Vor 30 Jahren – der KGB-Hack fliegt auf

Seite 4: Der Weg zu SDInet

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Hübner alias Pengo war der erste, der sich Anfang 1987 abseilte. Übrig blieb allein Markus Hess alias Urmel, der über das erste Halbjahr 1987 die sowjetische Handelsmission belieferte – die anderen drei besaßen nicht die Fähigkeiten oder wollten, wie Dirk-Otto Brezinski aus Prinzip nicht hacken. Es war die seltsame Datei SDInet, durch die die Sache schließlich aufflog.

Doch auch nach den Hannoveraner Hausdurchsuchungen bei Hess und Focus Computer blieb es ruhig um die Hacker. Die Situation änderte sich schlagartig, als im April 1988 in der Zeitschrift Quick ein Artikel über die Detektivarbeit von Clifford Stoll erschien. Dieser schilderte reißerisch die "Jagd auf die deutschen Hacker, die das Pentagon knackten". Jetzt war man interessiert, mehr über die deutschen Hacker zu erfahren, die durch die Datennetze zu US-Computern reisten, ins Pentagon eindrangen und Militärgeheimnisse entführten. Am 5. Juli 1988 stellte sich Karl Koch, am 20. Juli Hans-Heinrich Hübner dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), beide jeweils von Anwälten begleitet.

Sie folgten damit einer Empfehlung des Chaos Computer Clubs, der anlässlich der NASA-Hacks im August und September 1987 zwischen den Hackern und dem BfV vermittelte. Nach der Befragung der beiden gab das BfV die Ermittlungen an das Bundeskriminalamt weiter. Während der BfV eine Opportunitätsbehörde ist, die Ermittlungen nach eigenem Ermessen einstellen kann, arbeitet das BKA nach dem Legalitätsprinzip und ist verpflichtet, registrierte Straftaten zu verfolgen. Peter Carl, Dirk-Otto Brezinski und Markus Hess wurden verhaftet, Dutzende von Wohnungen untersucht – und in der ARD lief parallel der erwähnte Sensations-Brennpunkt.

Bis zu ihrem Prozess vor dem Staatsschutzsenat in Celle mussten Carl und Brezinski die Zeit in Untersuchungshaft verbringen, während Markus Hess dank günstiger Sozialprognose bald die Haft verlassen konnte: er hatte eine Stelle als Programmierer bei der CosmoNet GmbH angetreten, einer damaligen Tochterfirma des Heise-Verlags. Mit dem Tod von Karl Koch war Hans-Heinrich Hübner zu einem der wichtigsten Zeugen im Prozess gegen die drei verbleibenden KGB-Hacker geworden. Der andere war Clifford Stoll, dessen Buch "Kuckucksei" sogar Prozesslektüre wurde. In der Befragung durch den vorsitzenden Richter Leopold Spiller machte Stoll deutlich, dass die hoch geheime Datei SDInet nichts weiter war als ein Sammelsurium willkürlich zusammen kopierter Dokumente mit erfundenen militärischen Namen.

Auf Nachfragen von Spiller konnte keine Softwarefirma genannt werden, die einen erlittenen Schaden geltend machen wollte. Nach zwölf Verhandlungstagen erging das Urteil: Hans-Heinrich Hübner blieb straffrei. Peter Carl erhielt eine zweijährige Freiheitsstrafe, Markus Hess bekam ein Jahr und acht Monate, Dirk-Otto Brezinski ein Jahr und zwei Monate. Alle Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt und von den 90.000 DM mussten 18.000 an die Staatskasse gezahlt werden: Aus der Tatsache, dass die Hacker statt der gewünschten Million nur 90.000 bekamen, schloss das Gericht, dass die Sowjetunion das Material nicht zu nutzen wusste: "Viel Wertvolles kann in den Lieferungen an den KGB-Agenten Sergej in Ost-Berlin nicht gewesen sein", meinte Richter Spiller zum Schluss. Die Angeklagten nahmen das Urteil erleichtert an.

Als die Bombennachricht vom KGB-Hack platzte, war der Schock beim Chaos Computer Club groß und hätte beinahe den Club zerstört. Der Club verlor damit vorerst sein Image als unschuldiger Mahner und Visionär, schrieb Matthias Röhr in seiner Arbeit über den CCC. Wau Holland, damals der CCC-Übervater, veröffentlichte in der tageszeitung einen Artikel, dass Hacker von Natur aus nicht mit Geheimdiensten zusammenarbeiten würden. Es würde der Hackerethik widersprechen, Daten an Agenten zu verkaufen, daher seien die KGB-Hacker eben keine Hacker. Als moralische Leitplanke würde vielmehr gelten "Hände weg von Militär und Geheimdiensten." Pragmatischer äußerte sich Steffen Wernéry, damals Vorsitzender des CCC auf einer Gedenkveranstaltung für Karl Koch im Jahre 2014: "Im Grunde genommen war mir klar, dass so etwas früher oder später passieren würde."

Auf eben dieser Veranstaltung schilderte Andy-Müller Maguhn, wie der CCC damals nah dran war, sich aufzulösen und der Club gegen eine Panik ankämpfen musste: "Dass einige diese Deals machten, das war schon kritisch, da gab es auf mehreren Ebenen Vertrauensproblem. Die Abgrenzung zwischen dem harmlosen NASA-Hack und diesem KGB-Team fiel nicht nur uns, sondern auch dem BKA schwer. Und dann die gegenseitigen Verdächtigungen. Einige sind da dann aus dem CCC ausgetreten." Insgesamt verlief die Sache aber glimpflich. "Damals passierte so viel, nicht nur in der DDR. Wir hatten dann nach der Barschel-Affäre die Medienhohheit wieder." (mho)