COP28: Vergesst die Politik, hofft auf "positive Kipppunkte"

Im Kampf gegen den Klimawandel braucht man nicht mehr auf die Politik zu hoffen. Das ist nicht nur die Lehre der Klimakonferenz, meint Gregor Honsel.

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(Bild: Proxima Studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Ob die Weltgemeinschaft bei COP 28 nun noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist, darüber mag man streiten. Klimaschützer hatten ein "phase out" aus den fossilen Brennstoffen gefordert – also einen geordneten Ausstieg. Bekommen haben sie in der Abschlusserklärung nun aber lediglich ein "transitioning away from fossil fuels", also einen irgendwie gearteten Übergang.

Klingt wie eine semantische Spitzfindigkeit? Stimmt, solange man das erklärte Ziel erreicht: netto Null bis 2050. Doch genau das ist der springende Punkt. Unabhängig von der Frage, ob eine Netto-Null für 2050 ziemlich ambitioniert ist (stimmt) oder viel zu spät kommt (stimmt ebenfalls): Was genau sollte mir diesmal Anlass zur Hoffnung geben, dass das Ziel überhaupt erreicht wird? Das Pariser Abkommen mit dem 1,5- Grad-Ziel wurde 2015 auch als großer Durchbruch gefeiert. Und was ist seitdem passiert? Die CO2-Emissionen haben nicht nur nicht abgenommen, sondern sind sogar auf neue Rekordstände gestiegen. Um zu bremsen, muss man erst einmal den Fuß vom Gaspedal nehmen. Und noch nicht einmal dazu konnte sich die Welt bisher durchringen.

Wie unfassbar zäh die Politik umschaltet, lässt sich im Detail in Deutschland beobachten. Trotz doppeltem Druck – Haushaltslücken und Klimaverpflichtungen – konnte sich die Ampel bisher nicht einmal darauf einigen, die niedrigst hängenden Früchte zu ernten, also etwa die Einführung eines Tempolimits oder die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen. Und obwohl sich das Kabinett schon im Sommer auf Solarpaket und Klimaschutzgesetz geeinigt hat, wird es wohl erst im nächsten Jahr vom Bundestag verabschiedet werden.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 Redakteur bei Technology Review. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leicht verständliche, aber falsche Lösungen haben.

Nun könnte man einwenden, dass es beispielsweise ohne Erneuerbare-Energien-Gesetz, Emissionshandel und Pariser Abkommen alles noch viel schlimmer gekommen wäre. Da ist was dran. Tatsächlich ist es der Politik seit der Jahrtausend-Wende gelungen, eine Reihe technischer Entwicklungen in Gang zu setzen, die sich jetzt aus eigener Kraft fortsetzt. "Positive Kipppunkte" nennen das Forschende des University of Exeter’s Global Systems Institute in einer aktuellen Studie. So seien Wind und Sonne vielerorts bereits die günstigsten Energiequellen überhaupt. Ähnliches gelte in absehbarer Zeit auch für Elektroautos und Wärmepumpen. Insgesamt 21 solcher "positive Tipping Points" haben die Forschenden ausgemacht.

Haben solche Technologien erst einmal eine kritische Wirtschaftlichkeitsschwelle überschritten, setzen sie eine positive Feedback-Schleife in Gang: Eine erhöhte Nachfrage führt zu erhöhter Produktion führt zu niedrigeren Preisen führt zu erhöhter Nachfrage. Zum Teil verstärken sich auch Entwicklungen in verschiedenen Segmenten gegenseitig: Eine erhöhte Akkuproduktion für E-Autos machen auch die Puffer-Batterien für Stromnetze günstiger, was die Wirtschaftlichkeit für Solar- und Windkraftwerke verbessert, was wiederum den Kosten und der CO2-Bilanz des Ladestroms hilft.

Allerdings bedarf es der richtigen Rahmenbedingungen, um über diese Schwelle zu kommen. "Solche positiven Kipppunkte passieren nicht einfach durch Magie", sagte Hauptautor Tim Lenton gegenüber dem New Scientist. "Sie erfordern koordinierte Aktionen." Sein Kollege Tom Powell ergänzt: "Politiker müssen systematisch nach Hebeln Ausschau halten, wo schon kleine Interventionen große Auswirkungen haben." Ein solcher Hebel für grünen Wasserstoff könnte beispielsweise eine Beimischungspflicht beim H2 für die Düngerproduktion in den USA, der EU und Indien sein, heißt es in der Studie.

Ohne einen gewissen Einsatz der Politik wird es also weiterhin nicht gehen. Zwei Dinge machen trotzdem Hoffnung. Erstens: Offenbar sind einige der positiven Tipping Points schon erreicht. Zweitens: Ist der Impuls einmal gegeben, ĂĽbersteht er auch Regierungswechsel, Haushaltskrisen, Lobbyisten-Angriffen und semantische Spitzfindigkeiten auf Klimakonferenzen.

(grh)