Volle Ladung

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Der Wettlauf um die Batteriezukunft mag langsam beginnen. Aber niemand sollte die Verwerfungen unterschätzen, die er mit sich bringt. Was auf die Autobranche zukommt, darauf gibt der Wandel in der Energiebranche einen Vorgeschmack. Lange nahmen viele Stromversorger Batteriespeicher ebenso wenig ernst wie die Fahrzeughersteller. Doch nun führen die massiven Investitionen in ihre Produktion dazu, dass sich das Bild wandelt. Einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger zufolge kostet solarer Strom aus Batterien mittlerweile genauso viel wie jener aus dem Netz.

Viel schneller als auf der Straße, sind sich viele Experten sicher, wird das Batterie-Zeitalter in den Häusern beginnen. Deutsche Mittelständler wie das Dresdener Unternehmen Solarwatt oder Solarbatterie aus Bayern bieten PV-Besitzern seit Langem an, ihren selbst erzeugten Strom für bewölkte Tage zu speichern. Nun bekommen sie mächtige, vielleicht sogar übermächtige Konkurrenz: Elon Musk lässt in seiner Gigafactory auch die Powerwall produzieren. Der Kasten wiegt 100 Kilogramm, sieben Kilowattstunden passen hinein. Ein Vier-Personen-Haushalt kann sich damit einen ganzen Tag lang versorgen. Die Kosten liegen bei 3000 Dollar (zuzüglich etwa 1500 Dollar für den Wechselrichter, der Gleich- in Wechselstrom wandelt). Zum Vergleich: Auch Eon und RWE haben seit einiger Zeit Batteriespeicher im Angebot. Aber Eons Samsung-Akku kostet 6000 Euro bei gerade einmal 3,6 Kilowattstunden Kapazität. Das Sony-Modell von RWE kommt bei gleichen Kennzahlen sogar auf rund 8000 Euro. Kein Wunder, dass für die Powerwall bereits 38000 Bestellungen vorliegen, so zumindest erzählt es Musk. "In den USA mit ihren unzuverlässigen Netzen tut sich ein Riesenmarkt auf", sagt Erdmann.

Aber Musks große Hoffnung ist Deutschland. Angeblich hat er sogar schon bei Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Interesse bekundet, auch hierzulande eine Gigafactory hochzuziehen. Nach Zahlen des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) sind derzeit 30000 Akkus installiert, im vergangenen Jahr wurde bereits etwa jede dritte Photovoltaik-Anlage mit Solarbatterie verkauft. Wenn jetzt die Billigmodelle kommen, "wird der Markt explodieren", glaubt Gerhard Hörpel vom Batterieforschungszentrum MEET der Universität Münster.

Nicht nur Privatleute, auch Unternehmen werden sich auf die billigen Stromspeicher stürzen. Für Unternehmen und Stadtwerke könnten stationäre Batterien in Kombination mit Solar- oder Windkraft reizvoll sein, um hochpreisigen Spitzenlaststrom einzusparen. "Nebenbei verpassen sie sich noch ein grünes Image", sagt Erdmann. In Kalifornien testet Wal-Mart die Powerwall. Für Firmen bietet Tesla zudem eine vergrößerte Powerwall-Variante an – das Powerpack, angeblich beliebig hochskalierbar bis in den Gigawattstunden-Bereich. Das reicht, um eine Fabrik oder eine Kleinstadt zu versorgen.

Die Batterie entwickelt sich damit zur wahrscheinlich größten Herausforderung für die etablierten Energieversorger. 1,5 Millionen Solaranlagen sind derzeit in Deutschland installiert, ein Großteil davon stammt aus dem Jahr 2004. Deren Einspeisevergütungs-Garantie läuft 2024 aus, spätestens dann werden sich diese PV-Besitzer heimische Batteriespeicher anschaffen. Sie alle sind potenzielle Netzabtrünnige. Und je billiger und besser die Speicher werden, desto "mehr Leute werden off the grid gehen", glaubt Stephan Rammler. Dann wird es teurer für die, die on the grid bleiben, weil die Kosten für das Netz auf immer weniger Haushalte verteilt werden müssen. Ein Teufelskreis droht. Eon-Chef Johannes Teyssen hat Strom-Selbstversorger daher schon als "Schwarzbrenner" beschimpft. Helfen wird es nichts, wie Teyssen selbst zu wissen scheint. In einem Interview gestand er ein, dass er nicht davon ausgehe, "dass mit der konventionellen Stromerzeugung künftig noch nennenswert viel Geld verdient werden kann". Eine Branche gerät endgültig ins Rutschen, die 2,2 Prozent des hiesigen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.

Gleichzeitig tut sich ein neuer Markt auf: Jeder, der ein paar stationäre Batterien kauft und sie interessierten Verbrauchern vermietet, hat ein Geschäftsmodell. Hauseigentümer könnten zu Energieversorgern ihrer Mieter werden. "Profite werden künftig mit Dienstleistungen rund um das Produkt Strom erzielt", sagt Teyssen selbst. "Manche dieser Produkte werfen höhere Margen ab, als es im klassischen Stromgeschäft je möglich war." Nebenbei digitalisiert sich der Markt. Wer Batterien clever vernetzt, hat plötzlich ein Kraftwerk im Portfolio. Im Energiemarkt droht eine Entwicklung ähnlich wie damals bei den Computern: Erst gab es Großrechner, dann kleine PCs – und am Ende gewannen die Softwarehersteller. Ein "Google für Energie" ist keineswegs unwahrscheinlich. Um dagegenzuhalten, werden die Energieversorger nicht nur selbst Batterien anbieten müssen, sondern auch eine intelligente Steuerung dazu.

Der Ökostromanbieter Lichtblick macht es vor: Er offeriert in Kooperation mit Tesla die Powerwall ab Mitte 2016 als "SchwarmBatterie" (Preis noch unbekannt). Kunden können ihre Stromspeicher in den Verbund integrieren und als Reservekapazität zur Verfügung stellen – wenn etwa die Nachfrage überraschend steigt oder die Erzeugung sinkt. Lichtblick beteiligt die Batteriebesitzer an den Erlösen, die es mit diesem Modell auf dem Energiemarkt erzielt.

Gelingt dieser Schritt, wären die Batterien sogar eine Chance für die Energiewende. "Jeder geförderte Speicher wird die Stromnetze entlastet und so den Netzausbau reduzieren", erklärt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar. Die Stromspeicher könnten Back-up-Kraftwerke ersetzen und Versorgungssicherheit garantieren. Mittlerweile drängen sogar die Autohersteller in diesen Markt. "Sie haben über die Jahre gewaltiges Know-how in Sachen Batterien angesammelt", sagt Gerhard Hörpel. "Den Markt der stationären Speicher werden sie sich nicht entgehen lassen." Dadurch entstehen weitere interessante Geschäftsmodelle: Daimler beispielsweise will zusammen mit den Stadtwerken Hannover 2017 einen 15-Megawatt-Batteriespeicher in Betrieb nehmen. Er soll als Zwischenlager für Autobatterien fungieren. Denn sie müssen regelmäßig entladen und wieder aufgeladen werden, um nicht an Leistung einzubüßen. Daimler nun will diese Kapazität als Regelenergie anbieten. Klappt es, verdient der Konzern zusätzliches Geld, die Akkus dienen der Netzstabilität, und der Elektroauto-Kunde bekommt im Notfall rasch eine Wechselbatterie.

Diese Beispiele zeigen, wie grundlegend die Energiebranche umdenken muss. Und sie vermitteln ein Gefühl dafür, was auf die Autobranche zukommt. Jetzt rächt sich, dass die Batterieforschung in Deutschland jahrzehntelang vor sich hin dümpelte und erst seit wenigen Jahren wieder forciert wird. Gerade hat Daimler die letzte heimische Batteriezell-Produktion seiner Firma Li-Tec im sächsischen Kamenz verkauft. Alle Hersteller importieren ihre Batteriezellen nun. VW kauft seine Akkus von Panasonic, BMW bei Samsung und Daimler bei LG Chem. Dabei macht der Akku etwa 40 Prozent in der Wertschöpfungskette eines Elektroautos aus. "Die deutsche Autoindustrie verliert nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch an Bedeutung", sagt Stephan Rammler. "Wer die beste Batterie baut, hat einen großen Vorsprung." Die Betriebsratschefs von Daimler und BMW forderten zwar, dass VW, BMW und Daimler jeweils eine Milliarde Euro in eine gemeinsame Batterieproduktion investieren sollten. Die CEOs wollen davon aber (noch) nichts wissen, einzig VW-Markenchef Herbert Diess signalisiert vorsichtig Zustimmung. "Ich fürchte, der Zug ist abgefahren", sagt Rammler.

Hinzu kommt, dass gerade die Herzstücke der deutschen Autohersteller und Zulieferer im E-Auto deutlich einfacher zu bauen sind als in Verbrennern: Sowohl für den Elektroantrieb als auch die Getriebe und Aggregate ist viel der Ingenieurskunst hierzulande nicht mehr entscheidend. Das Autogeschäft der Zukunft könnte sich zur reinen Auftragsfertigung entwickeln, wie es schon bei Smartphones der Fall ist. Bereits heute finden sich unter den Top 20 der größten Autobauer vier chinesische Konzerne. Warum sollte unter ihnen nicht das Foxconn der Fahrzeugherstellung sein? Treten zusätzlich noch autonome Autos ihren Siegeszug an, könnten sich die Verhältnisse so weit umkehren, dass die deutschen Autobauer zu bloßen Zulieferern von Tesla, Google oder Apple degradiert werden. Jürgen Dispan vom Forschungs- und Beratungsinstitut IMU hat 2012 in einer Studie analysiert, welche Auswirkungen die Elektrifizierung auf die Beschäftigungszahlen in der Automobilindustrie haben könnte.

Sein Fazit: Sollten Elektro- und Hybridautos bis zum Jahr 2030 tatsächlich auf Marktanteile von 40 Prozent kommen, werden die Beschäftigungszahlen in der Summe bestenfalls gleich bleiben. Aber auch nur dann, wenn die Branche auf die neue Herausforderung reagiert: "Es trifft vor allem die kleinen und mittleren Zulieferer, die Komponenten für den Verbrennungsmotor liefern", sagt Dispan. "Die müssen sich dringend neu aufstellen", sonst werden sie unter die Räder kommen. Derzeit sieht Dispan aber noch keine Neuorientierung: "Wir beobachten eher ein abwartendes Verhalten."

Die Ausnahme: Bosch. Der Gigant unter den Zulieferern lässt sich erst gar nicht auf das Rattenrennen um die billigste Lithium-Ionen-Batterie ein – sondern bastelt lieber an einer ganz neuen Technologie. "Die Festkörperzelle könnte eine entscheidende Durchbruchstechnologie sein", verkündete Vorstandschef Volkmar Denner auf der IAA 2015. Mit dem Kauf des US-Start-ups Seeo hat sich Bosch das Know-how und die Patente an dieser neuen Batterietechnologie gesichert. In fünf Jahren soll der neue Super-Akku serienreif sein und eine mehr als doppelt so hohe Energiedichte bieten wie derzeitige Lithium-Ionen-Akkus. Auch das ist eine Wette auf die Zukunft. Aber sie eröffnet die Chance, dass Deutschland doch noch das Zeitalter der Batterien mitgestalten kann – und nicht nur von ihm gestaltet wird. (jlu)