Überwachung: Wie Amazon mit seiner Ring-Kamera ein Geschäft mit der Angst macht

Seite 5: Privatsphäre – aber für wen?

Inhaltsverzeichnis

Im September 2019 ereignete sich in Arcadia, Kalifornien, eine verstörende Szene: Eine Frau, bekleidet mit einem Schlafanzug, läuft in das Bild einer Türklingelkamera. Sie schaut über ihre Schulter, als sie klopft, aber der Täter holt sie schnell ein. Als sie "Nein!" schreit und versucht, sich zu wehren, zerrt der Mann sie an den Haaren auf den Rasen vor dem Haus. Die Sicht ist versperrt, aber er scheint sie wiederholt zu schlagen und auf sie einzutreten. Schließlich sagt er: "Steh auf oder ich bringe dich um."

Dieses und andere Videos zeigen traumatische Momente, und die auf der Kamera festgehaltenen Personen haben keine Kontrolle darüber, was mit den Bildern geschieht. Die Kamera gehört einem Fremden, ebenso wie das Video. Der Hausbesitzer ist derjenige, der den Nutzungsbedingungen von Amazon zustimmt und entscheidet, was mit dem Video geschieht – ob er es in die Neighbors-App hochlädt, der Polizei übergibt oder an die Medien weiterleitet.

Die Person auf den Aufnahmen "steht in keiner Beziehung zu dem Unternehmen ... und hat nie zugestimmt, dass ihr Abbild zu einem Produkt gemacht wird", sagt Díaz. Kritiker wie er sehen in solchen Videos kostenloses Marketingmaterial für Ring, das mit Angst und Voyeurismus handelt: "Sie verkaufen Angst im Austausch dafür, dass die Menschen ihre Privatsphäre aufgeben." Das Problem mit diesem Narrativ sei jedoch, dass es in der Regel nicht an "fehlenden Beweisen" liege, sondern eher an einem mangelnden "Interesse der Polizeibehörden, bestimmte Verbrechen zu untersuchen", die marginalisierte Menschen betreffen.

Wenn gewalttätige Vorfälle wie diese mit der Kamera aufgezeichnet und weitergegeben werden, mag es auf den ersten Blick so aussehen, als ob das System der Videoüberwachung und der Nachbarschaftshilfe funktioniert. "Es geht aber nicht darum, das Opfer dazu zu bringen, Anklage zu erheben, oder es davon zu überzeugen, sich an der strafrechtlichen Verfolgung zu beteiligen", sagt Abbi Tuller, die jahrelang eine Unterkunft für Opfer häuslicher Gewalt in New York City leitete. "Das Ziel ist es, die Opfer in Sicherheit zu bringen und ihnen die Unterstützung zuteilwerden zu lassen, die sie brauchen."

Weder das Cape Coral noch das San Antonio Police Department haben bislang Zahlen darüber veröffentlicht, wie viele Strafverfolgungen sich durch die Kameras in den Häusern der Opfer ergeben haben. Nach Angaben von Aaron Gamez hat die Polizei von San Antonio keine Kennzahlen zum Erfolg des Programms. Das Büro des Sheriffs von Bexar County sagt nur: "Das Programm wurde von der Gemeinschaft positiv aufgenommen, und unsere Dienste werden nachgefragt."

In einer E-Mail an Polizeibeamte bat Steve Sebestyen, Vizepräsident für Geschäftsentwicklung bei Ring, um monatliche Überprüfungen des Erfolges und ein Treffen zehn Monate nach Beginn der Pilotphase, um zu entscheiden, ob das Programm fortgesetzt werden soll. In denselben E-Mails wies er darauf hin, dass die Teilnehmenden – falls das Programm nicht über die zwölfmonatige Pilotphase hinaus fortgesetzt würde – Marketingmitteilungen erhalten würden, in denen sie aufgefordert werden würden, ein Ring-Abonnement abzuschließen. Die Marketingmails waren für dreißig, zehn, sieben und zwei Tage vor Programmende geplant.