Systemwechsel: Neustart als Developer
Seite 3: Alternative Bildungswege
Unbestritten ist jedenfalls, dass die traditionellen Ausbildungsstätten – Universitäten und Fachhochschulen – den Bedarf der Wirtschaft an IT-Fachkräften schon lange nicht mehr decken können. "Der Bedarf ist enorm und er wird die kommenden Jahre auch nicht abreißen", sagt Sead Ahmetovic, CEO der Jobplattform WeAreDevelopers. "Das akademische System allein kann dieser Nachfrage nicht mehr gerecht werden, denn ein Studium dauert nun mal mindestens drei bis fünf Jahre."
Das verlangt sowohl ein Umdenken der Personalverantwortlichen in den Unternehmen als auch eine Anpassung bestehender Anforderungskriterien. Weist ein Kandidat oder eine Kandidatin beispielsweise hohe autodidaktische Fähigkeiten auf, ohne ein dezidiertes Studium vorweisen zu können, beweist dies nicht bloß eine ordentliche Portion an Motivation, sondern stellt auch ein wertvolles Asset für neue Herausforderungen dar. Solche Soft Skills werden in Zukunft stetig gefragter sein als formal bestätigte Hard Skills.
Über die Bedeutung alternativer Bildungswege diskutieren die Expert:innen kontrovers. Beispielsweise funktionieren Coding-Bootcamps vor allem für Quereinsteiger:innen, die einen Karrierewechsel anstreben, aber bereits Berührungspunkte mit Informatik hatten und auch ausreichend Interesse besitzen. Ergebnisse einer US-amerikanischen Absolventenstudie von Course Report bestätigen dies: Der klassische Bootcamper ist 31 Jahre alt, hat sechs Jahre Berufserfahrung und in der Regel einen Bachelorabschluss. Der übliche Weg in ein Coding-Bootcamp läuft also häufig über ein Fach- oder Hochschulstudium und ein paar Jahre im Arbeitsleben. Ganz so einfach und voraussetzungsfrei ist der Wechsel also dann doch nicht.
Motivierte Autodidakten haben gute Karten
Thomas Pamminger, CPO und Co-Founder bei bei WeAreDevelopers, beobachtet solche Werdegänge immer wieder: "Weil der Bedarf so groß ist, ist vielen Unternehmen das tatsächliche Können und der Cultural Fit von Bewerbern wichtiger als deren formale Qualifikation." Wichtig sei dabei, dass Quereinsteiger echte Projekte und Motivation vorweisen können – sei es, dass sie in ihrer Freizeit schon eine eigene App programmiert ihr Können in Open-Source-Projekten bewiesen haben, aber auch andere, "unübliche" Bildungswege eingeschlagen haben.
Eine solche Erfolgsgeschichte gibt es auch in den eigenen Reihen von WeAreDevelopers. Einen Berufseinstieg in die IT ohne spezifische Ausbildung hat Sabina Dego geschafft. Dass sie keinen Informatik-Abschluss hatte, störte ihren zukünftigen Arbeitgeber überhaupt nicht. Erste Vorkenntnisse halfen dabei, und sie hatte keinerlei Berührungsängste. Nach einem Erstgespräch und anschließendem Kennenlernen des Teams gab es ein Jobangebot als Quality Assurance Engineer. "Gerade die Bereiche Quality Assurance (QA) und Software Testing bieten gute Möglichkeiten, erste Gehversuche in IT-Teams zu machen, um deren Denk- und Arbeitsweisen kennenzulernen und zu verstehen", so Pamminger.
Unternehmen locken Quereinsteiger
Manche Unternehmen richten sich sogar mit eigenen Initiativen und Formaten an Quereinsteiger – so etwa Volkswagen. Auch dort wächst der Bedarf an IT-Fachkräften. Nicht nur, weil in jedem Auto heute auch ein Computer steckt. Darüber hinaus helfen Big-Data-Expert:innen, die Marktnachfrage zu analysieren, und Machine-Learning-Spezialist:innen, bestimmte Logistikprozesse zu optimieren. Spieleentwickler:innen gestalten virtuelle Entwicklungsumgebungen für den Bau neuer Modelle, Cloud-Expert:innen vernetzen die Produktion. Um sich als Technologiekonzern zu positionieren, hat Volkswagen die "Fakultät 73" ins Leben gerufen – ein zweijähriges Programm, bei dem Quereinsteiger zu Entwicklern ausgebildet werden. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen lernen zunächst Grundlagen von Programmiersprachen wie Python und Java; später lernen sie dann verschiedene IT-Aufgaben im Konzern kennen.
Neben solchen Eigeninitiativen bei großen Unternehmen bieten darüber hinaus auch Start-ups gute Chancen für einen Quereinstieg. Junge Unternehmen können oftmals nicht mit den finanziellen Kompensationsmöglichkeiten von etablierten Konzernen mithalten und müssen daher in anderen Bereichen punkten. Die Einstellungsverfahren sind zumeist kürzer und das Aufgabengebiet jedes Einzelnen ist breiter gefächert, somit auch abwechslungsreicher und für Quereinsteiger mit mehreren Fähigkeiten und entsprechender Experimentierfreudigkeit bestens geeignet.