Tuning für Nerds

Seite 2: Motor verkraftet Leistungssteigerungen

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Die Münchner wollen nun zeigen, dass Chiptuning einfach und relativ sicher sein kann – nachdem sie schon mit Apps zum Umprogrammieren von Funktionen wie der Anzahl des Blinkens nach Antippen des Blinkerhebels, dem manuellen Ein- und Ausschalten von Tagfahrleuchten oder der individuellen Anpassung des Kombiinstruments bei BMW-Fahrzeugen für Aufmerksamkeit gesorgt haben. "Mit unserer App gibt es auf Knopfdruck 30 bis 40 PS mehr. Die Tuning Files kommen nur von renommierten Tunern", sagt Avini. Sie hätten den Vorteil, mit der Carly-App plötzlich viel mehr Kunden zu erreichen.

In puncto Haltbarkeit ist sich Avini sicher, dass ein Motor Leistungssteigerungen von nur 30 bis 40 PS auf jeden Fall verkraftet. Auch TÜV-Zulassungen hat Carly schon für seine Kennfelder. Doch bisher wird noch intensiv getestet. Rund 50 Autos – überwiegend von bestehenden Kunden – hat das Start-up bisher getunt. Ein paar Tausend sollen es werden, bevor die Software weltweit in großem Stil ausgerollt wird.

Inzwischen bietet Carly neben BMW auch Apps für Mercedes, Audi, Seat, Skoda, VW und Porsche an. Für BMW sind die meisten Funktionen verfügbar. Für Porsche gibt es nur den Gebrauchtwagen-Check. Das klingt langweilig, ist aber ein sinnvolles Feature. Nutzer können erkennen, ob der Kilometerstand manipuliert wurde, was laut ADAC bei einem Drittel aller Gebrauchtwagen der Fall ist. Möglich ist das, weil der Kilometerstand zum Protokollieren von Fehlermeldungen in vielen Steuergeräten gespeichert wird. Beim Manipulieren lassen sich aber nur wenige dieser Kilometerstände überschreiben. "Wir decken ungefähr 95 Prozent aller Manipulationen auf", sagt Avini.

Ebenfalls bares Geld kann die Funktion zum Regenerieren des Dieselpartikelfilters wert sein. Denn der aus dem Abgas gefilterte Ruß muss alle 500 bis 1000 Kilometer abgebrannt werden, damit der Filter nicht verstopft. Dieses Abbrennen nennen die Hersteller Regeneration. Die App liest den Grad der Verrußung bei BMW aus und empfiehlt bei Bedarf eine Regeneration, die manuell vorgemerkt und dann bei höheren Geschwindigkeiten und warmem Motor durchgeführt wird. Wer mit seinem Diesel vor allem in der Stadt fährt, wird es der App danken, den Zeitpunkt dafür zu erfahren. Bleibt natürlich die Frage, warum BMW die Funktion nicht selbst einbaut.

Der Zugriff ist möglich, weil der Gesetzgeber seit 2004 vorschreibt, dass die Abgasparameter über OBD offen zugänglich sein müssen. Nur so können TÜV, Dekra und dergleichen die Abgase bei der Hauptuntersuchung an Bord messen. Doch die Tuningszene dringt noch viel weiter ein. Denn jenseits der OBD-Schnittstelle wird es erst richtig interessant – allerdings auch sehr viel gefährlicher. Für gestandene Hacker ist es kein Problem, an so ziemlich jede Funktion im Auto zu kommen. Schon mit ein wenig Geschick lässt sich etwa der Blinker einschalten oder im Stand der Drehzahlmesser manipulieren. Anleitungen dazu finden sich zuhauf im Netz. Damit wächst allerdings auch das Risiko, ungewollt Fehlfunktionen des Fahrzeugs auszulösen. Denn die Computerarchitektur ist keineswegs einheitlich, jeder Hersteller und oft sogar jedes Modell hat eigene Softwareprotokolle. "Ein Dongle von einem namenlosen Anbieter hat bei einem Auto in unseren Untersuchungen sogar mal die Servolenkung abgeschaltet", weiß ADAC-Technikchef Kolke.

Richtig brisant wird es, wenn Tuningfans die komplette Steuerung des Autos übernehmen wollen. George Hotz, dem mit 17 Jahren als Erstem ein Jailbreak beim iPhone gelang, war von Teslas Autopiloten so angetan, dass er einen eigenen baute, programmierte und als Nachrüstsatz "comma.ai" für 1000 Dollar verkaufen wollte. Doch die US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit (NHTSA) machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Daraufhin stellte Hotz sämtliche Anleitungen zum Bau des Steuergeräts Neo und seine Software namens openpilot bei GitHub für jedermann zum Download bereit. Neben einem Honda Civic und einem Acura ILX unterstützt openpilot inzwischen auch einen Honda CR-V Touring – allerdings erst als früher Prototyp.

Auf der Basis von comma.ai baute Brevan Jorgenson einen Honda Civic zum selbstfahrenden Auto um. Gut möglich, dass das System schon bald weitere Anhänger findet. Denn die nötige Hardware kann man inzwischen unter dem Namen Neodriven für 1500 Dollar fertig kaufen. Offiziell ist sie eine offene Hardwareplattform für alle möglichen Anwendungen rund ums Auto. Aber das dürfte wohl eher eine Sprachregelung sein, die verhindern soll, dass sich die NHTSA wieder einschaltet. (bsc)