Mit leuchtenden Zellen schneller Medikamente entdecken

Ein Forschungskonsortium hat eine umfangreiche Datenbank von bildbasierten Zellprofilen veröffentlicht, die die Wirkstofferkennung beschleunigen könnten.

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(Bild: JUMP-Cell Painting Consortium)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Esther Landhuis

Die Entwicklung neuer Medikamente ist nicht leicht. Einer der ersten Schritte bei der Identifizierung passender Wirkstoffe besteht darin, diese zusammen mit Zellen in eine Petrischale zu geben und dann mit dem Mikroskop zu untersuchen, was passiert. Biologen, die diese Arbeit machen, konzentrieren sich in der Regel auf einige wenige ausgewählte Merkmale, die darauf hindeuten könnten, dass das Medikament wirkt – zum Beispiel eine Anhäufung von fluoreszierend markierten Proteinen oder eine Abnahme der Anzahl sich teilender Zellen.

Die Strategie ist mühsam und zeitaufwändig und scheitert oft daran, dass die Forscher nicht wissen, wonach sie eigentlich suchen sollen – oder wo in der Zelle genau. Künftig könnte sich das ändern, indem der Prozess umgedreht wird: Alles messen und dann später die Fragen stellen. Unter diesem Motto steht eine neue Arbeit von Forschern am Broad Institute der Harvard University und des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort haben Forscher eine Methode entwickelt, um einen wahren Schatz an Informationen über das Innenleben einer Zelle zu gewinnen, den sie über Jahre hinweg auswerten können.

Die als "Cell Painting" bezeichnete Methode verwendet bis zu sechs fluoreszierende Farbstoffe, um wichtige Bestandteile der Zelle, wie etwa den Zellkern und die Mitochondrien, leuchten zu lassen. Ein Mikroskop nimmt Bilder der verschiedenen Farbstoffe in der Zelle auf. Dann misst eine Software morphologische Merkmale wie Größe, Form, Intensität und Textur und erstellt ein bildbasiertes Profil der Probe. Werden Wirkstoffe zu den so präparierten Zellen gegeben, erfasst das Mikroskop, was daraufhin alles in der Zelle geschieht – vermehren sich die Mitochondrien, zeigt der Zellkern Aktivität?

Es handelt sich um "den einfachsten bildgebenden Test, den man durchführen kann", sagt die Computerbiologin Anne Carpenter, die die Methode entwickelt hat und gemeinsam mit Shantanu Singh das zuständige Labor am Broad Institute leitet. "Unsere Aufgabe war es, die absolut billigsten und einfachsten Farbstoffe auszuwählen."

Neben der Benutzerfreundlichkeit liegt die Stärke von Cell Painting in der schieren Menge an Daten, die aus einem einzigen Experiment stammen können. Die neu veröffentlichte Datenbank enthält Bilder von Zellantworten auf mehr als 140.000 Einflüsse – entweder auf einen Wirkstoff oder eine andere Veränderung, die die Aktivität eines Gens erhöht oder verringert (etwa Temperatur, Strahlung, Stress).

Anhand dieses Datensatzes fanden Carpenter und einige ihrer Kollegen ein Dutzend Wirkstoffe, die dieselben Strukturen zu beeinflussen scheinen, die auch durch ein Gen verändert werden, das schnell wachsenden Muskelkrebs mit auslöst. Anstatt Hunderte von Proben durch mehrere Runden von Laborexperimenten zu schicken, konnten die Broad-Forscher die schon vor einigen Jahren erstellte Wirkstoffliste finden, indem sie den Namen des Gens in die Datenbank eingegeben haben.

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"Es ist ein völlig anderer Ansatz, der viel weniger Schritte erfordert und viel weniger kostspielig ist", sagt T.S. Karin Eisinger, eine Biologin an der Universität von Pennsylvania, die diesen speziellen Muskelkrebs untersucht. Ihr Team hat mit Carpenters Gruppe zusammengearbeitet, um die Wirkstoffe in Labortests zu validieren. Letztlich schlossen sich die beiden Wissenschaftler zusammen, um ein Unternehmen zu gründen, das nun die vielversprechendsten Kandidaten weiterentwickelt.

Doch auch Pharmaunternehmen zeigen sich von dem Ansatz beeindruckt. Zusammen mit dem Broad-Forscherteams haben sie ein Konsortium gegründet, um so Ressourcen zu bündeln. Mit dieser Methode entstand nun ein umfangreicher Datensatz, der seit November der Öffentlichkeit zugänglich ist. Das JUMP-Cell Painting Consortium hofft, dass die gewonnenen Daten die Entdeckung von Arzneimitteln beschleunigen wird, indem sie Forschern hilft, vielversprechende Wirkstoffe zu identifizieren und ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, was sie bewirken und welche Nebenwirkungen sie haben könnten. Und das alles, bevor die Moleküle überhaupt an Tieren oder Menschen getestet werden.

Weitere Fortschritte: Recursion Pharmaceuticals, ein Unternehmen in Salt Lake City, für das Carpenter als Beraterin tätig ist, hat bereits fünf klinische Versuche gestartet, um Arzneimittelkandidaten zu testen, die mit einer Version von Cell Painting identifiziert wurden.

Zum Abschluss der Veröffentlichung ihres Datensatzes bereiten sich die Mitglieder des Konsortiums darauf vor, mit dem Health and Environmental Sciences Institute in Washington D.C. zusammenzuarbeiten, um herauszufinden, ob sie die Ergebnisse von Cell Painting mit anderen Daten verknüpfen können. So ließe sich auch die Toxizität von Arzneimitteln und Agrochemikalien vorhersagen.

(jle)