Was der Umstieg auf erneuerbare Energien bedeutet: Die Windkraft

Die Raten des erzeugten Öko-Stroms in Deutschland machen Hoffnung. Doch was bedeutet der großflächige Umstieg auf die regenerativen Energien? Teil 1: Windkraft

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Was es bedeutet, komplett auf erneuerbare Energien umzusteigen (Teil 1)
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Im Januar und Februar 2020 blies der Wind kräftig in Deutschland. Durch den erhöhten Eintrag von Windenergie stieg der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in dieser Zeit auf über 60 Prozent. Freudige Nachrichten. Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung dürfen wir jedoch nicht vergessen: Strom macht in Deutschland nur etwa 20 Prozent der Energie pro Kopf pro Jahr aus. Fast der gesamte Energiebedarf in den Sektoren Nahrungsmittelproduktion und Verkehr wird fossil gedeckt. Wohnraum wird laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zu rund 75 Prozent fossil beheizt.

Die kommenden Langform-Ausführungen zusammengefasst: Wenn wir erneuerbare Energiesysteme wollen, die den gesamten Bedarf decken, müssen diese Deutschland flächendeckend überziehen. Wenn sie in anderen Ländern stehen, müssen sie dennoch gigantische Ausmaße annehmen. Wir sehen uns daher in diesem Text an Erneuerbaren hauptsächlich Wind und Sonne (in Teil 2) an, die einzigen Techniken mit so hohem Energiepotenzial.

Der deutsche Strommix von 2019 macht Hoffnung. Es folgten Anfang 2020 zwei windige Monate, die das Potenzial der Windkraft eindrucksvoll aufzeigten.

(Bild: Fraunhofer ISE)

Um eine Vorstellung zu erhalten, wie viel Primärenergie, also die Brutto-Energie inklusive aller Verluste, ein Deutscher braucht, habe ich die Erhebungen der Weltbank benutzt, deren jüngste Daten für Deutschland aus dem Jahr 2015 stammen: Der Primärenergiebedarf liegt pro Person pro Jahr bei 3818 kg Öl-Äquivalent. Er entsteht recht hemdsärmelig, indem der Energiebedarf der BRD durch ihre Bewohneranzahl geteilt wird. Er enthält also unsere Industrie, aber er enthält keine Konsumwaren, die wir aus Niedriglohnländern einführen.

Als ungefährer Wert reicht er dennoch aus. Umgerechnet in kWh pro Person pro Tag (ich kürze es mit "pPpT" ab) sind das rund 122. David MacKay kommt in seinem Buch Sustainable Energy Without the Hot Air auf 125 kWh pPpT für sein Heimatland, das Vereinigte Königreich. Auf 125 kWh kommt er auch im europäischen Durchschnitt. Das ist der Preis für den Lebensstandard, den Nationen in Afrika und Asien gerade anstreben. Der Verbrauch in Amerika wird auf etwa das Doppelte geschätzt: 250 kWh pPpT. Der reine Endenergie-STROMverbrauch (also netto nach Verlusten, nur Strom) lag 2018 bei rund 20 kWh pPpT.

Ein Tesla Model 3 am Ladestecker der Garage. Batterieelektrische Autos können künftig das Netz unterstützen. Bisher gibt es jedoch nur wenige bidirektionale Ladeeinheiten.

(Bild: Clemens Gleich)

Diese Zahlen zeigen die Größenordnungen, die eine sinnvolle Energiewende zu bewältigen hat. Gehen wir zugunsten der Energiewende davon aus, dass wir effizienter wirtschaften können als 122 kWh pPpT. Das Elektroauto ist dem Verkehrssektor hier eine große Hilfe. Wenn heise/Autos über die Unausweichlichkeit des Elektroautos spricht, dann meinen wir etwas entpackt: Es gibt aktuell keine passendere Technik als den batterieelektrischen Antrieb, um persönliche Auto-Mobilität CO2-ärmer und effizienter zu behalten.

Das Benzinauto verbraucht im Betrieb etwa das Vierfache an Energie, wenn es fossil befeuert wird. Ein Wasserstoffauto bräuchte noch einmal deutlich mehr. Selbst über die Lebenszeit mit energieaufwendigem Akkubau lohnt sich das E-Auto. Synthetische Kraftstoffe, gewonnen aus CO2, werden wir für Flugzeuge und LKW noch brauchen. Sie können uns daher mit dem Bestand helfen, doch wenn wir wirklich langfristig klimaneutral leben wollen, werden wir wahrscheinlich mehrheitlich batterieelektrische PKW fahren, bis jemandem etwas Besseres einfällt.

Andere Effizienzerhöhungen liegen zum Beispiel in Wärmepumpen als Hausheizungen. Aufwendig produzierte Elektrizität ist eigentlich zu wertvoll, um einfach verheizt zu werden. Deshalb ist es üblich und billiger, niederwertigere Wärmeenergie direkt aus Verbrennung zu gewinnen (Gas, Öl, Holz, Kohle). In einer meist elektrisch betriebenen Wärmepumpen-Zentralheizung jedoch kann 1 kW elektrische Leistung mehrere kW Wärme aus einem Wärmeträger holen, üblicherweise Umgebungsluft, Erde, Sonnenkollektor oder Wasser. Aktuell liegt der Anteil von Wärmepumpen in der BRD immer noch unter dem alter Nachtspeicheröfen, aber die Installationsraten in Neubauten machen Hoffnung. Auch moderne Gas-Brennwertthermen (sehr beliebt) können im Bestand sicher noch einiges herausholen. Es soll außerdem ohnehin wärmer werden.

Gehen wir also zugunsten der Energiewende von einem niedrigeren Wert aus, vielleicht von runden 100 kWh pPpT. Diese Annahme nimmt Verbesserungen an. Ob wir künftig wirklich so viel weniger verbrauchen werden, ist jedoch unsicher. Die Geschichte zeigt, dass Effizienzsteigerungen meistens durch Bequemlichkeit und Konsum überkompensiert werden (Rebound-Effekt). Beispiel IT: Wir verwenden außerhalb der Gamer-Szene kaum noch Netzteile mit hunderten Watt Leistung, die hauptsächlich Abwärme erzeugen. Wir verwenden keine stromhungrigen Kathodenstrahl-Monitore mehr. Jeder benutzt mehrheitlich extrem effiziente Mobil-Hardware. Dafür haben wir viele Geräte, verwenden sie ständig, und riesige Rechenzentren halten unsere Daten vor.

Nach Schätzungen der ETH Zürich lassen daher selbst die erheblichen passierten und extrapolierbaren Effizienzsteigerungen nur wenig netto-Energieeinsparungen erwarten. Genauso im Verkehr: Jahrzehntelang optimierten die besten Ingenieure den Verbrauch, damit wir in massigeren, luxuriöseren, mehr gefahrenen Autos überkompensieren. Heute liegt der Verkehrssektor-Energiebedarf wieder auf dem Niveau der 1990er-Jahre.

Doch bleiben wir trotz allem bei 100 kWh. Dann bräuchten wir pro Jahr in einem effizienteren Deutschland: 82,78 Millionen Einwohner (Zensus 2018) mal 100 kWh mal 365 Tage = etwa 3021 TWh. Können wir die selber herstellen? Oder zumindest in relevanter Weise unabhängiger werden von Energieimporten im Vergleich zu heute?

Fraunhofer schätzt das Potenzial von Offshore-Anlagen auf 258 TWh pro Jahr. Heutige Anlagen stehen im (relativ) niedrigen Wasser, weil sie dort im Boden verankert werden können.

(Bild: RWE)

Schwer schluckbare Pille für alle, die gerade mit dem Feldstecher den Horizont nach einem Rotmilan absuchen, der den Windradbau verhindern könnte: Ein Deutschland, das sich zu relevanten Teilen selbst mit erneuerbarer Energie versorgt, braucht Windräder. Solarenergie steht saisonal stark unterschiedlich an. Speicherkapazitäten bis über einen Winter sind gelinde gesagt schwierig umzusetzen. Wir brauchen Solar- UND Windkraft. Doch wie viel davon? Überschlagen wir für eine ungefähre Vorstellung wieder die Größenordnungen.

Weiter draußen im Meer müssten die Windräder schwimmen. In Versuchen zeigt sich, dass solche Windkraftanlagen schwierig zu handhaben sind. Das mag sich in den kommenden Jahrzehnten noch ändern.

(Bild: RWE)

Dazu habe ich mir reale Windparkdaten angeschaut. Dort liegen die Werte bei 1,4 W / m² bis 2,2 W / m² (BODENfläche, nicht zu verwechseln mit Berechnungen der Rotorenflächenleistung), je nach Windgegebenheiten. Ich halte in Deutschland im Schnitt (nicht überall bläst der Wind kräftig) rund 1,5 W / m² für optimistisch realistisch, das sind ~13 kWh / m² / Jahr. Dann bräuchten wir 232.384 km² Fläche. Das ist natürlich eine theoretische Annahme. Wir werden unseren Strombedarf ja nicht allein über Windräder decken.

Es geht hier nur darum, die Größenordnungen zu verdeutlichen. Deutschland hat insgesamt 357.582 km² Fläche (lt. Umweltbundesamt 2018). MacKay rechnet für das deutlich windkräftigere Vereinigte Königreich mit 2 W / m². Wenn wir diese schon dort optimistische Annahme für uns übernehmen, lägen wir immer noch bei 172.432 km². Ich denke, die Grundaussage ist klar: Windkraft ist dünn gesät, deshalb brauchen wir sehr viel Platz dafür. Wer dann „kein Windrad sehen“ will, muss sich ein Loch graben. Sie stünden wirklich überall. Und es gibt noch weitere Haken.

Die zugrunde gelegten Annahmen zur Energiedichte pro m² gehen von einer guten Windkraft-Ausnutzung aus, wie wir sie bei der heutigen Installationsdichte noch fahren können. Die Windräder stehen häufig allein oder in Formationen, in denen der Windschatten minimiert wird (z. B. quer zur Hauptwindrichtung). Bei Installationsdichten von Nationengröße wie besprochen wird der Windschatten aber ein Thema. Die dem Wind entnommene Energie ist ja teilweise weg. Das nächste Windrad im Windschatten kann sie nicht mehr voll nutzen, und wenn alles voller Rotoren ist, gibt es mehr Windschatten. Eine Studie des MIT hat das 2016 in einer Simulation untersucht. Dabei sanken die Werte herunter auf 0,3 bis 0,5 W / m² in normal windigen Lagen, mit 1 W "möglich" im besonders windigen mittleren Westen der USA.

Die Simulation erhielt (pardon the pun) Gegenwind mit dem Vorwurf, die Werte seien rund 50 Prozent zu niedrig. Dann wären es im Spargelwald 0,6 bis 1 W pro m². Egal wie, die Grundannahme ist richtig: Die Anzahl von Windrädern pro Bodenfläche senkt bei zu hoher Dichte deren Ertrag pro Quadratmeter. Das wissen Park-Betreiber schon lange. Wir sind von solchen Installationsdichten allerdings Welten entfernt. Das Max-Planck-Institut untersuchte 2019 aktuelle deutsche Installationsdichten und fand noch keine Hinweise auf Windschatteneffekte.

Das bleibt wahrscheinlich auch so, denn es lohnt sich nicht jeder Standort für ein Windrad – in der einfachsten Konfiguration, wenn es mehr Energie kostet, das Ding zu bauen, als es über seine Lebenszeit abwirft. Die Kapazitäten "aller aus heutiger Sicht nutzbaren" Offshore-Flächen Deutschlands können nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts 258 TWh / Jahr liefern. Ebenda wird von 2 Prozent nutzbarer Landfläche für Onshore-Windkraft geredet: 390 TWh, und das ist ohne Altmaiers 1000 Armlängen Abstand. Wahrscheinlich liegt irgendwo im mittleren bis hohen dreistelligen TWh-Bereich der sinnvolle Beitrag der Windkraft in Zukunft. Bei der Annahme von einem auf 100 kWh pPpT gesenkten Verbrauch müssen wir aber insgesamt irgendwo rund 3000 TWh herbekommen.

Von den Kosten und den erforderlichen Speicherkapazitäten haben wir noch gar nicht gesprochen. Egal welche Speichersysteme, sie brauchen zusätzliche Fläche, zusätzliche Investitionen. E-Autos am Smart Grid sind dann ein unbedingtes Muss, reichen aber nicht für eine mehrtägige Flaute aus. Ich sage nicht, dass wir Windkraft lassen sollten. Im Gegenteil finde ich sie sehr nutzenswert. Wir sollten nur ein realistisches Bild der Sache im Kopf behalten, bevor wir in großem Maßstab Geld ausgeben.

Egal, wie der künftige Energiemix aussieht: Er enthält selbstverständlich mehr als nur Windkraft. Im zweiten Teil des Artikels sehen wir uns Sonnenenergie in Deutschland und der Sahara an, Energiespeichersysteme und den Pariah der Energieerzeugung, die Atomkraft.

(cgl)