Kommentar: Bei Gasimporten nicht immer nur an Energie denken
Ein erheblicher Anteil des Erdgases dient der Herstellung von Grundstoffen wie Ammoniak. Hier gibt es einen groĂźen Hebel, den Energieimport zu diversifizieren.
Die Wahl zwischen Pipeline-Gas aus Russland und Flüssiggas (LNG) aus anderen Ländern ist – bezogen auf das Klima – eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Verflüssigung und Transport von LNG kosten viel Energie. Stammt es aus amerikanischem Fracking-Gas, kommen noch die hohen Methan-Emissionen bei der Förderung hinzu, die den Treibhauseffekt verstärken. Kommt es aus Katar, macht man sich wieder von einem zweifelhaften Regime abhängig.
Doch es gibt noch einen anderen Weg, die Abhängigkeit von Erdgas zu senken, der gerne übersehen wird. Denn Methan wird nicht nur energetisch verwendet, sondern auch stofflich – es wird also nicht nur zur Strom- oder Wärmegewinnung verbrannt, sondern dient auch als Rohstoff für Basischemikalien. Von den gut 1611 Mtoe (Megatonnen Öl-Äquivalent) Erdgas, die 2018 verbraucht wurden, gingen nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) rund 196 Mtoe mittels Dampfreformierung in die Herstellung von Wasserstoff, also knapp ein Achtel. Ungefähr die Hälfte davon dient wiederum der Herstellung von Ammoniak, Methanol und Stahl. (Aktuellere Zahlen beziehungsweise Zahlen für Deutschland habe ich nicht gefunden. Vielen Dank für entsprechende Hinweise.)
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Was ist mit dem Import von Zwischenprodukten?
Hier gibt es also einen nicht unerheblichen Hebel, die Gasimporte klimafreundlicher zu machen und zu diversifizieren – durch den Import von Zwischenprodukten wie Ammoniak, Methanol oder andere Grundstoffe der chemischen Industrie.
Im Prinzip geschieht etwas Ähnliches schon heute – beispielsweise durch den Import von Kunststoffen, Nahrung, Textilien, elektronischen Geräten oder anderen Konsumprodukten. Die dazu benötigte Energie wird in den Herstellungsländern aufgewendet. Das schönt zwar die deutsche Klimabilanz, hilft dem Klima global gesehen aber wenig, wenn die Produkte beispielsweise mit chinesischem Kohlestrom produziert werden.
Diese Auslagerung energieintensiver Prozesse ließen sich aber auch zu Nutze machen. Statt in Stromtrassen, Pipelines, Terminals oder Tanker zu investieren, könnte ein Teil des Geldes auch in Fabriken vor Ort investiert werden, wo es reichlich Erneuerbare gibt, und deren Produkte importieren.
Industriepolitisch ist das natürlich heikel, weil es Teile der Wertschöpfungskette ins Ausland verschiebt. Und es schafft neue Abhängigkeiten. Aber diese bestehen bei jeder anderen Form von Energieimporten auch. Aus Klimasicht wäre es jedenfalls sinnvoll, weil sich die Transportverluste auf diese Weise reduzieren ließen. Werden solche Zwischenprodukte aus Gegenden bezogen, in denen ein direkter Import von Energie unwirtschaftlich wäre, ließe sich auch die Abhängigkeit von Lieferländern besser diversifizieren. Zudem könnten solche Fabriken etwa in Afrika Arbeitsplätze schaffen und so die Motivation zur Migration mindern.
(grh)