"Wir wollen, dass digitale Bildung Teil der Bildungslandschaft wird"

Eine junge Initiative wirbt für mehr digitale Bildung im deutschen Bildungswesen. Fredrik Harkort von der iddb hat heise online erklärt, was vorstellbar wäre.

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(Bild: insta_photos/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Mit der Coronavirus-Pandemie haben digitale Bildungsanbieter mehr Zulauf erhalten, denn digital konnte unter anderem ortsunabhängig gelernt werden – was insbesondere bei großem Infektionsgeschehen Schutz für Menschen im Bildungswesen verspricht und versprach. Die digitalen Bildungsanbieter konnten aber auch ergänzende Angebote etablieren, weil zwar die Schule nicht mehr wie gewohnt stattfindet oder stattfand, die Leistungsansprüche an Schülerinnen und Schüler aber überwiegend gleich geblieben sind.

Da sich das deutsche Bildungssystem mit der Digitalisierung – auch nach einem kurzen Schub im Jahr 2020 – immer noch schwertut, haben sich über 60 digitale Bildungsanbieter zu einer Initiative zusammengeschlossen, der "Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter" (iddb). heise online sprach mit Fredrik Harkort, der zum einen die iddb und auch sein eigenes Unternehmen Cleverly vertritt.

Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb)

Die Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb) wurde im Frühjahr 2021 gegründet, um das Potenzial digitaler Bildungsangebote aufzuzeigen. Bis heute haben sich über 60 digitale Bildungsunternehmen, Initiativen und Verbände aus Deutschland zusammengeschlossen, um vereint digitale Bildung als relevanten Bestandteil des Bildungssystems zu etablieren, für Chancengerechtigkeit bei den Schüler:innen einzutreten und der Politik aktiv ihre Unterstützung anzubieten. Mitglieder und Unterstützer:innen sind u.a. Sofatutor GmbH, Cleverly, Simpleclub, Lern-Fair (ehemals Corona School e.V), Bundesverband Digitale Bildung e.V., Codary und viele weitere. Eine Übersicht finden Sie auf iddb.school.

Herr Harkort, Sie sprechen unter anderem für die Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb). Wie und wann ist die iddb entstanden?

Die digitale Bildungsszene ist schon eine sehr Startup-lastige Szene – im besten Sinne des Wortes. Als ich mit meinen eigenen Startup Cleverly Ende 2020, Anfang 2021, losgelaufen bin, habe ich relativ schnell gemerkt, dass wir – Sofatutor, Simpleclub und andere – doch ein ganz ähnliches Ziel verfolgen. Deshalb haben wir angefangen, uns auszutauschen und zu vernetzen. Die Geburtsstunde der iddb war dann aber im Frühjahr 2021 das aufgelegte Zwei-Milliarden-Euro-Paket in Reaktion auf die Pandemie.

Wir haben gesagt: Oh, toll, seitens der Politik wurde erkannt, dass sich während der Pandemie große Schwierigkeiten entwickelt haben. Die Pandemie hat uns im Grunde auch geholfen, was die Digitalisierung betrifft – zumindest in Akutphasen. Uns als iddb interessierte dann aber, wo die Gelder genau hinfließen. Ob wir, die wir tagtäglich mit Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern zusammenarbeiten, da partizipieren können – auch unsere Hilfe anbieten können.

Das hatte jeder für sich überlegt, worauf folgte: Komm, wir schließen uns zusammen. Ich bin zum Beispiel auf Stefan Bayer von Sofatutor zugegangen, auf den Alex Giesecke von SimpleClub. Wir konnten in kurzer Zeit 60 Anbieter zusammentrommeln und haben im Frühjahr einen Brief an unsere ehemalige Bundesbildungsministerin geschrieben: "Wir stehen eigentlich im Wettbewerb zueinander, aber für die Sache – die digitale Bildung nach vorne zu bringen – stehen wir zusammen. Wir wollen gerne erfahren, wie die Verteilung dieser zwei Milliarden gedacht ist und wie denn tatsächlich – so schnell wie möglich – die Schülerinnen und Schüler davon profitieren." Das war der Funke, der die iddb hat auf die Welt kommen lassen.

Leider wurden wir dann schnell desillusioniert, was dieses Paket anging. Wir haben uns aber gesagt: Jetzt gibt es uns schon, lasst uns doch mal gucken, ob wir darüber hinaus eine Bewegung starten können, die dann auch mit Blick auf die neue Bundesregierung aktiv werden kann.

Sie haben Wahlprüfsteine entwickelt und auch Forderungen aufgestellt.

Ja, so sind auch die Wahlprüfsteine relativ früh entstanden. Im nächsten Schritt haben wir unsere sechs Kernforderungen aufgestellt und sind jetzt aktiv im Austausch mit der Politik und den Foren, die es da so gibt. Wir haben auch das Gefühl, dass wir dort gehört werden und es eine echte Chance gibt. Wir wollen uns gemeinsam dafür einsetzen, dass digitale Bildung Teil der Bildungslandschaft wird – und das nicht immer so ein Entweder-oder oder Gegeneinander ist. Das machen wir auch sehr aktiv mit regelmäßigen Treffen, um das Thema einzeln und auch gebündelt nach vorne zu bringen.

Fredrik Harkort

Fredrik Harkort, Jahrgang 1979, ist Co-Gründer von Cleverly, einem Online-Nachhilfe- und Mentoring-Angebot. Zuvor hat er das Digital-Unternehmen "BodyChange" gegründet und war als TV-Produzent tätig. Fredrik ist Halbschwede, Ehemann und Vater von zwei Kindern. Aufgewachsen in Wiesbaden, zog es ihn zum Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen zunächst nach München. Heute lebt er mit seiner Familie in Berlin.


Sie haben in Ihren Positionen im Grunde klargemacht, dass Sie sich wie neuere Schulbuchverlage sehen. Sie wollen mit in diesen Markt rein. Mir stellt sich die Frage – Sie haben es ja ein bisschen angedeutet – wie gut Ihre Chancen wirklich stehen. Blickt man zum Beispiel nach NRW, sieht man Brockhaus als Profiteur. Es wurde also wieder ein bisschen nach dem alten Schema gehandelt.

Wie stellen Sie sich also genau die Kooperationen im Bildungswesen vor, denn Sie müssen ja darauf setzen, dass Länder sich für Ihre Lösungen entscheiden und Sie – irgendwie – in den Schulalltag integrieren.

Ich glaube hieran sieht man die Vielfalt, die vielen Chancen, aber auch großen Herausforderungen, die wir als Gruppe haben. Ja, es gibt Finished-Content-Lösungen, die genau diesen Weg verfolgen. Also zum Beispiel ein klassisches Sofatutor oder ein Simpleclub. Für diese Lösungen wäre es gut, wenn sie Teil des Schulalltages und des Lernens in der Schule werden – und dafür setzen wir uns auch ein, in diesem Segment. Es kann ja nicht sein, dass dieser fixe Betrag Jahr für Jahr an die traditionellen Schulbuchverlage geht, aber es eigentlich für digitale Lehrmittel kein festes Budget gibt.

Wir verfolgen daher die Idee, dass digitale Inhalte zugänglich gemacht werden müssen – über eine Plattform. Aber eben nicht nur für die Lehrer, um damit in der Schule zu arbeiten, sondern auch für die Schülerinnen und Schüler und die Eltern. Also auch für den Nachmittag. Diese Begrenzung, quasi nur auf die Schulzeit, ist für uns eine, die zu kurz gegriffen ist.

Um ihre Frage zu beantworten: Wie kriegen wir das ganz konkret hin? In diesem einen Fall ist es eine Kombination aus Überzeugungsarbeit auf der lokalen Ebene, der Kultusminister, aber auch, dass wir darauf aufmerksam machen, diese Formen der digitalen Bildungsmittel werden ja aktuell schon von Schülerinnen und Schülern eingesetzt – halt nur von den Eltern, die sich das leisten können. Und das zumeist am Nachmittag.

Als wir gegründet wurden, sind auch klassische Verlage auf uns zugekommen und haben gesagt: Wir wollen sehr gerne Teil der Initiative werden. Da haben wir gesagt: Das müssen wir uns ansehen, da wir eine Interessenvertretung der primär digitalen Anbieter sind. Wir merken aber – und das ist auch die Herausforderung – dass wir in der Fülle der Angebote, die wir auch haben, versuchen mit einer Stimme zu sprechen und auch die unterschiedlichen Interessen abzubilden.

Ich sehe da schon ein Problem. Sie habe ja unter anderem iServ in Ihrer Initiative [Anmerkung: mittlerweile ist iServ nicht mehr Teil der iddb] – das ist ja eine Lernplattform. Und Sie gehen mit Cleverly in den Nachhilfebereich, der Nachmittags stattfinden soll. Sie können sich mit Ihren verschiedenen Angeboten auch kannibalisieren. Vormittags guter Unterricht macht ja beispielsweise Nachhilfe am Nachmittag weniger nötig.

Ja, das ist richtig.

Um auf konkrete Forderungen von Ihnen einzugehen: Sie fordern einen DigitalPakt II, der sich nicht nur auf die Infrastrukturmaßnahmen und Geräteanschaffung beschränkt. Wie sähe dieser DigitalPakt II für Sie aus?

Ich hoffe, dass alle Beteiligten aus dem DigitalPakt I und seinen Fehlern gelernt haben. Wenn wir die Lehren aus den Fehlern ziehen, bedeutet das zum Beispiel, dass allein die Bereitstellung von Mitteln für einen begrenzten Zeitraum nicht gut ist. Ohne zu durchdenken, wie diese Mittel abgerufen werden können und im Schulalltag ankommen, sollte es auch nicht gehen. Wir kennen Beispiele von Schulen, die iPads und Laptops angeschafft haben, aber dann bei sich im Schrank eingeschlossen haben, weil sie nicht wussten, wie sie die softwaremäßig bedienen sollen. Weil es einfach niemanden gab an der Schule, der das gemacht hat.

Wir müssen die Schulen "enabeln" die Mittel aus dem Digitalpakt auch wirklich einsetzen zu können. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Das sind so Sachen wie Systemadministratoren an den Schulen, Fortbildungen der Lehrer oder Stellen genau für diese Themen. Das andere ist eben: Wir brauchen eine kontinuierliche Förderung der Schulen, damit die sich auch darauf verlassen können, dass auch noch in zwei oder vier Jahren Mittel für den Einsatz der Geräte da ist.

Ich habe aus Ihren Positionen auch herausgelesen, dass Sie den Föderalismus auf Landesebene eher auflösen und mehr Entscheidungsgewalt an die einzelnen Schulen verlagern wollen, was im Grunde die Position der FDP in ihrem Wahlprogramm 2021 ist. Wie will man denn dann dafür sorgen, dass trotzdem Bildungsgerechtigkeit herrscht? Denn wenn jede Schule noch stärker als ohnehin schon ihr eigenes Ding machen kann, wie kann dann ein bestimmter Qualitätsstandard oder auch Ausstattungsstandard gehalten werden? Wie soll ein "digitales Basiswissen" bei allen ankommen? Was ist mit digital "unmündigen" Schulen?

Es gibt ein paar Themen, in denen der Staat stark sein muss – und das ist zum Beispiel in der Gesundheit, aber aus meiner Sicht auch in der Bildung so. Es muss also ein paar klare Vorgaben geben, die für alle gelten – und wo eben nicht jedes Kultusministerium für sich wieder abweichen kann und auch Gelder, die für Schulen gedacht waren, eigentlich doch im Straßenbau landen. Topline müssen auf Bundesebene also ein paar Sachen klar sein. Unten aber – und das ist die Kunst – denn jede Schule ist nun mal anders – die Möglichkeit geben, in einem abgesteckten Rahmen, die für sich sinnvollen Entscheidungen zu treffen.

Wie das dann ganz konkret funktioniert, daran müssen wir arbeiten, und dafür müssen Konzepte entstehen. Ich glaube, wenn gesagt wird, "es ist Ländersache" und dann wird Budget da reingeschoben, begründet das auch, warum der DigitalPakt I so wenig wirkt.

Hierzu passt ja ihre Forderung, dass Sie gerne das Kooperationsverbot auflockern würden – das würde wiederum bedeuten, dass wieder am Grundgesetz etwas geändert werden müsste. Was Sie auch möchten, ist eine Zertifizierung von (digitalen) Lernmaterialien. Wer sollte das am besten machen? Ist das von Ihnen auf Bundesebene gedacht oder sagt man da wieder – um lokalen Gegebenheiten gerecht zu werden – das ist doch Ländersache.

Unsere Wunschvorstellung wäre eine digitale Lernplattform auf Bundesebene. Damit meinen wir eine Plattform, auf die alle Schulen bundesweit zugreifen können und wo Anbieter von digitalen Lernmitteln angedockt sind. Hierfür wäre sicherlich ein Bewerbungsverfahren notwendig, das länder- und anbieterseitig laufen würde. Diese Plattform würde auch in unterschiedliche Rubriken geclustert sein. Die Zertifizierung müsste aber unbedingt auf Bundesebene stattfinden. Wer dann dafür zahlt, ist zu diskutieren. Wünschen würden wir uns aber, dass faktisch Lehrer, Schüler und Eltern darauf zugreifen können und es dann natürlich unterschiedliche Modelle dafür gibt. Also dass manche Dienste von vorneherein gratis sind, aber andere Module von Schulen dazugekauft werden können – über eine zentrale Anlaufstelle.

In der Praxis sieht es momentan nämlich so aus: Da sagt dann der Rektor der Grundschule meiner Tochter, dass er drei tolle Software-Lösungen kennt und die gerne nutzen würde, aber er traue sich nicht. Er würde wegen der Nutzung dann vielleicht sogar seinen Job verlieren. Dieses Thema der Zertifizierung ist also unglaublich wichtig.

Der Bund hat mit dem hpi die Schul-Cloud entwickelt und einige Bundesländer haben das Konzept auch übernommen und entwickeln es weiter. Wenn Sie jetzt sagen, man braucht eine gewisse Basis, der man dann Bezahlmodule hinzufügen könnte, könnten Sie sich vorstellen, dass es die Schul-Cloud als bundesweites Mittel gäbe und die Privatwirtschaft entwickelt Addons und Co?

Ja. Wir sehen keinen Sinn und Zweck darin alles neu zu erfinden. Ich glaube, dass es sehr sinnvoll ist, zu gucken: Was gibt es schon und wie kann man das dann ergänzend einsetzen oder nutzen?

Was wir als digitale Bildungsanbieter als besonders große Herausforderung sehen, ist eben unter anderem das hohe Maß an Bürokratie. Wir sind allesamt bundesweit unterwegs und müssen uns aber häuserkampfmäßig von Bundesland zu Bundesland durchringen. Insofern ist eine zentrale Zertifizierung (und Koordinierung) das Mittel der Wahl aus unserer Perspektive.

Gibt es denn schon Bundesländer mit denen Sie bereits gut kooperieren können? Konnten Sie schon irgendwo andocken?

Mein Unternehmen Cleverly bisher nicht. Das ist aber auch nicht unser erster Anspruch. Wir wenden uns in erster Instanz an Eltern. Wir haben aber Teilnehmer der iddb wie zum Beispiel Sofatutor, die in Bremen sehr gute Erfahrungen gesammelt haben und da optimal integriert sind. Was aber – wie wir so hören – zu der interessanten Reaktion führt, dass andere Bundesländer sagen, sie wollten das nicht (wenn das bei denen so läuft). Wir denken: Das ist doch ein positives Beispiel. Aber es wirkt aktuell gegenläufig.

Artikelserie "Schule digital II"

Wie sollte die Digitalisierung in unseren Schulen umgesetzt werden? Wie beeinflusst die Coronavirus-Pandemie das Geschehen? Was wurde im Schuljahr 2020/2021 erreicht - wie ging es 2021/2022 weiter? Das möchte unsere Artikelserie beleuchten.