Wirkstoff zwingt Corona-Virus zur Selbstsabotage und verhindert Infektionen

Die Substanz reist huckepack auf den Viren zu den ACE2-Rezeptoren und verformt sie temporär. Dadurch kann das Viren-Spike-Protein die Zellen nicht mehr öffnen.​

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(Bild: Corona Borealis Studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Normalerweise gelangen Sars-CoV-2-Viren in die Zellen, weil ihre Spike-Proteine auf die ACE2-Rezeptoren passen wie Schlüssel in ein Schloss. Das Andocken löst ihre Aufnahme in die Zellen aus. Eine neue Substanz namens NMT5 verhindert das, indem sie sich zunächst an die Sars-Cov-2-Viren anlagert. Versuchen diese gekaperten Erreger dann, an die Zielzellen anzudocken, wird ein Stück von NMT5 auf den ACE2-Rezeptor übertragen.

Das Bruchstück verformt das Schloss chemisch für etwa 12 Stunden, so dass die Spike-Schlüssel nicht mehr passen. Auch nicht gekaperte Viren können nicht mehr andocken und hineingelangen: Kein Eindringen, keine neuen Virenpartikel und damit keine Infektion. NMT5 verleitet den Corona-Erreger also gewissermaßen dazu, sich selbst zu sabotieren, bevor er Schaden anrichten kann.

Diesen Erfolg in Hamsterversuchen meldeten Forscher um Stuart Lipton vom Scripps Research Institute im Fachjournal "Nature Chemical Biology". "Es ist unsere Rache an dem Virus", freut sich Lipton und ergänzt: "Das wirklich Schöne daran ist, dass die Verfügbarkeit von ACE2 nur lokal dort zusammenbricht, wo es vom Virus angesteuert wird."

Überall sonst können die etwa für die Blutdrucksteuerung wichtigen ACE2-Rezeptoren ungehindert weiterarbeiten. "Wir haben in unserer extensiven Tierstudie keinen Effekt auf den Blutdruck gesehen", sagt Lipton. Nach 12 Stunden nehmen die verformten ACE2-Rezeptoren wieder ihre ursprüngliche Form an.

Corona-Pandemie: Neue Varianten - Erkrankung - Impfung

NMT5 ist eine chemische Variante des bereits zugelassenen Alzheimer-Wirkstoffs Memantin, den Lipton in den neunziger Jahren entwickelt und patentiert hat. Der Forscher arbeitete bereits vor der Covid-19-Pandemie an Memantin-Varianten. Der Originalwirkstoff wurde ursprünglich in den sechziger Jahren zur Behandlung von Grippe entwickelt. Er weckte jedoch bald die Neugier von Ärzten, die Memantin auch bei neurologischen Krankheiten zu testen begannen, nachdem sich etwa bei einer Grippe-Patientin auch die Parkinson-Symptome verbesserten.

"Mein Team hatte diese antiviralen Medikamente für das Gehirn verbessert. Als Covid-19 auftauchte, haben wir uns gefragt, ob wir einige von ihnen auch zu besseren antiviralen Mitteln machen können", sagt Lipton. Tatsächlich fand sein Team in ihrer Wirkstoffbibliothek mit NMT5 eine Substanz, die sowohl an das Coronavirus andocken, als auch ACE2 chemisch modifizieren konnte.

In Zellkulturversuchen verhinderte NMT5 das Andocken der Omikron-Variante an menschliche ACE2-Rezeptoren in 95 Prozent der Fälle. Bei Versuchen mit Corona-kranken Hamstern senkte der Wirkstoff die Viruslast um das Hundertfache. Darüber hinaus verhinderte es auch die häufigen Schäden an den Lungen-Blutgefäßen der Versuchstiere und sorgte für weniger Entzündungsprozesse. Nicht zuletzt war NMT5 auch gegen fast ein Duzend weitere Sars-Cov-2-Varianten inklusive Alpha, Beta, Gamma und Delta wirksam.

Erstautor Chang-ki Oh erwartet, dass der Memantin-Abkömmling auch gegen zukünftige Corona-Varianten gut wirkt. Denn anders als die meisten bisherigen Antiviral-Mittel setzt NMT5 nicht an den häufig mutierenden Bereichen an und sollte daher keinen Mutationsdruck erzeugen. Sein Zielmolekül auf dem Virus ist das sogenannte Protein E, ein Ionenkanal, das ebenfalls für das Eindringen benötigt wird.

Inzwischen arbeiten die Forscher vom Scripps-Institut an einer NMT5-Version, die sie in klinischen Studien mit Menschen testen wollen. Parallel dazu führen sie ihre Tierversuche weiter, in denen sie die Sicherheit des Wirkstoffes testen.

(vsz)