Überwachung: Wie Amazon mit seiner Ring-Kamera ein Geschäft mit der Angst macht

Seite 6: Verschwommene Grenze zwischen Marketing und Polizeiarbeit

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Auch andere E-Mails belegen die enge Abstimmung zwischen mindestens einer der Strafverfolgungsbehörden und Ring-Vermarktern: Im Januar 2019 wurde eine Gegend am Stadtrand von San Antonio regelrecht von einer Reihe von Autoeinbrüchen heimgesucht. Anschließend fanden Polizeibeamte aus Bexar County mehrere Videos von den Einbrüchen auf der Neighbors-App. Sie wollten die Videos verwenden, um ein "Wanted"-Video für die sozialen Medien zu erstellen, aber der Hausbesitzer, der die Videos gepostet hatte, hatte sie inzwischen gelöscht – also wandten sich die Beamten an Ring.

Mit der zugehörigen App können Bewohner den Raum vor ihren Türen sowohl überwachen als auch unerwünschte Besucher direkt ansprechen und – wie in diesem Fall – vertreiben.

(Bild: Ring LLC)

Sami Tahari, damals Ring-Kundenbetreuer, empfahl den Beamten, andere Ring-Besitzer aus der Gegend zu fragen. Ein Hauseigentümer schickte daraufhin eine Reihe von Videos ein. Tahari erstellte mit dem Material ein Video mit einem auffälligen "Neighbors app by Ring"-Branding, in dem er um Hilfe bei der Identifizierung des Verdächtigen bat, und bezahlte einen prominenten Werbeplatz auf Facebook für das Video. Gleichzeitig erinnerte er seine Kontakte: "Wenn Sie ein Video oder ein Bild von Neighbors herunterladen und es auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Nextdoor teilen, vergessen Sie bitte nicht, die Öffentlichkeit zu ermutigen, Neighbors herunterzuladen. Je mehr Menschen die App nutzen, desto wertvoller wird die Plattform für Ihre Behörde UND Ring spendet der Gemeinde Bexar County eine Kamera für jeweils 20 Downloads." Als Johnny Garcia, der Pressesprecher des Polizeibüros, das Video sah, schickte er eine E-Mail zurück: "Es ist unglaublich! Boom! Fantastisch! Werde es so schnell wie möglich teilen!"

Bei dieser Art von Werbedeal ist es "schwer zu sagen, wo die Marketingabteilung von Ring aufhört und die Polizeibehörden anfangen", sagt Matthew Guariglia, Politik-Analyst bei der Electronic Frontier Foundation (EFF), einer Interessengruppe für digitale Rechte. Um einen Kommentar zu dem Vorgang gebeten, reagierten Vertreter von Bexar County nicht. Emma Daniels, eine Sprecherin von Ring, sagt, dass die Korrespondenz zwischen Tahari und den Polizeibüros "nicht unsere aktuelle Praxis widerspiegelt". Und Ring habe die Spende von Geräten an Strafverfolgungsbehörden im Januar 2020 eingestellt.

Bis dahin hatte das Spendenprogramm wahrscheinlich schon seine Ziele erreicht, so Chris Gilliard, Gastwissenschaftler am Shorenstein Center der Harvard Kennedy School, der sich mit Überwachungstechnologien beschäftigt. Die breite Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden ist "ein wesentlicher Grund dafür, dass Ring im ganzen Land so gut Fuß fassen konnte".

Ring verteilt zwar keine kostenlosen Kameras mehr, arbeitet aber weiterhin eng mit Polizeidienststellen zusammen. Und das Unternehmen hat neue Strategien entwickelt, um seine Reichweite zu vergrößern. So hat sich Ring kürzlich mit Lennar, einem der größten Hausbauer des Landes, zusammengetan, um seine neuen "Connected by Ring"-Smart-Home-Produkte in allen Lennar-Neubauten zu installieren. Scheinbar nur ein weiterer Verkaufsbonus wie Verandalampen, Sprinkleranlagen oder ausgefallene Küchengeräte. Matthew Guariglia sieht jedoch eine direkte Verbindung zwischen der Partnerschaft mit Lennar und der Polizei-Kooperation. "Wenn Ring und vernetzte Smart-Home-Produkte allgegenwärtig sind", so Guariglia, "ist das ein eingebauter Anreiz für den Kauf weiterer Amazon-Geräte, die sich mit der bereits installierten Technologie des Hauses verbinden können."

(jle)