Wie FBI-Spionagevorwürfe ein Forscherleben ruinierten: der Fall Anming Hu

Seite 2: Chinesen unter Verdacht

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China, so die Argumentation des Justizministeriums, verlasse sich nicht auf herkömmliche professionelle Informationssammler, sondern auch auf Geschäftsleute, Akademiker, Studenten, Touristen und jeden mit einer „Verbindung zu China“. Die USA müssten mit ihrem eigenen koordinierten Ansatz reagieren, sagte Barr. So wurden in China geborene Wissenschaftler und Forscher, insbesondere Teilnehmer sogenannter Talentprogrammen, zu einem der Hauptziele.

Kritiker monieren, dass die Bedrohung durch Wirtschaftsspionage aus China zwar existiert, die Reaktion der US-Regierung jedoch unverhältnismäßig und ineffektiv gewesen sei. 2014 benannte der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert Gates „ein Dutzend bis 15 Länder“, die US-Technologien stehlen würden. Darunter sei auch der NATO-Verbündete Frankreich. Einer Analyse des Cato-Instituts zu Spionen, die zwischen 1990 und 2019 verurteilt worden waren, ergab, dass Wirtschaftsspionage zugunsten Chinas nur 27,5 Prozent der Verurteilungen ausmachte, Verstöße im Zusammenhang mit dem Waffenexportkontrollgesetz nicht mitgerechnet. Auf Inlandsspionage zugunsten von US-Unternehmen entfielen 30,8 Prozent und auf Wirtschaftsspionage zugunsten des Iran 19,4 Prozent.

„Es ist absolut angemessen, ein Wirtschaftsspionageprogramm zu haben, denn das ist ein anhaltendes Problem – und China ist sicherlich ein aggressiver Akteur in diesem Bereich krimineller Aktivität“, sagt Michael German, ein ehemaliger FBI-Agent, der zum Whistleblower wurde und am Brennan Center for Justice der New York University forscht. Aber ein spezifisches Programm zu China entziehe der Untersuchung anderer legitimer Bedrohungen Ressourcen.

Das ist jedoch nicht die einzige Sorge im Zusammenhang mit diesem Programm. Als die Bürgerrechtsorganisation „Asian Americans Advancing Justice“ Pressemitteilungen des Justizministeriums zu 79 Fällen auswertete, die auf Betreiben der China-Initiative eingereicht wurden, stellte sie fest, dass 48 Prozent von ihnen nicht zu einer tatsächlichen Anklage wegen Wirtschaftsspionage, Handelsdiebstahl oder mit Spionage in Zusammenhang stehender Straftaten führten, sondern es sich eher um Dinge wie Überweisungsbetrug, Steuerprobleme oder andere Verstöße handelte, die wie im Fall von Hu auf Disclosure-Fehler in Verwaltungsformularen hinausliefen. Die Regierung müsse sich entscheiden, sagt Michael German vom Brennan Center for Justice. „Entweder handelt es sich um ein riesiges Problem mit Tausenden von Beteiligten – und dann sind sie nicht sehr gut darin, diese zu fangen – oder es ist ein überschaubares Problem, das sich auf die tatsächliche staatlich geförderte Wirtschaftsspionage konzentrieren sollte, unabhängig davon, aus welchem Land sie kommt.“

Befürworter sagen, dass die China-Initiative zu einer Entschuldigung für Racial Profiling geworden sei. Die Behandlung asiatischer Amerikaner als „nicht vertrauenswürdige Ausländer“ ist seit langem Teil der US-Geschichte. Im Jahr 1882 verbot ein „Chinese Exclusion Act“ genanntes Gesetz chinesischen Einwanderern gar für zehn Jahre die Einreise in das Land. Und während des 2. Weltkriegs nahm die US-Regierung Hunderttausende unschuldiger Japaner fest. Unter den Regierungen Clinton und Obama gab es eine Reihe gescheiterter Spionageverfahren gegen chinesisch-amerikanische Wissenschaftler, darunter Wen Ho Lee vom Los Alamos National Laboratory, Xi Xiaoxing von der Temple University und Sherry Chen vom National Weather Service.

„Die China-Initiative geht ausdrücklich von der Theorie aus, dass es eine Art ethnische Affinität von Menschen chinesischer Abstammung gibt – selbst wenn sie Staatsbürger der Vereinigten Staaten oder Kanadas sind –, zum Vorteil von Peking gegen US-Recht zu verstoßen“, sagt Frank Wu, Präsident des Queens College der City University of New York. Unter diesem System „werden normale Verhaltensweisen wie die wissenschaftliche Zusammenarbeit oder der Besuch der Mutter [in China] plötzlich verdächtig“.

Die China-Initiative habe auch eine abschreckende Wirkung auf chinesisch-amerikanische Wissenschaftler gehabt, sagt MIT-Wirtschaftswissenschaftler Huang. Während seiner regelmäßigen Treffen mit dem „Asian American Scholar Forum“ hätten einige Angst vor einer Verhaftung, Angst vor dem Verlust ihrer Geldmittel sowie Angst vor der Art und Weise geäußert, wie sie von ihren nicht-chinesischen Kollegen wahrgenommen werden könnten. Junge Doktoranden suchten nicht mehr nach Professuren in den USA, während etablierte Wissenschaftler sich nach internationalen Optionen anderswo umschauten. Einige kehrten nach der Zerstörung ihrer Karriere in den USA zu prestigeträchtigen Ämtern in China zurück. Genau dieses Ergebnis wollte die China-Initiative eigentlich vermeiden. „Es ist ziemlich schlimm und ziemlich allgegenwärtig. Wir sehen, wie dieses Klima der Angst chinesisch-amerikanische Wissenschaftler einholt“, sagt Huang. „Die USA verlieren aufgrund der China-Initiative die talentiertesten Menschen an andere Länder. Das ist schlecht für die Wissenschaft. Das ist schlecht für Amerika.“

Für Aktivisten und Forscher im Bereich der Zivilgesellschaft, die die China-Initiative verfolgt haben, ist Hus Fall alles andere als überraschend. Hu, ein in China geborener kanadischer Staatsbürger, ist ein gefeierter Forscher auf dem Gebiet der Nanotechnologie. 2013 holte ihn die University of Tennessee als Lehr- und Forschungsbeauftragten. Laut dem Knoxville News Sentinel erzählte Hu bei mehreren Gelegenheiten, dass er in Teilzeit als Lehrerder für Doktoranden und Forscher an der Beijing University of Technology gearbeitet habe. Das hat damals keine Fragezeichen aufgeworfen. Als Hu anfing, mit der NASA zusammenzuarbeiten, der es rechtlich untersagt ist, Forschungen mit einer „Beteiligung, Zusammenarbeit oder Koordination“ mit „China oder einem chinesischen Unternehmen“ zu finanzieren, versicherten die Universitätsadministratoren sowohl Hu als auch der Regierungsbehörde, dass diese Teilzeitarbeit nicht gegen die Beschränkung verstoße. Das Gesetz gelte für die NASA, nicht für ihre Forschungspartner.

2018 identifizierte das FBI Hu jedoch als möglichen Spion. Während seiner Zeugenaussage sagte Agent Sadiku, er habe durch Googeln eine chinesische Pressemitteilung und einen Flyer gefunden und mit Googles Übersetzungsfunktion eine „grobe Übersetzung“ davon angefertigt. Diese hätte darauf hingedeuten, dass Hu einst einen kurzfristigen Vertrag vom sogenannten Thousand Talents Program der chinesischen Regierung erhalten habe. Das war Beweis genug für Sadiku, um eine formelle Untersuchung einzuleiten.

Beim ersten Besuch in Hus Büro habe der Agent versucht, Hu dazu zu bringen, seine Beteiligung an einem Talentprogramm zuzugeben. „Sie sagten: Sie sind so klug. Sie sollten am Thousand Talents Program teilgenommen haben“, erzählte er während seines Prozesses. „Ich entgegnete: Ich bin nicht so schlau.“ Sadiku versuchte auch, ihn zu überreden, selbst für die US-Regierung als Informationssammler (also als Informant) tätig zu werden und dafür seine Arbeit an der Universität Peking als Tarnung zu nutzten. Hu lehnte nach Sadikus Besuch per E-Mail ab. Daraufhin intensivierte Sadiku seine Ermittlungen und stellte Hu und seinen Sohn, der gerade sein Studium an der University of Tennessee aufgenommen hatte, unter Beobachtung.

Aber nach fast zwei Jahren Ermittlungen wandte sich Sadiku von den Spionagevorwürfen ab und begann stattdessen mit Ermittlungen für einen Betrugsfall, in dem Hu schließlich angeklagt wurde. Hier kam nun das Universitätsformular ins Spiel, in dem Akademiker alle externen Arbeiten offenlegen müssen, die ihnen mehr als 10.000 Dollar einbringen. Hu gab seinen Teilzeitjob nicht an, da er weniger als 2.000 Dollar erhalten hatte. Sadiku zufolge sei das ein Beweis dafür, dass Hu absichtlich seine Kooperation mit China verschleiert habe, um die NASA zu betrügen.

Beobachtern zufolge klingen die Details des Falls wie andere aus der China-Initiative: Eine Spionageuntersuchung gegen einen chinesischen Forscher wird mit wenigen Beweisen eröffnet, und die Anklage wird später geändert, wenn sich keine Anzeichen von Wirtschaftsspionage finden lassen. Laut dem ehemaligen FBI-Agenten German liegt dies am Druck „auf FBI-Agenten im ganzen Land, jede FBI-Außenstelle und jede US-Staatsanwaltschaft“. Sie müssten Fälle produzieren, die einem bestimmten Framing entsprechen, auch für die Statistik.

Am 17. Juni schließlich, kurz nach der Nachricht vom ergebnislosen Prozess, schrieben Mitglieder des Repräsentantenhaus-Justizausschusses an den Generalinspekteur des Justizministeriums und forderten das Ministerium auf, zu untersuchen, ob es für das FBI ausreichende Beweise ohne Bezug zu Rasse oder ethnischer Zugehörigkeit gebe, ob die Behörde falsche Informationen verwendet oder falsche Aussagen gemacht habe und ob die China-Initiative zu „unbeabsichtigtem Druck“ geführt habe, Racial Profiling zu betreiben. Hinzu kamen Forderungen, das Programm vollständig einzustellen.

„Das Justizministerium braucht keine besondere Initiative, die auf China abzielt, um Spione zu jagen“, sagt Alex Nowrasteh, der Direktor für Einwanderungsstudien am Zentrum für handelspolitische Studien des Cato-Instituts. „Sie sollten in der Lage sein, ihre normalen Methoden und Verfahren anzuwenden.“ Hus Prozess legt nahe, „dass das Ausmaß der chinesischen Spionage wahrscheinlich wesentlich geringer ist, als die Leute denken“, fügt er hinzu. „Wenn es viel mehr davon gäbe, müsste man annehmen, dass es ein bisschen einfacher zu finden wäre. Sie müssten keine Fälle erfinden.“

Was Hu betrifft, so ist sein Albtraum noch lange nicht vorbei. Er steht immer noch unter Hausarrest, bis entweder das Justizministerium entscheidet, den Fall neu aufzurollen oder einzustellen – oder bis der Richter die Anklage der Regierung vollständig abgewiesen hat. Er ist seit Ablauf seines US-Arbeitsvisums arbeitslos, aber wegen des Hausarrests kann er nicht nach Kanada zurückkehren, um es zu verlängern. Dies könnte ihn laut seinem Anwalt zudem ins Fadenkreuz der Einwanderungs- und Zollbehörden bringen. So bleibt ihm nur, auf den nächsten Schritt der US-Behörden zu warten.

(vsz)