Vor 30 Jahren – der KGB-Hack fliegt auf

Heute vor 30 Jahren berichtete das westdeutsche Fernsehen über den KGB-Hack. Die Schlagzeilen hatten es in sich: "SDI verraten – sind wir jetzt schutzlos?"

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Vor 30 Jahren – der KGB-Hack fliegt auf
Lesezeit: 20 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 2. März 1989 durchsuchten Polizeibeamte und Experten des Bundesnachrichtendiensts eine Reihe von Wohnungen in Norddeutschland. Damit gelangte die Nachricht vom sogenannten KGB-Hack in die Öffentlichkeit. Die Tagesschau berichtete in den Hauptnachrichten, später am Abend gab es eine Sondersendung. "Tausende Daten an den sowjetischen Geheimdienst", titelte eine Zeitung tags darauf. Der Boulevard setzte noch einen drauf: "SDI verraten – sind wir jetzt schutzlos?"

SDI, das war die Strategic Defense Initiative von US-Präsident Ronald Reagan aus dem Jahre 1983, die Idee, einen Raketenschutz gegen die russische Bedrohung aufzuspannen. Von dieser Idee existierte zwar nur ein Plan, aber genau dieser sollte als Datei namens "SDInet.doc" dank der deutschen Hacker in russische Hände gelangt sein.

Wie der Btx-Hack war auch der "KGB-Hack" ein Medienereignis ganz eigener Art. Dafür sorgte vor allem ein Brennpunkt des NDR in der ARD, der noch am selben Abend ausgestrahlt wurde. Die Polizeiaktion gegen vier der fünf KGB-Hacker (einer war bereits verhaftet worden) und gegen vierzehn mögliche Unterstützer wurde medial nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet. In der lange zuvor von zwei Journalisten-Teams vorbereiteten Sendung sprach Moderator Jochen Wagner vom "größten Spionagefall seit Guillaume".

Beim Zuschauer erweckte man den Eindruck, dass höchst geheime militärische Computer geknackt und deren Software an den russischen Geheimdienst verkauft worden sei. Der mit tatkräftiger Hilfe des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufgebauschte Bericht wurde später von Wagner damit gerechtfertigt, dass die Bevölkerung für die neue Spionageform sensibilisiert werden sollte.

Der Sensationsbericht führte nicht nur zu den eingangs zitierten Schlagzeilen, sondern auch zu einem Auflauf von aufdringlichen Journalisten, die es vor allem auf Karl Koch alias "Hagbard Celine" abgesehen hatte, den angeblichen genialen Kopf der Hackerbande. Koch war nach der Polizeiaktion schnell wieder auf freiem Fuße und hatte eine Stelle als Kurierfahrer und Kopier-Aushilfe bei der CDU vermittelt bekommen, was die SPD im laufenden Wahlkampf weidlich ausnutzte: "KGB-Hacker in der CDU-Zentrale". Was der Öffentlichkeit nicht bekannt war: Karl Koch war schwer drogenabhängig, nahm eine Menge an Psychopharmaka und litt unter einer schweren Psychose.

Dies wusste neben seinen Freunden nur das in dem KGB-Fall ermittelnde Bundeskriminalamt, das jedoch ein herausragendes Interesse daran hatte, ihn weiterhin für vernehmungsfähig erklären zu lassen. Im April 1989 schalteten die BKA-Beamten vom nüchternen Ton bei seinen Vernehmungen in einen Drohmodus. Weiterhin von Journalisten umlagert, ließ sich Karl Koch auf allerlei Handlungen ein, posierte mit Laptop und Akustikkoppler in einer Telefonzelle. Das so verdiente Honorar wurde in Drogen umgesetzt. Dem Agenturjournalisten Jochen Sperber erzählte er zuletzt, dass Außerirdische und Illuminaten seinen Gedanken lesen und beeinflussen.

Anfang Juni 1989 wurde Kochs verkohlte Leiche neben seinem Kurierwagen gefunden. Die Obduktion ergab, dass Karl Koch am 23. oder 24. Mai gestorben war. "Alle großen Anarchisten starben an einem 23.", soll Karl Koch in Anspielung auf die Illuminatus!-Triologie von Robert Anton Wilson und Robert Shea gesagt haben. Aus diesem Werk über Verschwörungstheorien und über die Zahl 23 stammte sein Hacker-Handle Hagbard Celine. Im Jahr 1999 kam 23 – Nichts ist so wie es scheint in die Kinos. Der Film erzählte die Geschichte des Hackers Karl Koch und ist, was Karl Koch anbelangt, gut gelungen.