Kommentar: Wasserstoff im Erdgasnetz ist sinnlos

Ein Versuchsprojekt soll die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz auf bis zu 20 Prozent erhöhen. Für eine effiziente Nutzung ist das der falsche Weg.

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(Bild: Technology Review/Shutterstock)

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Wie viel Wasserstoff verträgt das deutsche Erdgasnetz? Das will die E.On-Tochter Avacon gemeinsam mit dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) in einem Praxistest herausfinden. Ab Dezember wollen die Partner in einem 35 Kilometer langem Teilnetz in Sachsen-Anhalt mit etwa 350 Netzkunden die Beimischung von Wasserstoff schrittweise auf bis zu 20 Prozent erhöhen. Derzeit sind nur 5 Prozent zugelassen.

Für den Versuch installieren die Partner eine "Beimischanlage" in einem 20-Fuß-Container, die unter anderem kontinuierlich die Konzentration der Gase misst. "Das Projekt soll zeigen, dass es technisch möglich ist, Wasserstoff zu einem deutlich höheren Prozentsatz als bislang vorgesehen in ein existierendes Gasnetz einzuspeisen", heißt es in einer E.On-Mitteilung. "Laboruntersuchungen zeigen, dass viele Geräte in den Haushalten mit bis zu bis 30 Prozent Wasserstoffbeimischung betrieben werden können. Geräte und Anlagen müssen für diesen Prozess nicht verändert werden."

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Der Wasserstoff dazu stammt aus Erdgas. "In diesem Demo-Projekt ist es wichtig, dass ein kontinuierliches Wasserstoff-Dargebot – unabhängig von volatilen Energien – verfügbar ist", erklärt der DVGW auf Anfrage. Mit anderen Worten: Erdgas wird unter energetischen Verlusten von 30 bis 40 Prozent in Wasserstoff umgewandelt, um ihn anschließend wieder in ein Erdgasnetz einzuspeisen.

Es wäre unfair, sich schon an dieser Stelle über das Vorhaben zu echauffieren. Es ist schließlich nur ein Forschungsprojekt, das die mögliche Einspeisung von "grünem" – also elektrolytisch aus Wind- oder Solarstrom gewonnenem – Wasserstoff eruieren soll. Dadurch soll das Erdgasnetz gewissermaßen zu einem gewaltigen saisonalen Stromspeicher werden, argumentieren die Befürworter.

Dass eine erhöhte Wasserstoffeinspeisung in das bestehende Netz technisch offenbar möglich ist, ist ja schön und gut – geht aber am eigentlichen Punkt vorbei: Wie sinnvoll ist das Ganze? Denn das Erdgasnetz wird auch durch grünen Wasserstoff keineswegs zu einem Stromspeicher, sondern zunächst allenfalls zu einem Energiespeicher. Um das Wasserstoff-Erdgas-Gemisch wieder zu verstromen, muss es in einem Wärmekraftwerk verbrannt werden. Dadurch erhöht der mäßige Wirkungsgrad des Kraftwerks noch einmal die Umwandlungsverluste.

Überhaupt ist es fraglich, ob die Funktion als Puffer für das Stromnetz wirklich die sinnvollste Verwendung des wertvollen Wasserstoffs ist. Michael Liebreich, Unternehmensberater und Gründer von Bloomberg New Energy Finance, hat eine "Wasserstoff-Leiter" erstellt, die auflistet, wie sinnvoll welche Verwendung zu welchem Zweck ist – in sieben Stufen von "unavoidable" (dt.: unvermeidlich) bis "uncompetitive" (dt.: nicht wettbewerbsfähig). Die Stabilisierung des Stromnetzes und das Betanken von Pkw stehen auf der untersten Stufe, die Hausheizung auf der zweituntersten. Ganz oben steht die stoffliche Verwendung zur Herstellung von Düngemittel oder von Methanol als chemischen Rohstoff.

[4.11.2021, 15:20 Uhr: Korrektur im 5. Absatz in Bezug auf die Umwandlungsverluste. jle]