicht offiziell vorgestellt wurde, basiert auf einer Entscheidung des EU-Rats, die in allen Mitgliedsstaaten der EU umgesetzt werden muss (Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise). Dabei bleibt die EU-Verordnung insbesondere auf der Entlastungsseite vage und überlässt den Mitgliedsstaaten die konkrete Ausgestaltung.
Abschöpfung von Zufallsgewinnen auf den Strommärkten durch Erlösobergrenzen
Ende September 2022 hat der Rat der der Europäischen Union sich auf auf eine EU-Verordnung geeinigt, die ein Maßnahmenbündel zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise vorsieht. Teil dieser Maßnahmen ist die Abschöpfung von "Zufallsgewinnen" von Stromerzeugern, um Entlastungen von Stromverbraucher:innen zu finanzieren. Von dieser Abschöpfung ist ein großer Teil der Stromerzeuger betroffen, die auf dem europäischen Strombinnenmarkt agieren und aufgrund der außergewöhnlich hohen Strompreise teils nicht erwartete Mehreinnahmen verzeichnen. Diese gelten als "zufällig", da die derzeitigen Preissteigerung zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung der existierenden Kraftwerke nicht absehbar waren. Gleichzeitig sind die Grenzkosten vieler Kraftwerke deutlich weniger stark gestiegen als die durch besonders stark verteuerte Erdgasverstromung geprägten Strommarktpreise.
Die EU-Verordnung sieht vor, eine pauschale Erlösobergrenze von 180 Euro pro verkaufter MWh Strom einzuführen (Abbildung 5, links). Liegt der Strompreis über 180 Euro/MWh, sollen alle Erlöse jenseits dieser Schwelle komplett oder zu 90 Prozent abgeschöpft und zur Entlastung der Endkunden genutzt werden. Im Grundsatz betrifft dies alle Erzeugungstechnologien, deren Grenzkosten geringer als die Erlösobergrenze sind, also insbesondere die meisten erneuerbare Energien, Atomkraft und Braunkohle. Steinkohle kann ebenfalls mit einer Erlösobergrenze belegt werden, sofern die Grenzkosten unterhalb des Schwellenwerts liegen. Ausgeschlossen von der Abschöpfung sind Erzeugungstechnologien mit Grenzkosten oberhalb dieses Werts, Biomethan sowie Flexibilitätstechnologien, die im Wettbewerb zu Erdgaskraftwerken stehen, wie etwa Stromspeicher oder flexible großindustrielle Lasten.
(Bild:Â DIW)
Die Höhe der Erlösobergrenze, 180 Euro/MWh, berechnet sich aus der Summe der zu Vorkrisenzeiten erwartbaren Preisspitzen und einer zusätzlichen Sicherheitsmarge. Damit soll sichergestellt werden, dass Investitions- und Betriebskosten der betroffenen Anlagen weiterhin gedeckt werden und deren Rentabilität gewahrt bleibt. Zudem soll so die Planungssicherheit über die erwartbaren Einnahmen von zukünftigen Investitionen in Stromerzeugungskapazitäten erhalten bleiben. Die Erlösobergrenze soll alle relevanten Transaktionen erfassen, also insbesondere neben dem Spotmarkt auch auf den Terminmärkten eingeführt werden, um sowohl sofortige als auch zukünftige Zufallsgewinne abzuschöpfen.
Die derzeit in Arbeit befindliche Umsetzung der deutschen Bundesregierung dürfte von den EU-Vorgaben in Teilen abweichen (vgl. geleaktes Konzeptpapier vom 19.10.2022). So soll es keine pauschale Erlösobergrenze geben, sondern diese soll technologiespezifisch ausgestaltet sein(Abbildung 5, rechts).
Für jede Erzeugungstechnologie soll ein Referenzkostensatz ermittelt werden, der sämtliche variablen Kosten beinhaltet. Diese Referenzkosten zuzüglich eines Sicherheitszuschlags, vorgeschlagen sind drei Euro pro MWh, werden als Erlösobergrenze angesetzt. Von der Differenz zwischen dieser Erlösobergrenze und dem tatsächlichen Preis auf den Spot- und Terminmärkten sollen 90 Prozent abgeschöpft werden. Die verbleibenden zehn Prozent können die Erzeuger behalten, damit der Anreiz gewahrt bleibt, in Zeiten hoher Preise besonders viel Strom auf dem Großhandelsmarkt anzubieten. Zudem ist wohl eine rückwirkende Abschöpfung auf den Spotmärkten für den Zeitraum bereits ab März 2022 vorgesehen. Allerdings gibt es rechtliche Bedenken, ob ein derartiger rückwirkender Eingriff verfassungskonform ist.
Die Umsetzung auf den Terminmärkten soll erst später (ggf. ab Dezember 2022) erfolgen. Für die erneuerbaren Energien wäre eine solche Abschöpfung nicht nötig, wenn die Förderung über einen Differenzvertrag (Contract-for-Difference) und nicht über eine einseitige Marktprämie ausgestaltet wäre (vgl. Mats Kröger, Karsten Neuhoff und Jörn C. Richstein (2022): Differenzverträge fördern den Ausbau erneuerbarer Energien und mindern Strompreisrisiken. DIW Wochenbericht 35, 439-447).
Entlastung durch am historischen Verbrauch orientierte Pauschalzahlungen
Die EU-Verordnung lässt offen, wie genau Stromverbraucher:innen entlastet werden. Die Bundesregierung scheint sich jedoch bereits im Grundsatz festgelegt zu haben und will die Entlastungen über Pauschalzahlungen organisieren, die sich an einem subventionierten Basisverbrauch bzw. "Grundkontingent" orientieren. Dies soll in Anlehnung an die von der ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme vorgeschlagenen Regelungen der sogenannten "Gaspreisbremse" geschehen (vgl. Experten-Kommission Gas und Wärme, Zwischenbericht und Endbericht).
Demnach soll die Stromrechnung bezuschusst werden, und zwar berechnet anhand einer Verbrauchsmenge, die etwa 80 Prozent des vergangenen (aber nicht des aktuellen) Jahresverbrauchs abdeckt. FĂĽr dieses sogenannte "Grundkontingent" soll die Differenz zwischen einem festgesetzten, subventionierten Strompreis (zum Beispiel 40 Cent/kWh) und dem aktuellen Haushaltsstromtarif erstattet werden. Letzterer gilt allerdings weiterhin fĂĽr den gesamten aktuellen Verbrauch.
Während die grundsätzliche Entscheidung für eine solche Konstruktion fest zu stehen scheint, sind konkrete Details der Ausgestaltung derzeit noch offen. Zudem sind spezifisch ausgestaltete Unterstützungen für industrielle Großverbraucher geplant.
Differenzierung scheitert an DatenverfĂĽgbarkeit
Ähnlich wie bei der "Gaspreisbremse" gilt: Eine möglichst differenzierte Ausgestaltung der Pauschalzahlungen auf Basis detaillierter Daten wäre wünschenswert, um besonders bedürftige Haushalte zielgenau zu entlasten, zum Beispiel unter Berücksichtigung der Anzahl der Personen im Haushalt, des Einkommens oder der Ausstattung von besonderen Stromverbrauchern wie zum Beispiel Durchlauferhitzern für Warmwasser. Dies ist jedoch aufgrund einer mangelnden Datenverfügbarkeit und diverser administrativer Hindernisse kurzfristig nicht möglich.
Pauschale Zahlungen an Endkunden und Endkundinnen, die sich am historischen Verbrauch orientieren, können in solch einer Situation grundsätzlich einen gangbaren Kompromiss darstellen, um einerseits wirksame Entlastungen zu realisieren und andererseits die Anreize zum Energiesparen hoch zu halten. Von zentraler Bedeutung ist es allerdings, dass dies mit einer klaren Kommunikation des Wirkmechanismus verbunden wird. Insbesondere sollte nicht fälschlicherweise suggeriert werden, dass der Staat die Stromrechnung übernimmt; vielmehr muss klar kommuniziert werden, dass die Unterstützungszahlungen unabhängig vom aktuellen Verbrauch sind und somit jede eingesparte kWh die Stromrechnung in Höhe des aktuellen (hohen) Strompreises vermindert.