Tuning für Nerds

Autos lassen sich inzwischen komplett per Software steuern. Das nutzen nun auch Tuner, Hacker und Bastler für ihre Zwecke.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Karsten Schäfer
Inhaltsverzeichnis

Eines Abends nach einer späten Vorlesung vertraute Brevan Jorgenson sein Leben zum ersten Mal dem Autopiloten an. Es war dunkel, und er war allein auf einem Interstate Highway unterwegs. Falls etwas schieflaufen würde, wollte Jorgenson keine anderen Menschen gefährden. "Aber alles lief ganz fantastisch", sagt Jorgenson, Student und technischer Berater an der University of Nebraska.

TR 9/2017

Das Besondere daran: Brevan Jorgenson saß nicht in einem Audi, BMW, Mercedes oder Tesla, sondern in einem Honda Civic, und der Autopilot war mehr oder weniger selbst gebaut: Ein Smartphone mit nach vorn gerichteter Kamera oben in der Frontscheibe anstelle des Rückspiegels, ein selbst gelötetes CAN-Bus-Interface für den Anschluss an die Steuergeräte des Autos und die nötige Software reichten aus. Das System nennt sich Neo. Die detaillierte Bauanleitung und die Software namens openpilot gibt es kostenlos im Internet. Die Kosten für die Hardware liegen bei rund 700 Dollar.

Solche Hacks sind nur möglich, weil Autos heutzutage fahrende Computer sind. Inzwischen wird so ziemlich jede Funktion, die ein Auto hat, digital gesteuert. Das spart Kabel sowie Schalter und bietet den Herstellern ganz neue Möglichkeiten für immer neue Funktionen. Denn ein Regensensor macht nur Sinn, wenn sein Steuergerät auch den Scheibenwischer einschalten kann. Flackernde Bremsleuchten bei starken Bremsmanövern können nur von einem Steuergerät geschaltet werden, das weiß, wie stark die Verzögerung ist, und eine Einparkhilfe kann nur funktionieren, wenn die Steuergeräte vollen Zugriff auf Lenkung, Gas und Bremse haben.

Das heißt aber auch: Wer Zugang zu dem Netzwerk an Steuergeräten eines Autos hat, kann fast jede Funktion des Autos steuern – Türen öffnen, verriegeln und Motor starten inklusive. Diese immense Fülle an Möglichkeiten löst natürlich Begehrlichkeiten aus und ruft Hacker auf den Plan. Einige wollen zeigen, wie verletzlich die rollenden Computer sind und Autohersteller unter Druck setzen, ihre Autos besser gegen Hackerangriffe zu schützen. Berühmt geworden sind die Jeep-Hacker Charlie Miller und Chris Valasek vor zwei Jahren. Ihnen gelang es erstmals, ein Auto – einen Jeep Cherokee – während der Fahrt aus der Ferne zu hacken und dann zum Anhalten zu bringen. Ein Jahr später zeigten die beiden Hacker dann, wie man auch das Steuer eines Jeep mit einem Laptop vom Rücksitz aus übernimmt. Der Wagen landete im Graben.

Andere aber wollen nicht den Herstellern helfen, Autos besser zu machen. Das machen sie lieber selbst. Sie motzen ihre Autos auf, verpassen ihnen die digitale Analogie zu Spoiler, Breitreifen und tiefergelegtem Fahrgestell. Sie sind die ersten Vertreter einer neuen Tuningszene. Sogar erste Firmen wie das Münchner Start-up Carly bieten ihre Dienste an. Nicht zuletzt haben die Autohersteller selbst gezeigt, wie leicht sie das Verhalten der Dieselabgasreinigung mit ein paar Zeilen Schummelcode an ihre Bedürfnisse anpassen können.

Ihre Ursprünge hat die Szene im sogenannten Chiptuning. Denn mit dem Einsatz von Katalysatoren wurden auch elektronische Motorsteuergeräte notwendig, um das Benzin-Luft-Gemisch konstant zu halten. Die Steuergeräte von damals waren noch sehr simpel, aber auch sie lasen Sensoren für Luft- und Wassertemperatur sowie die Stellung des Gaspedals aus. Mit diesen Informationen steuerten sie die eingespritzte Kraftstoffmenge und den Zündzeitpunkt. "Wer sich eingearbeitet hat, konnte das auch ohne Dokumentation – denn die wurde von den Herstellern nicht zugänglich gemacht – nachvollziehen und geänderte Kennfelder schreiben", sagt Reinhard Kolke, Leiter des ADAC Technik Zentrums. Kennfelder beschreiben zum Beispiel, wie viel Kraftstoff bei welcher Gaspedalstellung ins Ansaugrohr oder die Brennkammer gespritzt wird. Ändert man diesen Wert, hat der Motor mehr Leistung und Drehmoment.

Die Lust am Chiptuning ist bis heute ungebrochen, denn es verspricht mehr Leistung für relativ wenig Geld. Und es geht verhältnismäßig schnell und unkompliziert. Mussten früher die Chips teilweise noch von ihrer Platine gelötet werden, wird das neue Kennfeld heute einfach über die Diagnoseschnittstelle (OBD – On-Board-Diagnose) des Autos aufgespielt – das Motorsteuergerät geflasht, wie Fachleute sagen. Solche Tuning Files gibt es bei eBay im Paket für eine Fülle von Autos schon ab insgesamt 30 Euro.

Noch einfacher und schneller als das Flashen ist der Einsatz von Dongles, die auf die OBD-Schnittstelle gesteckt werden und dem Motorsteuergerät oftmals nur falsche Parameter wie etwa eine geringere Lufttemperatur vorgaukeln. Auch darauf reagiert die Motorsteuerung mit einer höheren Kraftstoffzufuhr.

Für beides müssen Autofreaks allerdings einen Preis zahlen. Beim klassischen Chiptuning "steigt die Gefahr, dass der Motor früher kaputtgeht, wenn die Mehrleistung ausgeschöpft wird – zum Beispiel durch den höheren Ladedruck", sagt Kolke. Wer bei eBay kauft, kann sich zudem über die Qualität nicht sicher sein. Schlimmstenfalls wird das Steuergerät zum unnützen Ziegelstein – ge-brick-t im IT-Jargon – und muss komplett ausgetauscht werden. Auch die Dongles "sind extrem schädlich, weil sie dem Motor andere Umweltbedingungen vorgaukeln. So was ist für die Haltbarkeit miserabel", sagt Avid Avini, Mitgründer von Carly, einem Start-up, das Apps zum Auslesen und Manipulieren von Steuergeräten anbietet.