Kommentar: Wasserstoff im Erdgasnetz ist sinnlos

Seite 2: Mögliche Einsatzbereiche von Wasserstoff

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Die Logik dahinter: Wasserstoff wird in der chemischen Industrie ohnehin in großen Mengen benötigt und lässt sich dort kaum ersetzen. Also kann "grüner" Wasserstoff hier ohne große Umbauten eins zu eins den bisher fossil gewonnenen Wasserstoff ersetzen. Für andere Anwendungen gibt es hingegen weitaus effizientere Alternativen, die Strom direkt nutzen – etwa E-Autos oder Wärmepumpen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Unternehmensberatung Oliver Wyman. Sie hat in einer Matrix aufgetragen, welche Einsatzbereiche von Wasserstoff einerseits am leichtesten zu erschließen sind und andererseits den größten Nutzen bringen. Ganz oben auf der Prioritätenliste sieht Oliver Wyman die Ammoniak-Herstellung, ganz unten den Flugverkehr.

Auch wenn man über die genaue Einstufung in beiden Fällen sicherlich diskutieren kann – eins dürfte klar sein: Um das kostbare Gas wirklich maximal nutzbringend einzusetzen, muss seine Verwendung sehr differenziert gelenkt werden. Anwendungen, die den größten Hebel für CO2-Einsparungen bieten, sollten zuerst bedient werden. Wenn dann noch etwas übrigbleibt, kann man sich an die nächstniedrigere Stufe auf der Effizienz-Leiter machen.

Das Einspeisen ins Gasnetz bewirkt aber genau das Gegenteil: Niemand hat mehr einen Einfluss darauf, was genau mit dem Wasserstoff geschieht. Sicher ist nur, dass er irgendwo verheizt wird. Dazu kommt: Für die stoffliche Verwendung, die sowohl Liebreich als auch Oliver Wyman ganz oben auf der Liste sehen, ist möglichst reiner Wasserstoff nötig. Dieser Verwendungspfad wird durch die Einspeisung ins Erdgasnetz komplett abgeschnitten. Und auch eine effiziente Rückverstromung per Brennstoffzelle wird dadurch erschwert.

"Ich will hier keine Verteilungsdebatte führen", sagte Stefan Kaufmann, Innovationsbeauftragter grüner Wasserstoff beim Bundesforschungsministerium, in einem Podcast der Deutschen Umwelthilfe. Ich frage mich: warum eigentlich nicht? Lasst uns genau so eine Verteilungsdebatte führen! Von ihrem Ergebnis hängen kostspielige strategische Entscheidungen ab, etwa über Art und Ausmaß einer Wasserstoff-Infrastruktur.

Ähnliches gilt auch für anderen Energiequellen wie Biogas. Sicherlich ist Methan, das aus Abfällen gewonnen wurde, ein sinnvoller Baustein der Energiewende. Und sicherlich ist es nicht die schlechteste aller Ideen, damit etwa in Form von Bio-CNG auch Autos zu betreiben. Doch wäre es in diesem Fall nicht tatsächlich sinnvoller, damit etwa den CO2-Fußabdruck der vielen, vielen Gasetagenheizungen zu senken, die sich derzeit nur schwer ersetzen lassen? (Mehr dazu im nächsten Heft 8/2021, ab 11.11. im Handel und im heise shop.)

Lesen Sie mehr zum Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Industrie im aktuellen Klima-Sonderheft von MIT Technology Review (im heise shop und im gut sortierten Zeitschriftenhandel).

So eine Verteilungsdebatte würde die Diskussion vom Kopf auf die Füße stellen. Derzeit macht sich jeder einzelne Sektor – Verkehr, Strom, Gebäude, Chemie – mehr oder weniger intensiv Gedanken darüber, wie er die eigenen Angebote dekarbonisieren kann. Doch der übergeordnete Blick fehlt. Die umgekehrte Logik wäre sinnvoller: Wie lassen sich unsere begrenzten Ressourcen (Geld, Fläche, Rohstoffe, Fachkräfte, Zeit und politische Akzeptanz) so einsetzen, dass sie den größtmöglichen Nutzen für Klima und Volkswirtschaft bringen?

Wie sich eine solche Verteilung politisch organisieren ließe, weiß ich nicht. Sicher ist jedoch: Sie setzt die physische Trennung der Stoffströme voraus. Eine Vermischung von Wasserstoff und Methan ist deshalb der falsche Weg.

(grh)