Vor 30 Jahren – der KGB-Hack fliegt auf

Seite 2: Durchsuchungen in Hannover

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Die Polizeiaktion im März 1989 hatte ein Vorspiel. Am 27. Juni 1987 durchsuchten Polizeibeamte in Hannover die Wohnung des Programmierers Markus Hess alias "Urmel" sowie die Firmenräume der Focus Computer GmbH. Zwei Beamte des Bundeskriminalamts, sowie vier IT-Spezialisten und ein Staatsanwalt aus Bremen waren bei der Aktion zugegen und suchten nach Beweismaterial für einen "Computerbetrug". Als Firmeninhaber Udo Flohr die Beamten fragte, was sie denn genau suchten, war die Ratlosigkeit groß. Mehr als den Hinweis auf eine Beschriftung einer Datei oder Diskette namens "SDInet" hatten die Fahnder vom US-amerikanischen FBI nicht übermittelt bekommen. Diese irgendwo gespeicherte Datei sollten sie irgendwie finden.

Das war die berüchtigte SDI-Datei, von vorne bis hinten ein kompletter Fake: sie war vom US-amerikanischen Admin Clifford Stoll aus allen möglichen Unterlagen zusammenkopiert worden und war vor allem eine ziemlich große Datei. Stoll war im Lawrence Berkeley Institute über einen Fehler bei der Abrechnung von Computernutzungszeiten gestolpert und kam so Hackern auf die Spur, die sich in "seinem" Rechner aufhielten. Der oder die Hacker nutzten mehrere US-Datennetze und Rechner, ließen sich aber bis nach Europa zurückverfolgen. Dort, an der Universität Bremen, verloren sich die Spuren.

Hier kam Stolls SDInet-Idee ins Spiel. Der einzige Zweck von SDInet war eben ihre schiere Größe, womit sie ein früher Honeypot war – Stoll nannte sie sein "Kuckucksei": ein Download dieser Datei sollte so lange dauern, dass die Universität Bremen im Verbund mit der Deutschen Bundespost und des Bundeskriminalamtes feststellen konnte, wer eigentlich derjenige war, der in US-amerikanischen Netzen via Datex-P herumschnüffelte. Die Spur führte zu Markus Hess, der sich über eine in Hannover identifizierbare NUI-Nummer (Network User Identification) einwählte, brachte aber zunächst wenig Klarheit, da keine Beweise gefunden wurden.

Für Focus Computer ging die Sache überhaupt nicht gut aus. Das FBI warnte US-amerikanische Computerfirmen vor der Hannoveraner Firma, die DFÜ-Programme (Daten-Fern-Übertragung) so umbaute, dass sie den FTZ genannten Segen (FernmeldeTechnischeZulassung) der Bundespost bekamen, in ihrem geheiligten Netz zu arbeiten. Schlimmer noch: "Markus Hess war dafür sicherheitsüberprüft worden und derjenige unserer Entwicklung, der im Telekom-Labor ein- und ausgehen durfte", erinnert sich Udo Flohr heute. So verlor man viele wichtige Aufträge der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Postministeriums und ging Anfang der 90er pleite.

Im August 1988 veröffentlichte der Chaos Computer Club das Chaos Computer Buch, in dem über die via Datex-P betriebenen Datenreisen deutscher Hacker zu Computern in der Schweiz, in den USA und Asien berichtet wurde. Leicht überheblich wurde da die Polizeiaktion in Hannover bewertet: "In der deutschen Hackerszene hat sich Dr. Clifford Stoll einen verhältnismäßig guten Ruf erworben. Hacker sind auch gute Verlierer und vereinzelt werden Stimmen laut, 'den Stoll' zum nächsten Hackerkongress nach Hamburg einzuladen."

Mit im Buch der guten Verlierer: ein Text über die Tricks, wie Hacker auf VAX-Rechnern eindringen und sich Root-Rechte als Systemverwalter besorgen können und ein Bericht "Welcome to the NASA-Headquarter". Dieser Text beschrieb ausführlich, wie sich "VAXbuster" in zwei Rechner der Raumfahrtbehörde NASA einnisten und Trojaner installieren konnten. Ziel des lustig geschriebenen Textes war es, das Hacken der Jugendlichen zu entkriminalisieren. Denn im August 1986 war das "Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" in Kraft getreten, demzufolge jedem eine Freiheitsstrafe von drei Jahre bestrafte, wer Daten "die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, sich oder einem anderen verschafft".

Nur sollte der neue §202a "nicht gleich jeden jugendlichen Computer-Freak bei der Ausübung seines Hobbys zum Kriminellen stempeln“, wie dies der CSU-Abgeordnete Eicke Götz bei der Aussprache im Bundestag formulierte. "Sogenannte Hacker, die sich mit dem bloßen Eindringen in ein Computersystem begnügen, sich also nicht unbefugt Daten verschaffen, sollen dagegen von Strafe verschont bleiben," betonte er.

Wir bleiben in Hannover und gehen etwas weiter zurück. Im Jahre 1983 begann Karl Koch, sich für Computer zu interessieren. Zunächst nur als Arbeitsmittel, dann, bereits unter dem Einfluss von "Illuminatus!" und dem regelmäßigen Konsum von Speed und LSD als Machtmittel. Mit Freunden gründete er einen Hackerstammtisch "als Ableger vom Chaos Computer Club", wie er in seinem Lebenslauf schrieb. Über den Stammtisch lernte er Markus Hess kennen, außerdem den Berliner Hans-Heinrich Hübner, der unter dem Handle "Pengo" unterwegs war und als Spezialist für Vax-Rechner der Firma Digital Equipment (DEC) galt. Der Älteste in diesem Kreis war Dirk-Otto Brezinski alias "DOB", ein in Berlin lebender Hannoveraner, der als Spezialist für Siemens-Großrechner-Notfälle viel Geld verdiente. Er wurde für den stets klammen Koch der wichtigste Geld- und Drogengeber.

Auf der CeBIT zeigte Karl Koch im März 1986 öffentlich die Hohe Schule des Hackens an einem Atari. "Im gleißenden Scheinwerferlicht unter den Augen von Fernsehkameras demonstrierte 'Hagbard Celine' das, was er sonst mit seinen Freunden in verschwiegenen Hinterzimmern treibt. Er drang mit einem Homecomputer in einen fremden Großrechner ein, besichtigte die Datenbestände der US-amerikanischen Caltec-University. Der eigentlich publizitätsscheue 20jährige Schüler gehört mit 'Pengo' (17) und dem Kälteanlagenbauer 'Kugelfisch' zu Hannovers eifrigsten Hackern", schrieb die Neue Presse zum spektakulären Auftritt. Er sollte zeigen, wie harmlos die "Computer-Freaks" beim Ausüben ihres Hobbys der Datenreise durch fremde Systeme doch sind.

Ganz so harmlos war die Sache freilich nicht, denn noch auf der CeBIT wurde Karl Koch von zwei Holländern angesprochen, die ihm satte Honorare in Aussicht stellten, wenn er sich dafür gezielt in von ihnen genannte Rechner einloggen und dort Dateien kopieren würde. Als er diese Geschichte am Hackerstammtisch erzählte, ist das Gelächter groß, doch wurde die Idee geäußert, dass das gesammelte Material von Datenreisen in all diesen US-Computern wohl für den sowjetischen Geheimdienst KGB von Interesse wäre.