Vor 30 Jahren – der KGB-Hack fliegt auf

Seite 3: Hacken als Ausgleich zwischen West und Ost

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"Ich glaube, es waren DOB und sein Freund Pedro, die die Idee hatten, das Projekt 'Equalizer' zu nennen", erinnert sich Hans-Heinrich Hübner heute. Inmitten der von Gorbatschow eingeleiteten "Perestroika" für Ausgleich im Ost-Westgefälle bei der Mikroelektronik zu sorgen, das hatte was. "Meine Idee war eher so: Hacken ist in Deutschland gefährlich, da müssen wir einen sicheren Arbeitsplatz haben, da in Ostberlin. Das war jedenfalls meine Motivation", erzählt Hübner.

Der von Hübner im Gespräch erwähnte "Pedro", bürgerlich Peter Carl, war ein ehemaliger Croupier und Gelegenheitsarbeiter, der wegen seines Drogenbedarfs ähnlich wie Karl Koch stets in Geldnöten war. Anfang September 1986 setzte Carl die eher scherzhaft geäußerte Idee um. Er warf sich in Schale, fuhr nach Berlin und marschierte direkt in die sowjetische Botschaft. Hübner erinnert sich: "Pedro kam dann eines Tages an und erzählte, dass er drüben gewesen war und mit den Russen gesprochen hatte und die nur Software wollten. Die haben ihm 'ne Liste gegeben, was sie wollten, z.B. den Cobol-Compiler Version 3.1 für die Vax. Die von der sowjetischen Handelsmission sahen in uns vor allem eine Quelle für Raubkopien. Du konntest ja damals keinen Vax-Compiler im Laden kaufen."

Auf der Liste standen die Betriebssysteme Unix, VM und VMS, sowie diverse Compiler, aber auch allgemeine Angaben wie CAD/CAM, Ashton Tate oder Borland. "Das lief dann so ab, dass Pedro seine Spezis abklapperte, was sie so haben und dann ist er nach Ostberlin zu Sergej", erinnert sich Hübner. Unix wurde so aus der Firma "rüberkopiert", in der Markus Hess arbeitete, mit HILO 2 von Genrad wanderte ein Optimierungsprogramm für das Chip-Design in den Ostblock.

"Wir wollten schon zeigen, dass wir auch was können. So hab ich mal aus den internen Rechnern von DEC selbst 'Securepack', ein Shellskript runtergeladen, das hatte mir ein Freund aus Hamburg, der Obelix, dann auf Tape gezogen", so Hübner. Einmal fuhr er mit, genoss den unbehelligten Grenzübertritt und das Kiffen auf dem Alexanderplatz, ehe es in die Leipziger Straße zu Sergej ging. Sergej zahlte jedes Mal in bar mit Hundertern. Für Unix gab es den größten Batzen, 25.000 DM, für Securepack immerhin noch 3000 DM. Dazu kam eine Besuchspauschale von 600 DM. Insgesamt kamen so 90.000 DM zusammen, von denen Pedro als Kurier die Hälfte für sich behielt, ehe er die Scheine verteilte.

Nun war die Zeit, in der die westdeutschen Hacker Ostberlin aufsuchten, auch genau die Zeit des "großen Sprunges" in der DDR. In der Mikroelektronik wollte man gegenüber dem Westen aufholen und die so entwickelten Produkte in die Ostblock-Staaten verkaufen, die unter dem CoCom-Embargo der NATO standen: eine Vax, auf der sich die Hacker amüsierten, durfte nicht in den Ostblock verkauft werden, bei Speicherbausteinen war bei 256 KB DRAM Schluss. 120 Millionen Valutamark (=DM) standen für die Aufholjagd zur Verfügung, in der die DDR-Lenker 1986 zwei große Ziele formulierte.

So sollte das Kombinat Robotron die K1840 entwickeln, eine 1:1-Kopie der Vax 11/780 von DEC. Erste Modelle wurden bereits 1987 ausgeliefert, die offizielle Präsentation war auf der Frühjahresmesse Leipzig 1988. Passend zu dieser Großbaustelle wurde die Entwicklung eines eigenen Megabit-DRAM-Chips voran getrieben, wie er in der K1840 benötigt wurde. Die ersten Exemplare dieses Chips wurden im September 1988 dem Staatslenker Erich Honecker übergeben, der sie wiederum dem russischen Staatslenker Gorbatschow als Beweis für die Überlegenheit der DDR gegenüber der Perestroika überreichte.

Vieles spricht dafür, dass die Listen, die den jungen Hackern gegeben wurden, genau den Softwarewünschen entsprachen, die zur Aufholjagd benötigt wurden. So unterhielt Karl Nendel, der "General der Mikroelektronik" der DDR in Moskau ein eigenes Büro zur Koordinierung der Entwicklungsarbeiten. Leider sind die Dokumente des KGB derzeit für Historiker noch nicht einsehbar, was damit zu tun haben könnte, dass der damals für Robotron zuständige KGB-Agent in Deutschland ein gewisser Wladimir Putin war.

Es gibt jedoch Indizien: Als Ende 1987 eine K1840 mitsamt Betriebssystem-Software und Compilern nach Brasilien verkauft wurde, wütete Karl Nendel darüber, dass der Quellcode der ausgelieferten Software in der Eile nicht ausreichend genug "neutralisiert" worden war, also ihr Ursprung nicht hinreichend verschleiert: Etliche Code-Passagen enthielten Hinweise auf DEC. "Revolver-Karl" Nendel (so sein Spitzname in der DDR) forderte eine "tiefgründige sicherheitspolitische Auswertung dieses leichtsinnigen Verrats". Dazu kam es nicht mehr, denn die DDR brach zusammen.

Auf die Frage, warum man nicht versuchte, DDR-Repräsentanzen zu kontaktieren, hat Hans-Heinrich Hübner im Jahre 2018 keine schlüssige Antwort parat: "Irgendwie war die DDR noch viel weiter weg für uns als die Russen". Klar, man tigerte über den Alexanderplatz und kiffte unter den Köpfen von Marx und Engels, bevor es in die Leipziger Straße ging, aber sonst? "Als die Mauer fiel, bin ich sofort hinüber und habe die Hacker getroffen, die in diesem "Haus der Talente" herumhingen, also Frank Rieger und all die anderen, die ihren Weg in den CCC fanden, aber damals dachte ich nicht im Traum daran, weder an DDR-Leute noch an Hacker dort drüben", erzählt Hübner.