Überwachung: Wie Amazon mit seiner Ring-Kamera ein Geschäft mit der Angst macht

Seite 2: Kameras gegen Downloads

Inhaltsverzeichnis

Kurz nach dem Start des Pilotprojekts in Cape Coral wurden in Texas zwei weitere Initiativen mit dem San Antonio Police Department (SAPD) und dem Sheriffs Office für Bexar County ins Leben gerufen. Bexar County stellte 50 Kameras für "Stalking-Opfer, Opfer von Gewalt in der Familie und alle Personen mit einer Schutzanordnung" zur Verfügung, so Sheriff Javier Salazar in einer Presseerklärung zum Start des Programms. San Antonio vergab 171 Kameraklingeln für Opfer häuslicher Gewalt, von Gewalt in der Familie und sexueller Übergriffe.

Diese Programme zwischen Amazon Ring und Polizeibehörden mögen auf den ersten Blick verständlich erscheinen. Doch einige Experten für häusliche Gewalt zeigen sich besorgt über diese Initiativen. Vernetzte Kameras "machen die Intervention bei häuslicher Gewalt bequemer und vielleicht auch effizienter", sagt Laura Brignone, Gastwissenschaftlerin an der University of California, Berkeley, die sich mit der Schnittstelle von Technologie und Gewalt gegen Frauen beschäftigt. "Aber sie machen es nicht unbedingt besser." Ihre Befürchtung ist, dass sie eine Kombination aus potenziell gefährlichen Faktoren in das Leben derjenigen einbringen, die sie eigentlich schützen sollen: Strafverfolgungsbehörden, die nicht immer auf die Betroffenen hören, ein Technologieunternehmen mit Lücken in Datenschutz und Transparenz und Programme, die ohne behördliche Aufsicht oder Beratung durch Experten für häusliche Gewalt gestartet wurden.

Häusliche Gewalt betrifft schätzungsweise jeden dritten Erwachsenen in den USA zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens: 40 Prozent aller Morde an Frauen lassen sich darauf zurückführen und 856 Todesfälle insgesamt im Jahr 2017, so die jüngsten Zahlen der amerikanischen Gesundheitsbehörde "Centers for Desease Control and Prevention" (CDC).

David Newlan, ehemaliger Polizeichef von Cape Coral, hatte die Idee für das Programm nach einem Fall aus dem Jahr 2017, in dem häusliche Gewalt zu einem Mord mit Suizid eskalierte. Dem Täter war es durch eine einstweilige Verfügung untersagt worden, sich seinem Opfer zu nähern. Er trug eine Fußfessel, die von einem externen Dienstleister in einer anderen Stadt überwacht wurde. Am Tag des Mordes versäumte es dieses Überwachungsunternehmen jedoch, die Polizei zu benachrichtigen, als seine Fußfessel meldete, dass er sich dem Haus des Opfers näherte. "Wäre ich betroffen, würde ich nicht von einer dritten Partei abhängig sein wollen, die eine Fußfessel überwacht", sagt Newlan. "Ich würde selbst wissen wollen, was vor sich geht."

Das Programm des San Antonio Police Department begann, nachdem Ring an den städtischen Verein gegen häusliche Gewalt herangetreten war. In Bexar County spendete Ring einige Geräte an das Büro des Sheriffs, als Gegenleistung für die Bewerbung der Neighbors-App durch die Polizei: E-Mails zeigen, dass Ring 2018 im September 15 Kameras im Tausch gegen 279 App-Downloads durch Einwohner von Bexar County versendete.

Alle diese Programme stellten Forderungen an die Teilnehmenden. In San Antonio mussten die Betroffenen einen entsprechenden Polizeibericht einreichen. In Cape Coral war eine Schutzverfügung Voraussetzung, und jeder, der eine Kamera erhielt, musste sich bereit erklären, der Polizei auf Verlangen die Aufnahmen auszuhändigen, oder die Kameras würden ihnen wieder weggenommen. Bexar County verlangte, "dass das Opfer bei der Verfolgung des Falls mit den Strafverfolgungsbehörden und der Staatsanwaltschaft uneingeschränkt kooperiert", heißt es in einer per E-Mail übermittelten Erklärung des Informationsbüros der Behörde.

Um Teilnehmer zu rekrutieren, wendet sich in der Regel ein Opferanwalt nach einem Übergriff an die Opfer – oder wenn ein Polizeibericht eingereicht oder eine einstweilige Verfügung erlassen wurde. San Antonio, mit dem größten der drei Programme, führte eine Bedrohungsanalyse der Betroffenen durch, die sich für das Programm interessierten. Dabei wurden Faktoren wie Waffen, Stalking, frühere Verstöße gegen Schutzanordnungen oder eskalierende Gewalt berücksichtigt. In San Antonio war es zwar nicht erforderlich, dass die Teilnehmenden eine einstweilige Verfügung vorweisen konnten, aber es wurde als Faktor berücksichtigt.