Missing Link: Nützes Gedöns (III.) – Digital Detox im Newsroom

Seite 3: Die erste Einsicht

Inhaltsverzeichnis

Ich bin ein Analogue Native. 1970 schenkte mein Vater mir eine Schreibmaschine. Ich schrieb die Familienzeitung mit Durchschlagpapier, ich schnüffelte an Unterrichtsblättern, die der Lehrer mit Matritzen vervielfältigte. Die Telefone waren grau, grün oder orange und hatten Wählscheiben. Das Fernsehen war schwarzweiß und hatte drei Programme, darin eine Sesamstraße mit Bibo und einem Oscar in der Mülltonne. Mein Vater las abends aus der Zeitung vor und kommentierte sie gerne vehement. Mit meinen Freunden hatte ich mich selten verabredet, ich klingelte einfach bei ihnen an der Haustür. In der Uni-Bibliothek arbeitete ich mit Karteikarten und Microfiches, Computer wurden dort eingeführt, als ich gerade meinen Magister in der Tasche hatte.

Es ist erstaunlich, wie ein Mensch all das hinter sich lassen und sich komplett in die neue, digitale Welt einfügen kann. Ich kann mich zwar noch daran erinnern, wie das soziale Leben auch ohne technisches, mehr oder weniger nützes Gedöns funktionierte, aber nachvollziehen beziehungsweise nachempfinden kaum noch. Selbst am Urlaubsstrand liegt ein E-Book-Reader auf dem Handtuch.

Allerdings bin ich nicht allein in meiner Familie und unter meinen Freunden technisiert, wir kommunizieren hauptsächlich digital miteinander. Wir bilden Messengergruppen für gemeinsame Unternehmungen und wer kein Smartphone besitzt oder eines hat, aber damit hauptsächlich telefoniert, weil er zum Beispiel seine Privatsphäre vor dem Datenhunger großer Konzerne schützen will, ist eine Art Außenseiter. Doch auch diese sind alle digital erreichbar, nämlich zumindest über die E-Mail ihrer Arbeitsstelle.

An dem Wochenende nach meinem Arztbesuch blieb das Notebook und das Tablet probehalber aus, den Sprachassistenten nahm ich vom Strom. Ein paar Mal linste ich auf dem Smartphone ins Whatsapp, aber dort ergab sich nichts, was aussah, als hielte sich der Zank, den ich damit entfacht hatte, in Grenzen.

Am Montag darauf fuhr ich nach Hannover und suchte meinen Chef auf, um ihm meine Lage zu schildern.
Nach einigem Grübeln sagte er: "Blöd. Tut mir leid, das sieht nach Berufsunfähigkeit aus."
"Ja, entschuldige. Eigentlich fühle ich mich gar nicht krank. Ich habe nur das Gefühl, dass es so wie bisher erst einmal nicht weitergeht."
Mein Chef zog die Stirn in Falten, in denen seine Gedanken wie in Spurrinnen hin und her zu sausen schienen.
Dann sagte er: "Ich habe eine Idee."

Ich mümmelte gespannt einen Keks von dem Teller auf seinem Besprechungstisch, während sein Telefon klingelte. Ein Chef hat ja immerzu Anfragen zu beantworten und Probleme zu lösen, die keinen Aufschub dulden. Dafür muss er informiert werden und Entscheidungen treffen und zum Telefon langen.
Nachdem er telefoniert hatte, sagte er: "Du arbeitest weiter für und bei uns, aber offline. Natürlich nur, wenn Du einverstanden bist."