Kommentar zu Fahrverboten: Von wegen alternativlos
Kommt keine Änderung des Klimaschutzgesetzes, drohen Fahrverbote, meint der Verkehrsminister. Doch er hätte durchaus auch andere Optionen.
Reibung erzeugt bekanntermaßen Wärme, und die Temperaturen in einer aktuellen Auseinandersetzung steigen wieder einmal heftig. Der Expertenrat bescheinigt, was im Grunde alle schon länger wissen, die es wissen möchten: Die zwei Sektoren Verkehr und Wohnen sind bei der CO₂-Reduzierung nicht im Zielkorridor. Die Politik hat nun die Wahl, dies zu ändern oder einfach den Korridor flexibler zu machen. Im Fokus der Debatte steht derzeit der Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der seine Sicht auf die Dinge in drastischer Form artikuliert.
Einzel- und Gesamtziele
Um zu verstehen, warum das Thema nun derart heftig kocht, muss man sich die Grundlagen ins Gedächtnis rufen. Die vorherige Bundesregierung, bestehend aus CDU/CSU und einer aktuell in dieser Hinsicht auffallend lautlosen SPD, hatte dem Klimaschutz mit einem für ihre Verhältnisse ehrgeizigen Plan auf die Füße helfen wollen. Vereinbart wurden CO₂-Reduktionen, die jeder Sektor für sich zu erfüllen hat. Dieses Gesetz ist bis heute in Kraft. Im vergangenen Jahr wurde diskutiert, ob es nicht sinnvoller sei, das große Ganze in den Blick zu nehmen. Solange über alle Sektoren hinweg die CO₂-Reduzierung insgesamt im Plan ist, können einzelne Ressorts ihre Ziele in dieser Hinsicht schleifen lassen. Umgesetzt ist das bis heute nicht.
Umweltverbände liefen gegen die Idee Sturm und machten über jene, die ihnen via Ideologie am ehesten nahe stehen, Druck. Es sind vor allem Grüne und Teile der SPD, die von dem Vorhaben nicht überzeugt sind. Eine Reform liegt deshalb auf Eis. Sie würde momentan vor allem dem Bundesverkehrsminister Volker Wissing nützen, der sich dieser Tage reichlich Kritik anhören darf. Er gilt als Bewahrer des Status quo in der Verkehrspolitik und ist schon deshalb für bestimmte Kreise ein leichtes Opfer. Denn Kritik an ihm kommt vornehmlich von jenen, die eigentlich ohnehin jede Form der motorisierten Individualmobilität abschaffen möchten. Als Kompensation für sie werden das Laufen, Radfahren und der ÖPNV ins Spiel gebracht. Alle drei gehören aus meiner Sicht gestärkt und sollten eine größere Rolle bei der Verteilung der Verkehrslast übernehmen. Doch den dominierenden Verkehrsträger Auto werden sie, aus unterschiedlichen Gründen, nur zu einem kleinen Teil ersetzen können.
Ein durchschaubares Manöver
Man darf wohl davon ausgehen, dass Volker Wissing zumindest geahnt haben wird, was der Expertenrat ermittelt hat. Wird am Klimaschutzgesetz nichts verändert, muss er bis zum 15. Juli Maßnahmen ergreifen, um die CO₂-Ziele in seinem Ressort zu erfüllen. In der vergangenen Woche warnte er in einem Schreiben an die Fraktionsführer der Regierung, dass ohne die – ihn entlastende – Reform Fahrverbote unumgänglich würden. Es ist ein seltsames, weil durchschaubares Manöver. Fahrverbote als alternativlos hinzustellen, ist schäbig und einer Partei, die über viele Jahrzehnte das Erfolgsmodell Bundesrepublik mitgeformt hat, nicht würdig. Wissing weiß, dass ein Verzicht aufs Auto am Wochenende – noch dazu unbefristet – politischer Selbstmord wäre und niemals auch nur den Hauch einer Chance auf gesellschaftliche Akzeptanz hätte. Die als selbst ernannte Fortschrittskoalition gestartete Regierung wäre augenblicklich bankrott, vorgezogene Neuwahlen die Folge. Für keine der drei Regierungsparteien wären die Folgen so dramatisch wie für die FDP, die in aktuellen Umfragen unter 5 Prozent liegt. Hinzu kommt: Elektroautos, betankt mit regenerativ erzeugtem Strom, ebenfalls nicht fahren zu lassen, dürfte eher schwierig zu verargumentieren sein.
"Es wäre den Menschen kaum zu vermitteln, dass sie ihr Auto nur noch an fünf Wochentagen nutzen dürfen, obwohl wir die Klimaschutzziele in der Gesamtbetrachtung erreichen", warnt Wissing. Das dürfte eine recht realistische Einschätzung der Lage sein. Wissing hat nur einen begrenzten Handlungsspielraum, der allerdings größer ist, als es die markige Drohung mit Fahrverboten andeutet. Ein allgemeines Tempolimit könnte ein kleiner Baustein sein, doch von der durchschlagenden Wirksamkeit einer solchen Maßnahme ist weder er selbst noch seine Partei überzeugt. Wie viel das bringt, ist nicht nur unter Befürwortern umstritten, sondern auch abhängig von der dann noch erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Einig sind sich vermutlich alle nur darin, dass eine Tempo-Begrenzung auf Autobahnen zu weniger CO₂ im Verkehrssektor führt, wenngleich dieser Bereich damit allein nicht in den Zielkorridor zu bringen ist.
Handlungsoptionen
Als Verkehrsminister könnte Wissing die Schiene umfangreicher stärken, als er es bislang tut. Dazu zählt auch, dies an jenen Stellen zu tun, wo es sich nicht maximal öffentlichkeitswirksam vermarkten lässt. Planungsvereinfachung beim Trassenneubau wäre ein Beispiel dafür. Er könnte Straßenneubauprojekte geringer budgetieren und Mittel in die Sanierung aller Verkehrswege umschichten. Er könnte die E-Mobilität unterstützen, in dem er etwa den Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter entbürokratisiert. Als Vorkämpfer für einen klug steigenden CO₂-Preis, der die Nutzung von fossilen Verbrennern kalkulierbar teurer macht und gleichzeitig an die Bürger wieder ausgezahlt wird, müsste er die Pfade seiner Partei noch nicht einmal verlassen. Denn es gibt einen Unterschied zwischen einem steuerlichen Anreiz und einer Steuererhöhung. Wie wäre es mit einem leicht reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Elektroautos oder vergünstigtem Ladestrom?
Vielleicht schafft er es sogar noch, seine Parteikollegen zu überzeugen, das luftleere Gebrabbel von CO₂-neutralen Kraftstoffen endlich einzustellen, die als Fata Morgana vor allem aus den Reihen der FDP den Horizont trügerisch illuminieren. Ein Dank aus der Industrie wäre ihm gewiss, denn auch dort wäre eine Planungssicherheit höchst willkommen. Audi-Chef Gernot Döllner brachte es in einem Interview kürzlich auf den Punkt: "Wir werden alle elektrisch fahren."
Vor allem aber könnte er mit einer progressiven Verkehrspolitik, die versucht, eine gesellschaftliche Akzeptanz für notwendige Veränderungen zu schaffen, über Parteigrenzen hinweg zu strahlen. Das klappt auch ohne Abgesang aufs Auto. Fundamentalkritiker würde er damit nicht einfangen, doch einige von denen scheren sich um ein gesellschaftliches Ansehen ohnehin nicht. Ihnen geht es vielfach eher um eine Temperaturerhöhung in der Debatte als um eine Lösung. Von einem Politiker in verantwortlicher Position aber darf und muss man mehr erwarten können.
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(mfz)