Kommentar: Gehen Sie zu Fuß! Von Mobilität und besseren Städten.

Seite 2: Der Fuß am Gas

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In Stuttgart scheiterte ein Shared Space, das ist eine Straße, in der sich alle Arten von Mobilität dieselbe Oberfläche möglichst friedlich teilen sollen. In der Nachuntersuchung fiel auf, dass Fußgänger (und gemeinerweise vor allem Fußgänger mit Behinderungen) rücksichtslos behandelt wurden, von stärkeren Verkehrsteilnehmern, zu denen beim Fußgänger außer dem Auto auch das Fahrrad zählt. Ja, das hört der Fahrradfahrer ungern, aber Fahrradfahrer unterscheiden sich nicht grundsätzlich von Autofahrern. Es sind beides nur Menschen, die eben öfter einmal nicht bemerken, dass sie nach unten treten. Deshalb kamen in Stuttgart Experten zu einem logischen Schluss: Eine Fortbewegungsform muss regulativ bevorzugt werden. Es lag der Expertenrunde nahe, dass das die schwächste sein muss: der Fußgänger. Die Fahrradfahrerfraktion erlebt gerade starken Zulauf; Radfahrer sind kräftig in der Diskussion vertreten, sie brauchen meine Hilfe nicht. Ich widme mich dem menschlichen Fuß, damit er zwischen Auto und Fahrrad nicht unter die Räder komme.

Eine artgerechte Menschenstadt muss folglich so sortieren: Fußgänger first. Fahrrad und andere Kleinfahrzeuge second. Danach kommen Öffis, danach kommt das Auto. Wer draußen auf dem Land wohnt, muss diese Prioritäten wahrscheinlich umsortieren, denn das Auto wird (schon durch schiere Existenz) vor den Öffis kommen. Doch auch hier: Fußgang first. Ich habe es mir in der letzten Zeit wieder angewöhnt, mehr Stunden pro Woche zu Fuß unterwegs zu sein als mit Motorrad oder Auto. Mit eben dieser Vorgabe von Zeit statt Distanz ist das etwas, das in jeden Alltag passen sollte. Wenn Sie einen Hund haben und wenig laufen, dann halten Sie weder den Hund noch sich selbst artgerecht.

In der redaktionsinternen Diskussion fiel mir auf, dass "Fußgang first" bedrückend wirken kann. Jetzt soll ich auch noch laufen! Was kommt noch alles? Ich bin doch so schon am Ende. Diese Emotionslage ist sehr verständlich, denn es fühlt sich an, als solle einem noch mehr aufgebürdet werden und ein gut funktionierendes Werkzeug (das Auto) marginalisiert. Das ist jedoch nicht, was ich vorschlage. Das ist im Gegenteil eine Prä-Entzugserscheinung. Ja, ich will Ihnen ausreden, jeden Tag ein halbes Glas warmes Nutella zu löffeln. Nein, ich will nicht, dass Sie leiden. Ich will das Gegenteil. Doch etwas Liebgewonnenes anders machen ist zunächst immer beängstigend. Wir lehnen es immer zunächst ab – egal, wie gut es täte. Zum Glück liegt die Schwelle niedrig: Gehen Sie spazieren, denken Sie in Ruhe über das Laufen nach und wenn es Ihnen nach dem Spaziergang schlimmer geht als vorher, schreiben Sie mir und vielleicht auch Herrn O'Mara als Ansatzpunkt für vertiefende Forschungen.

Für den Städtebau heißt das etwas Städtebauern mittlerweile Bekanntes: Strukturen sollten möglichst lokal sein. Der kleine Laden um die Ecke. Die Stammkneipe. Dieser komische Buchladen, den man doch irgendwann betritt, nachdem man hunderte Male vorbei ging. Die Verarmung der Innenstädte wird gern darauf geschoben, dass nicht genug Auto gefahren werden kann. Doch mit Fußgängerzonen geht es dem lokalen Handel in allen dokumentierten Fällen besser als mit den paar Parkplätzen, die auf diesen Raum passen würden. Es entstehen dann zerklüftete, gewundene, kurz: menschliche Strukturen. Das Auto steht dann sicherer und sinnvoller in einer großen Parkanlage am Rand solcher Zonen, mit Parkleitsystemen, die den notorisch nutzlosen Parkplatzsuchverkehr vermindern.

Wir orientieren uns beim Fahrrad an den Niederländern, doch ihre Herangehensweise von "all ages, all abilities" gilt noch viel mehr fürs Laufen: Du brauchst keinen Parkraum. Du brauchst keine zusätzliche Hardware (Schuhe hat in Europa jeder). Als Zweibeiner verbrauchen wir sehr wenig Verkehrsraum, selbst in Bewegung. Und es ist die Verkehrsform, bei der die Ärmsten der Armen am wenigsten benachteiligt werden. Als Fußganglobbyist fordere ich kostenlose Stiefel für alle Mittellosen, damit sie an meinen ebenfalls geforderten neuen Fußgängerzonen benachteiligungsarm teilhaben können. Mein Budget wird im Vergleich zu allen anderen Verkehrskosten lächerlich gering sein.

Kostenlose Stiefel für alle Mittellosen! Das wird einen mikroskopischen Bruchteil der unsäglichen "Innovationsprämie" kosten.

(Bild: Clemens Gleich)

(cgl)