Kernfusion: Ein Meilenstein ist noch kein Durchbruch
In den USA wurde erstmals von einer Kernfusions-Kammer mehr Energie freigesetzt, als hineingesteckt wurde. Ein Riesenerfolg? Eine Analyse von Florian Aigner.
Es war ein triumphaler Erfolg des Lawrence Livermore National Lab in Kalifornien, der am 13. Dezember 2022 offiziell bekannt gegeben wurde: Erstmals war es gelungen, mithilfe einer gewaltigen Anlage eine Kernfusion zu erzeugen und dabei mehr Energie freizusetzen, als man in Form von Laserlicht hineingesteckt hatte. Damit wird die Hoffnung neu entfacht, einen alten Traum der Kernforschung Wirklichkeit werden zu lassen: Ein Fusionskraftwerk, das wie unsere Sonne Energie aus der Verschmelzung leichter Atomkerne gewinnt.
Unserer Sonne gelingt die Kernfusion durch extrem hohen Druck und extrem hohe Temperatur. Große Hitze bedeutet, dass sich die Atomkerne sehr schnell bewegen – damit haben sie ausreichend Schwung, um einander immer wieder sehr nahezukommen. Eine ähnliche Strategie verfolgt man am ITER, einem Kernfusionsreaktor, der derzeit in Frankreich gebaut wird: Dort sollen Wasserstoffkerne in einer großen Reaktorkammer bei extremer Hitze von rund 150 Millionen Grad Celsius fusioniert werden.
Winzige Pellets, riesige Laser
Am Lawrence Livermore National Lab setzte man allerdings auf eine andere Strategie: Dort arbeiten Forschende an der sogenannten "Trägheitsfusion", bei der den Wasserstoffkernen mithilfe eines Lasers Energie zugeführt wird.
Die Wissenschaftler verwenden winzige Pellets aus Wasserstoff – in der Größe von einigen Millimetern. Wenn man diese Pellets komprimiert und erhitzt, kann in ihnen für winzige Sekundenbruchteile Kernfusion ausgelöst werden. Dafür genügt es allerdings nicht, das Pellet direkt mit einem extrem intensiven Laser zu beschießen. Die Kernfusion muss präzise kontrolliert und extrem gleichmäßig gezündet werden – und das ist die große Herausforderung bei dieser Technik.
Pellets müssen auch mit extrem hoher Präzision hergestellt werden. Selbst Unregelmäßigkeiten in der Größenordnung von Mikrometern können ein solches Pellet unbrauchbar machen. Und die Energiezufuhr muss exakt zur selben Zeit von allen Seiten gleichmäßig einsetzen.
Um das zu erreichen, wird das Pellet nicht direkt mit dem Laser beschossen, sondern man platziert es in einem Metallbehälter, der dann vom Laser getroffen wird. Dabei erhitzt sich der Behälter so stark, dass er Röntgenstrahlung freisetzt. Diese Röntgenstrahlung trifft dann von allen Seiten auf das Pellet, verdampft seine äußere Schicht, erhitzt es und bringt es gleichzeitig zum Implodieren – und dann kommt es im optimalen Fall zur Kernfusion. Das ist nun gelungen – und zwar so, dass vom Pellet dank der Kernfusion mehr Energie abgestrahlt wurde, als man vorher in Form von Laserlicht hineingesteckt hatte.
Energiebilanz: Was zählt, was zählt nicht?
Ist das nun die Vorstufe zu einem Fusions-Kraftwerk? Noch nicht ganz. Es ist jedenfalls ein Meilenstein – ein echter Durchbruch auf dem Weg zum Fusionskraftwerk ist es noch nicht. Erstmals eine positive Energiebilanz eines Pellets zu erreichen, ist zweifellos ein Grund zum Feiern. Aber wenn man über zukünftige kommerzielle Anwendungen nachdenkt, muss man die Gesamt-Energiebilanz betrachten – und die sieht weniger gut aus: Man darf ehrlicherweise nicht nur die Energie zählen, die in Form von Laserlicht in den Behälter gepumpt wird, sondern die Energie, die man tatsächlich benötigt, um den Laser zu betreiben. Und die ist um ein Vielfaches höher, kein Laser hat jemals einen Wirkungsgrad von 100 Prozent.
Außerdem darf man auf der anderen Seite auch nicht die gesamte Energie zählen, die in Form von Wärme abgegeben wird. Denn für eine wirtschaftliche Nutzung müsste diese Wärmeenergie in elektrischen Strom umgewandelt werden – und dabei würde wieder ein großer Teil der Energie verloren gehen. Man benötigt also eine um Größenordnungen bessere Energiebilanz, um über ein konkretes Kraftwerksdesign nachdenken zu können.
Derzeit kann man in Livermore nur einzelne Laser-Schüsse auf einzelne Pellets abfeuern. Danach braucht der Reaktor eine Pause, man muss ihn warten und ein neues Pellet platzieren. Für einen Kraftwerksbetrieb müssten allerdings viele Pellets pro Sekunde verfeuert werden. Wie bei einem tropfenden Wasserhahn müssten die Pellets nacheinander in den Reaktor fallen und dann jeweils von einem Laserpuls getroffen werden. Zusätzlich benötigt man Methoden, die entstandene Wärmeenergie abzuführen und damit eine Dampfturbine anzutreiben. Es gibt keinen Grund, das prinzipiell für unmöglich zu halten. Aber der Weg dahin ist noch weit.
Das Tokamak-Design, das beim ITER in Frankreich umgesetzt wird, ist in diesem Punkt schon weiter: Auch hier sind die Forschenden von einer kommerziellen Anwendung noch weit entfernt, aber der grundsätzliche Weg dorthin scheint erkennbar zu sein. In diesem Sinn kann man diesen Zugang als Erfolg versprechender ansehen – aber man darf sich überraschen lassen: Zwei Techniken, die potenziell Kernfusionskraftwerke ermöglichen könnten, sind in jedem Fall besser als eine.
Die Energiewende muss ohne Fusion gelingen
Aber wie schnell kann das gelingen? Ist Kernfusion die Lösung für unsere Energieprobleme und die Klimakrise? In diesem Fall ist die Antwort klar: Nein, das ist sie nicht. Die Kernfusion kommt dafür zu spät. Die Energiewende muss jetzt gelingen – in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, mit den Techniken, die wir heute haben: mit Photovoltaik, Windkraft und anderen Arten der alternativen Energiegewinnung.
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Im Eiltempo zur Fusionsenergie
Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, sich heute zurückzulehnen, die Anstrengungen der Energiewende zurückzufahren und auf die Kommerzialisierung der Fusionsenergie zu hoffen. So viel Zeit haben wir nicht – da sind sich Expertinnen und Experten aus der Fusions-Community und aus der Energie-Ökonomie einig. Die Energiewende müssen wir ohne Kernfusion schaffen.
Das bedeutet freilich nicht, dass Forschung an Fusionskraftwerken nutzlos ist. Auch wenn Fusionskraftwerke erst in dreißig oder fünfzig Jahren einsetzbar sind – auch dann könnten sie ein wichtiger Beitrag zur Energieversorgung sein. Selbst wenn wir unsere heutigen Energiebedürfnisse mit Sonne und Wind stillen können – es wird neue Ideen geben, die neuen Energiebedarf mit sich bringen.
Vielleicht werden bis dahin wichtige Umwelttechnologien erfunden, etwa Anlagen, die mit großem Energieeinsatz das CO₂ wieder aus der Atmosphäre holen? Vielleicht kommen die Fusionskraftwerke dann genau rechtzeitig, um Aufgaben zu übernehmen, die wir heute noch gar nicht kennen.
Gerade weil man die Zukunft nicht vorhersagen kann, ist Forschung an Fusionsenergie so wichtig. Sie kostet natürlich Geld – aber das Geld ist gut investiert: Sie könnte im Erfolgsfall einen kaum abzuschätzenden Nutzen bringen.
(olb)