Bitte nicht durchdrehen: Mittel gegen das Doomscrolling

Cat Content, Rausgehen und App-Timer: Die TR-Redaktion hat zusammengetragen, wie sie sich in Zeiten von schlechten Nachrichten behilft.

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(Bild: Aleksey Boyko/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Klimakrise, Energiekrise, Pandemie und nun auch noch Krieg. Die Welt scheint derzeit mehr als sonst voll von schlechten Nachrichten zu sein. Als TR-Redaktion sind wir zwar nicht direkt in der Welt unterwegs, aber mit den Themen auseinandersetzen, sie nach Relevanz bewerten, müssen wir doch – wenn auch ausschließlich im Internet. Aber auch das kann mürbe machen. Daher haben wir aufgeschrieben, wie wir uns am besten eine Pause vom Doomscrolling verschaffen. Vielleicht hilft das auch anderen.

Gregor Honsel (TR-Redakteur):

Es lässt sich nicht vermeiden: Sobald ich Twitter oder eine beliebige Nachrichtenwebseite öffne, nichts als Krieg, Corona und Klimawandel. Das ist mehr als eine Anhäufung von Krisen. Das ist ein Anschlag auf meine ohnehin fragile Hoffnung, dass die Menschheit irgendwann klüger und die Welt besser wird. Früher habe ich mich oft für einen übertriebenen Pessimisten gehalten. Heute muss ich erkennen, dass ich noch viel zu naiv war.

Es ist mein Job, mich da noch tiefer hineinzubohren. Privat neige ich deshalb zum Eskapismus. Etwa in Form von alten Geschichtsdokus. Am Wochenende und nach Feierabend versuche ich, aktuellen Nachrichten aus dem Weg zu gehen. In persönlichen Gesprächen wechsele ich gerne das Thema, wenn die üblichen Krisen auftauchen.

Dabei ist mir durchaus klar, dass ich eigentlich keinen Grund zur Klage hätte. Was ist mein Twitter-Blues schon gegen die Probleme von Menschen in ukrainischen Luftschutzbunkern? Aber ich halte das Bedürfnis nach einer gewissen Weltflucht nicht notwendigerweise für ein Zeichen mangelnder Empathie oder fehlendem Problembewusstsein, sondern möglicherweise auch für das genaue Gegenteil davon. Und jetzt bitte etwas Cat Content.

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Wolfgang Stieler (TR-Redakteur):

Reporter sollen das aufschreiben, was ist. Wir sind aber keine – jedenfalls nicht nur. Wissenschafts- und Technikjournalisten sollten meiner Meinung nach nicht nur aufschreiben, was ist, sondern auch und gerade was sein könnte. Wie aus einem Proof of Concept eine Anwendung werden könnte, und was sich daraus für Folgen ergeben. Im Guten wie im Schlechten. Aber dieses "was sein könnte" ist in letzter Zeit viel öfter erschreckend düster und negativ statt vielversprechend. Um so notwendiger ist es, genau hinzusehen. Denn Angst und Wut sind schlechte Grundlagen für weitreichende Entscheidungen. Dabei objektiv und ruhig zu bleiben, gelingt mir allerdings nicht immer.

MINT-Jobtag am 5. April 2022 in München

Die bewährte Jobmesse speziell für den MINT-Bereich geht im Jahr 2022 in eine neue Runde. Das Event bringt Fachrkäfte, Berufseinsteiger und Firmen in München zusammen. Das Tagesprogramm bietet die Unternehmensausstellung, kostenlose Bewerbungsmappen-Checks sowie professionelle Bewerbungsfotos und ein Vorträge von Experten rund um Karriere im MINT-Bereich.

Jennifer Lepies (TR-Online-Redakteurin):

Vor ein paar Tagen geisterte ein Tweet durch meine Twitter-Timeline, den ich derzeit voll unterschreiben kann:

Was also tun, um nicht durchzudrehen? Die Lösung ist einfach und wusste bereits Peter Lustig: abschalten. Nach Feierabend gehe ich raus, weg vom Rechner. Das (neutrale) Spazierengehen ist ja seit Corona wieder en vogue geworden.

Hänge ich abends doch mal wieder vorm Smartphone, meide ich die Twitter-App. Ich nutze sie beruflich als eine Informationsquelle unter weiteren, dementsprechend ist sie voll von Corona-, Energie- und Ukraine-Themen. Auch meine Instagram-Timeline begann sich mit solchen sorgenvollen Themen zu füllen. Und weil ich Instagram dennoch für ein schönes Medium halte, habe ich diese Timeline nun auf Unverfängliches "konditioniert". Ich habe ausschließlich Dackel-Content, Promi-Klatsch und Haarstyling-Tipps gelikt. Und Zack – sind die schlechten Nachrichten erstmal ausgeblendet. Das kann mich sicherlich nur begrenzt unterhalten, aber fürs erste ist das für mich wunderbar.

Ansonsten schaue ich abends noch alte Sitcoms. Seit einiger Zeit "Seinfeld", da ist die einzige Sorge, die einen umtreiben kann, Jerry Seinfelds schlechtes Schauspiel. Damit komm’ ich aber klar.

Aylin zur Borg (TR-Social Media-Managerin):

Als Social Media Managerin bin ich schon von Berufs wegen den ganzen Tag auf Social Media unterwegs – da ist es umso wichtiger, nach Feierabend und am Wochenende wortwörtlich abzuschalten und den ganzen schlechten Nachrichten aus dem Weg zu gehen. Mein Firmenhandy ist so eingerichtet, dass nach Feierabend und am Wochenende der "Nicht Stören"-Modus eingeschaltet ist. Das Handy wird dann mit dem Laptop zusammen in eine Schublade außer Sichtweite verbannt.

Privat helfen mir App-Timer dabei, die je nach App auf 30-60 Minuten am Tag eingestellt sind. Wird diese Zeitspanne überschritten, kann ich die App nicht mehr öffnen. Es hält mich natürlich nichts davon ab, die Timer einfach auszuschalten und weiterzuscrollen – da muss dann meine Disziplin greifen. Und wenn es mal besonders schlimm ist, schalte ich den Fokusmodus meines Handys ein – in welchem gar keine Social Media-Apps mehr erlaubt sind. Das hilft am besten, denn es kommen auch keine Benachrichtigungen dieser Apps mehr an, bis ich den Modus wieder ausschalte.

Luca Caracciolo (TR-Chefredakteur):

Es ist dieser Tage nicht einfach, an etwas Positives zu denken. Ich versuche, wohl dosiert Nachrichten zu konsumieren und mir auch bewusst nachrichtenfreie Phasen zu schaffen – vor allem an den Wochenenden.

Was mich als Journalist und Chefredakteur aber zusätzlich vor allem umtreibt, ist die Frage, wie wir als Medium für neue Technologien und Innovationen mit der aktuellen Weltlage in unserer Berichterstattung umgehen. Krieg, Pandemie, Energiekrise, Klimakrise – das sind alles Themen, über die wir als Redaktion berichten. Wie schaffen wir es, einerseits über die Welt zu schreiben, wie sie ist und andererseits aber unseren Leserinnen und Lesern auch Hoffnung zu machen? Schließlich beschäftigen wir uns mit der Zukunft und was in fünf, zehn oder 20 Jahren vielleicht technisch möglich sein wird.

Da sind ganz spannende Dinge dabei: Die Kernfusion als mögliche quasi unerschöpfliche Energiequelle oder die Entwicklung von Materialien, die etwa effizienter Energie gewinnen oder speichern. Die enormen Fortschritte im Bereich der synthetischen Biologie, die zum Beispiel Bakterien dazu bringen, CO₂ in wertvolle Chemikalien umzuwandeln. Aber auch ganz aktuell fördert der menschliche Forschungsdrang beispielsweise wichtige Fortschritte in der Impfstoff-Entwicklung zutage. Das ist alles ganz fantastisch und spannend zu erzählen. Und doch ist das eben nur ein Teil der Geschichte – der andere erzählt von einer Erde, die zunehmend Schaden nimmt, vom Amazonas-Regenwald, der offenbar kurz vorm Kippen steht. Von der Wahl zwischen Pest oder Cholera hinsichtlich des Klimas, wenn wir vor der Entscheidung zwischen Erdgas aus Russland oder LNG aus den USA stehen. Oder von den Gefahren, gefährliche Krankheitserreger so zu verändern, dass sie infektiöser werden und so großes Unheil in der Welt anrichten könnten.

Es geht um sehr mächtige Technologien und die Frage lautet: Ist es in Ordnung, dass wir bewusst öfter über wissenschaftliche Erfolge berichten, obwohl sie im Vergleich zu den drängendsten Problemen unserer Zeit vielleicht nur ein kleiner Funken Hoffnung sind? Ist das dann schon "false Balancing" oder eher Verantwortung gegenüber unseren Leserinnen und Leser, um auch mal positiver in die Zukunft zu blicken?

Also: Was heißt heute eigentlich journalistisch arbeiten?

(jle)