Zeitmaschine fürs Klima

Seite 2: Der Fjord wird sauer

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Die Wissenschaftler standen vor einem Rätsel. Viele Monate brauchten die Experten, um die Datenflut auszuwerten. Erst dann begriffen sie, was im Raunefjord vor sich gegangen war: Ein Fressfeind von Emiliania huxleyi, ein gallertartiges Manteltierchen, das wie eine winzige durchsichtige Kaulquappe aussieht, profitierte von den saureren Bedingungen. Es vermehrte sich innerhalb kürzester Zeit massenhaft und brachte die Algen zum Verschwinden. "Das sind schlechte Nachrichten", urteilt Ulf Riebesell. "Mikrokalkalgen wie Emiliania sind nicht nur eine wichtige Nahrungsquelle für viele andere Meeresbewohner, sie wirken auch erheblich dem Klimawandel entgegen."

Zum einen dient ihr Kalkgehäuse als Ballast für organisches Material und beschleunigt den Transport von Kohlendioxid in die Tiefen des Ozeans. Zum anderen sind sie eine Hauptquelle für das klimakühlende Gas Dimethylsulfid. Der Stoff verleiht dem Meer seinen typischen, leicht schwefeligen Geruch. Entweicht er in die Atmosphäre, bilden sich dort Sulfatteilchen. Sie dienen als Kondensationskeime für Wolken, die Schatten spenden und damit die Erderwärmung bremsen. Ein Rückgang dieser wichtigen Algen würde deshalb die Fieberkurve des Planeten noch schneller ansteigen lassen.

Das Schicksal von Emiliania droht auch vielen anderen Meeresorganismen, die sich mit Kalkgehäusen schützen oder mit Kalkskeletten stabilisieren. Neben Kalkalgen sind das vor allem Korallen, Muscheln, Seeigel, Seesterne und viele Schneckenarten. Untersuchungen australischer Ökologen zeigen, was vom Great Barrier Reef übrig bleiben könnte: nicht viel.

Ein Team um Ove Hoegh-Guldberg vom Global Change Institute der Universität von Queensland zeigte mit einem Mesokosmos-Experiment, dass bei Bedingungen, die einem starken Klimawandel entsprechen, nach einem Jahr fast alle Korallen in den Versuchsbecken abgestorben waren. Ein internationales Expertenteam, das kürzlich 630 wissenschaftliche Experimente zum Zustand der Weltmeere auswertete, kommt ebenfalls zu einem deprimierenden Ergebnis: Nur wenige Arten seien nicht von den negativen Auswirkungen der Ozeanversauerung und der Erwärmung betroffen. Am Ende dürften auch die Fischbestände darunter leiden und damit eine wichtige Nahrungsquelle für die Menschen.

Stechlinsee, Brandenburg (53° 9' N/13° 2' O)

Der glasklare Stechlinsee brachte schon vor 120 Jahren den Dichter Theodor Fontane zum Schwärmen. Bis heute hat sich das Gewässer, zumindest äußerlich, nur unwesentlich verändert. Noch immer ist es fast komplett von Bäumen umschlossen. 97 Prozent seines Wassereinzugsgebiets sind bewaldet. Die Vielfalt von mikroskopisch kleinen Algen und Planktontieren ist hier besonders hoch. Über 1000 Arten wurden in dem bis zu 70 Meter tiefen Gewässer nachgewiesen. Ideale Bedingungen also für das Seelabor des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).

Seit 2012 steht in der Nähe des brandenburgischen Dörfchens Neuglobsow die weltweit größte Anlage, in der die Auswirkungen des Klimawandels auf Seen unter natürlichen Bedingungen untersucht werden.

Mit dem Ruderboot dauert es nur wenige Minuten vom Bootsanleger bis zu den Mesokosmen. 24 Versuchszylinder von je neun Meter Durchmesser gruppieren sich ringförmig um ein zentrales Wasserreservoir. Sie reichen bis ins Sediment in 20 Meter Tiefe. "Sie sind so etwas wie Seen im See", sagt der Leiter der Forschungseinrichtung, Mark Gessner. Die Zylinder sind umgeben von Schwimmkörpern, auf denen die gesamte Anlage begehbar ist. Durch am Seegrund verlegte Kabel ist die Anlage direkt mit dem Labor an Land verbunden. Auch Forschungspartner aus anderen Instituten sollen bald per Internet auf die Daten zugreifen können.

Die Wissenschaftler wollen herausfinden: Wie verändert sich die Schichtung der Seen durch eine Temperaturzunahme? Welche Auswirkung hat das auf die Artenzusammensetzung? Was passiert in Seen, wenn immer häufiger Stürme über sie hinwegtosen und Starkregen auf sie niederprasselt?

An einem Kran hängend taucht plötzlich aus einem der Becken ein Gerät auf, das aussieht wie ein U-Boot – ein vollautomatisches Messsystem, etwa so groß wie ein Handfeuerlöscher. In verschiedenen Wassertiefen registriert es kontinuierlich eine Vielzahl von Daten wie Temperatur, Sauerstoffgehalt, Lichtintensität, elektrische Leitfähigkeit und Chlorophyllgehalt, der Rückschlüsse auf die Dichte und Art der vorhandenen Algen liefert.

In einigen der Bassins wirbeln spezielle Pumpen und Düsen die natürliche Temperaturschichtung des Wassers durcheinander und bringen warmes Oberflächenwasser in die Tiefe. Sie ahmen ziemlich exakt die Verhältnisse nach, die ein Sommersturm verursacht. In andere schütten sie kanisterweise Nährstoffe oder eine dunkelbraune, lichtschluckende Brühe. "Damit imitieren wir im Kleinen, wie bei einem Wolkenbruch organische Substanzen in den See gespült werden", erklärt Mark Gessner. "Derartige Zustände erwarten wir aufgrund des Klimawandels zunehmend in den nächsten Jahren. So können wir ein Stück weit in die Zukunft unserer Seen schauen."