Kommentar: Mit Apple auf dem App-Viehmarkt
Apple reagiert auf die EU-Regulierung – und es hagelt Kritik. Ist das, was Apple da plant, dreist? Die Redakteure Ben Schwan und Malte Kirchner kommentieren.
Ben Schwan findet, dass Apples Ansatz zur Umsetzung der neuen DMA-Regeln schlüssig ist – für Apple. Entwickler haben das Nachsehen und die Endnutzer fallen womöglich herunter.
Was Apple sich da an neuen App-Store-Regeln in Reaktion auf den Digital Markets Act (DMA) der Europäischen Union ausgedacht hat, wirkt ohne Frage dreist. Man merkt deutlich: Da kämpft ein Konzern, der über Jahrzehnte viel Geld mit seinem geschlossenen Ökosystem verdient hat, um die Fortsetzung dieses Geschäftsmodells auf Biegen und Brechen. Das macht ein genauerer Blick auf die Details klar. Die neuen sogenannten Alternative Business Terms reduzieren etwa die App-Store-Provision auf 13 respektive 20 Prozent (gegenüber 15 und 30 Prozent), bedingen aber eine für erfolgreiche Apps nur schwer aufzubringende neue Plattformgebühr, die selbst Entwicklern kostenloser (!) Apps droht.
Ben Schwan lebt als Journalist und Autor in Berlin, schreibt seit 25 Jahren über Technologie-, Forschungs- und Wissenschaftsthemen und lässt sich seine Begeisterung für Neues weder durch sich ständig wiederholende Hype-Zyklen, amoklaufende Sicherheitspolitiker noch technische Unzulänglichkeiten nehmen.
Zählt man das einmal hoch, würde ein Apple-Konkurrent wie Meta mit rund 250 Millionen Instagram-Usern in der EU nach einer Berechnung des Entwicklers David Heinemeier Hansson satte 135 Millionen Dollar im Jahr an "Core Technology Fee" (CTF) entrichten. Meta kann das sicher, doch was ist mit dem Indie-Developer, der einen unerwarteten Hit landet – und dann fast 42.000 Euro im Monat für 2 Millionen Installs (oder Updates) blechen müsste? Apples Antwort auf das alles: Ihr müsst die neuen Bedingungen ja nicht annehmen – bleibt doch einfach bei den alten! Spotify-Boss Daniel Ek, der gerne gegen Apple poltert, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, Apple habe damit letztlich nur einen Status quo geschaffen, gegen den er und seine Verbündeten seit Jahren gekämpft haben.
Die alternativen App Stores ("Alternative Marketplace"), die Apple künftig zulassen will, sind vieles, aber keine Alternative. Hier fällt zwar keine Provision an (was auch noch schöner wäre), doch die CTF wird eingetrieben. Baut jemand einen alternativen App-Laden auf, muss er für jede Installation der dafür notwendigen Anwendung, die übrigens nur via Web möglich sein wird, von Anfang an 50 Cent entrichten. Hinzu kommt die Pflicht zur Hinterlegung eines Kreditbriefs: Mindestens eine Million Euro im Jahr muss der frisch gebackene Marketplace-Betreiber verfügbar halten. Und App-Entwickler, die einen alternativen App Store verwenden, zahlen die CTF natürlich für jeden Install ab eine Million im Jahr ebenfalls. Von Sideloading, also der direkten Installation einer App via Web, wie man es vom Mac kennt, ist unterdessen keine Rede mehr. Denn Apple meint, den DMA so lesen zu können, dass der Konzern entweder alternative App Stores zulassen muss, oder eben das aus Apples Perspektive so verhasste Sideloading.
Die Frage ist nun, wie die EU-Kommission auf Apples Vorgehen reagieren wird. Noch sind die Pläne nämlich nur ein erster Aufschlag – Vorschläge, wie die Regelungen des DMA durch den Konzern umgesetzt werden könnten. Es ist auch eine Ablehnung denkbar. Doch bis zum 7. März wird sich hier eher nichts tun. In einem offiziellen Statement teilte die EU gegenüber Mac & i mit, dass man die "Lösungsvorschläge" von Apple zur Kenntnis nehme, doch die Frist eben noch bis zum 7. März läuft. Nur Industriekommissar Thierry Breton ließ verlauten, man werde bei Nicht-Compliance gegebenenfalls "energische Maßnahmen" ergreifen, was aber ohnehin klar ist.
Gespannt bin ich, was die neuen EU-App-Store-Regeln für die Endnutzer bedeuten. Grundsätzlich kann eine Öffnung des iPhone zu besseren Angeboten und günstigeren Preisen führen. Doch der DMA ist vor allem dazu gedacht, den Konkurrenten der sogenannten Gatekeeper bessere Wettbewerbsmöglichkeiten einzuräumen – in der EU ist das vor allem Spotify, denn sonst gibt es keine hiesigen Techriesen von Apples Dimension. Es steht zu befürchten, dass etwa eine Öffnung der NFC-Schnittstelle zu vielen unterschiedlichen Bezahl-Apps schlechterer Qualität als Apples Wallet führt. Und alternative App Stores, wie sie Microsoft, Google und Meta garantiert planen (und finanziell stemmen können), müssen keineswegs so nutzerfreundlich sein wie der App Store, in dem man beispielsweise Abos problemlos kündigen und Fehlzahlungen stornieren kann. Klar ist: Es bleibt spannend, für Apple, seine Konkurrenten, die Developer – und vor allem die User.
Regeln aus der BrĂĽsseler BĂĽrokratenstube
Malte Kirchner meint, dass Apple den Digital Markets Act der EU als politischen Idealismus entlarvt. Mehr Klarheit besteht kurioserweise in ebenfalls geöffneten Nebenschauplätzen auf dem iPhone.
Wie gut oder wie schlecht Apple auf die Anforderungen des europäischen Gesetzes für digitale Märkte reagiert, ist eine Frage der Perspektive. Entwickler und Nutzer mögen verstimmt sein. Jene, die größere Aktienanteile am Unternehmen halten, werden indessen frohlocken, dass Apple eine Strategie entwickelt hat, den DMA vordergründig zu erfüllen und effektiv den Zaun um den Walled Garden doch stehenzulassen. Schließlich ist das Geschäft mit den Services über Jahre zum wichtigen Standbein für Apple geworden, ja geradezu zur Rückfallposition, wenn es mit Hardware mal nicht mehr so gut laufen sollte. Es ist keine Boshaftigkeit, die sich das Management in Cupertino erlaubt: Aus Anlegersicht darf sich Apple schlichtweg nicht großzügig gegenüber der EU verhalten und leichtfertig auf Teile des Milliardenkuchens verzichten. Die vorgelegten Änderungen zielen darauf ab, in allen umsatzrelevanten Bereichen standhaft zu bleiben. Hinzu kommt die Frage nach dem, was ein Gatekeeper überhaupt ist. Bei Google ist das klar, denn Android ist Marktführer. Apple ist letzteres – zumindest den Zahlen nach – nicht. Doch Macht hat der Konzern natürlich nicht zu knapp.
Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.
Auffallend ist an Apples Änderungen, dass sie in Nebenschauplätzen deutlich mehr Offenheit gewähren als bei den alternativen App Stores. Dazu zählt etwa die Freigabe der Browser-Engines, sodass richtige alternative Browser möglich sind. Ersatzlösungen für das Wallet sind ab März ebenso denkbar wie Cloud-Gaming. Ein wenig zu bedauern ist der Wegfall einer Regel, die Apples eigenen Login-Button vorschreibt, wenn die Login-Dienste von Facebook, Google oder anderen in Anspruch genommen werden – schließlich war dies für die Nutzer eine datenschutzfreundliche Alternative zu den datenhungrigen anderen Konzernen.
Apples vorgelegte Strategie entlarvt – wenn sie denn so durchgeht – den politischen Idealismus, der im DMA steckt und der hier auf harte wirtschaftliche Realitäten trifft. Apple versucht sich die Lücken zunutze zu machen, die die Gesetzgeber leichtfertig gelassen haben, weil sie vermutlich darauf vertrauten, dass die Big-Tech-Firmen schon einlenken werden, wenn ihnen mit Leitplanken grundsätzlich der Weg gezeigt wird. Doch anstatt dass Firmen wie Apple einfache, klare Lösungen entwickeln, die den Geist des DMA leben, werden EU-Bürger jetzt mit einem Wust an verwirrenden Änderungen konfrontiert, der auch einer Bürokratenstube in Brüssel entsprungen sein könnte. Vielleicht war es auch der naive Glaube, dass es Firmen wie Apple nicht wagen werden, jene Kunden und Entwickler, die nach mehr Offenheit verlangen, so öffentlichkeitswirksam vor den Kopf zu stoßen. Doch bei Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf. Und wer die Kommentarspalten der sozialen Netzwerke liest, stellt fest, dass die EU trotz dieses so offensichtlichen Affronts gegen die Staatengemeinschaft keineswegs alle Nutzer hinter sich weiß.
Im Poker mit der EU liegen Apples Karten auf dem Tisch. Jetzt ist die EU herausgefordert, entweder zu kontern – wenn es ihr Blatt denn hergibt – oder diese Runde verloren zu geben. So wie sich die Lage für iPhone-Nutzer und Entwickler jetzt für die Zeit nach März abzeichnet, kann und sollte sie auf alle Fälle nicht bleiben. Erst recht nicht in einer Zeit, in der Apple bei der Vision Pro darauf angewiesen ist, dass die Entwickler dem Unternehmen und seinen Plattformen wohlgesonnen sind.
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(bsc)