Kommentar: Tesla nimmt beim E-LKW den Mund zu voll

Auch bei Elektro-LKWs scheint Tesla weit voraus zu sein. In Wahrheit enthalten die vollmundigen Ankündigungen viel heiße Luft.

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Kommentar: Tesla nimmt beim E-LKW den Mund zu voll

(Bild: Tesla)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

„Alltagstaugliche elektrische Antriebe sind für Langstrecken-LKW noch nicht in Sicht“, habe ich in Technology Review Heft 9/2018 über einen (fossilgetriebenen) Forschungstruck von Shell geschrieben. Mehrere Leser erhoben Einspruch: Die elektrischen Sattelschlepper von Tesla seien schließlich schon auf der Straße und durchaus langstreckentauglich.

Nun gut, was also ist davon zu halten? Zunächst hat ein Tesla „Semi“ (nach der amerikanischen Bezeichnung für Sattelschlepper) tatsächlich schon unter Nutzung der Tesla-Supercharger die USA durchquert. Das allein besagt allerdings nichts darüber, ob er seine ambitionierten Leistungsdaten tatsächlich erreicht. Die haben es nämlich in sich: Über 800 Kilometer Reichweite, ein Verbrauch bei voller Ladung von 2 kWh pro Meile, innerhalb einer halben Stunde soll er genug Energie für 640 Kilometer bunkern können.

Umgerechnet bedeutet dies: Er verbraucht rund 125 kWh auf hundert Kilometern, muss folglich eine Batterie von 1000 kWh an Bord haben, und benötigt eine Ladeleistung von schlappen 1,6 Megawatt. Dazu müsste er 13 Supercharger á 120 kW gleichzeitig anzapfen. Tatsächlich hatte der Semi, wie Engadget berichtet, auf seiner Testfahrt ein ganzes Bündel an Ladekabeln dabei, um parallel zu laden.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 Redakteur bei Technology Review. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Nichts davon widerspricht physikalischen Gesetzen. Doch wie realistisch ist es, dass solch ein Truck wie versprochen schon 2019 in Produktion gehen wird? An dieser Stelle entzündet sich in den Foren gerne eine Diskussion über Elon Musk: Die einen halten ihn für ein Großmaul; die anderen halten ihn für ein Großmaul, das seine Versprechen bisher aber immerhin (früher oder später) gehalten hat.

Ich finde diese Fixierung auf seine Person nicht sonderlich hilfreich. Halten wir uns doch lieber an die technischen Daten und setzen sie ins Verhältnis zu dem, was sonst noch auf den Markt kommen soll. Ich habe dazu auf der Nutzfahrzeug-IAA eine kleine Übersicht erstellt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Batterie Reichweite Verbrauch Leistung (kW) Zul. GG
kWh km kWh/100 km Dauer / max. t
DAF CF Battery Electric 170 100 170 210 - 240 37*
Tesla Semi 1000 800 125 300 36*
Volvo FE Electric 300 200 150 260 - 370 27
Renault D Wide Z.E. 200 200 100 260 - 370 26
MAN TGM e 185 180 103 264 26
Mercedes E-Actros 240 200 120 120 - 250 19
DAF LF Battery Electric 222 220 101 195 - 250 19
Renault D Z.E. 300 300 100 130 - 185 16
Fuso eCanter 83 100 83 129 7,5
* Satteschlepper, inkl. Auflieger

Was zunächst einmal auffällt: Der Verbrauch von 125 kWh/100km bewegt sich durchaus im Rahmen der Wettbewerber, ist aber doch sehr, sehr optimistisch. Er entspricht dem des Mercedes E-Actros, aber der ist voll beladen 17 Tonnen leichter. Wobei die Verbrauchs- und Reichweitenangaben mangels verbindlichem Fahrzyklus nur mit Vorsicht zu genießen sind. Mercedes jedenfalls beteuert, die Reichweite seines E-Actros unter realistischen Bedingungen auf der Straße ermittelt zu haben. Andererseits sind alle vorgestellten Trucks Umbauten von fossilen Fahrzeugen, nur der Tesla wurde von vornherein als Elektrofahrzeug konstruiert. Also lassen wir das mit dem Verbrauch bis zum Beweis des Gegenteils erstmal so stehen.

Trotzdem liegt das Geheimnis der Reichweite vor allem in einer gigantisch großen Batterie. Was da wohl noch an Nutzlast übrigbleibt? Forscher der Carnegie Mellon University haben berechnet, dass man für eine Reichweite von knapp 1000 Kilometern 16 Tonnen an Akkus bräuchte. Umgerechnet auf die von Tesla behauptete Reichweite von 800 Kilometern würde das rund 13 Tonnen entsprechen – mehr als ein Drittel des zulässigen Gesamtgewichts.

Ich halte diese Zahlen für zu hoch. Mercedes gibt für die elf Batteriepacks seines E-Actros ein Gesamtgewicht von 2,2 Tonnen an. Das würde etwas über 100 Wattstunden pro Kilogramm entsprechen. Der Fuso eCanter mit seinen 600 Kilo schweren Akkus kommt auf 138 Wh/kg – wahrscheinlich, weil seine Batterien nur auf vier und nicht auf elf Pakete verteilt sind, was die tote Masse in Form von Gehäuse, Befestigung und Verkabelung reduziert. Aber selbst gemessen an diesen Zahlen müsste der Tesla Semi immer noch sieben bis neun Tonnen an Stromspeichern mitschleppen. Er wäre also vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu transportieren.

Offenbar spekuliert Elon Musk darauf, dass die Energiedichte der Batterien demnächst einen großen Sprung macht. Lassen wir uns mal überraschen, 2019 ist ja nicht mehr so weit weg. Ich jedenfalls wette eine Flasche guten Single Malt darauf, dass der Tesla Semi weder 2019 noch 2020 mit der versprochenen Reichweite zu kaufen sein wird. Wer hält dagegen?

Für die Elektromobilität wäre das nicht weiter tragisch. Die entscheidende Frage ist doch nicht: Wann kommt endlich das Elektrofahrzeug, das alles, aber auch wirklich alles genauso gut oder besser macht als seine fossilen Vorgänger? Sondern: Wo sind schon jetzt niedrig hängende Früchte zu ernten? Und davon gibt es im Verteilverkehr ziemlich viele. Wahrscheinlich werden die ersten Tesla Semi mit kleineren Batterien auf kürzeren Strecken unterwegs sein, und das wäre völlig in Ordnung so. Für wirklich lange Distanzen wäre Flüssig-Erdgas (LNG) eine interessante Alternative. Mehr dazu in der Dezember-Ausgabe der Technology Review. (anwe)