Missing Link: Nützes Gedöns (III.) – Digital Detox im Newsroom

Seite 2: Die ersten Symptome

Inhaltsverzeichnis

Überdrein ist ein Nachrichtenredakteur "immer im Job". Er hat einen guten Grund, öfters den Rechner aufzuklappen oder das Smartphone zu zücken und nachzuschauen, ob etwas Neues in der Welt anliegt; zuhause, an der Bushaltestelle, im Bahnhof, im Wartezimmer, während sich die Liebste im Möbelhaus unter den Küchenmöbeln umschaut oder im Schnickschnack stöbert. Neues wie Altes lässt sich ins Internet auslagern und dort jederzeit abrufen. Das kommt meinem Gehirn entgegen, das mit zunehmendem Alter nicht mehr so viel wie ehedem lernen will.

Diese Melange aus acht Stunden werktags und ab und zu auch an Wochenenden im Internet zu arbeiten sowie die allörtliche und allzeitliche Vernetzung im privaten Alltag ließen mir die Informationen überfließen. Meine internen Filter wollten nicht mehr recht. Ich misstraute ihnen zunehmend, wurde leicht reizbar, fahrig und der nächtliche Schlaf litt. Dazu kam ein Informationsüberdruss, denn in den jüngsten Jahren erschienen mir viele Neuigkeiten gelinde gesagt ungünstig für meine optimistische Grundeinstellung.

Als Nachrichtenredakteur bin ich es gewohnt, hereinkommende Nachrichten möglichst schnell zu verarbeiten. Das schwappte möglicherweise in meinen Alltag über, auf meinen privaten Umgang mit Messenger-Mitteilungen, E-Mails und SMS. So kam es, dass ich eine wichtige Whatsapp-Mitteilung nicht erst in meinem Kopf reifen ließ, sondern überhastet beantwortete. Ich tippte schnell was vor mich hin und setzte damit eine Beziehung zu einem lieben Menschen arg aufs Spiel. Bevor ich über all das Rat im Internet hätte suchen können, ging ich zum Arzt.

"Manche Pädagogen raten Eltern von Teenagern mit Liebeskummer, ihren Kindern das Smartphone wegzunehmen. Solange sie das Gerät haben, können sie sich einbilden, sie stünden mit dem Objekt ihrer Begierde noch in irgendeiner Verbindung und hätten Einfluss auf es – selbst wenn das Objekt stumm bleibt", erklärte der Arzt. "Das kann zu einer Form der Sucht ausarten. Das beste Gegenmittel ist Entzug."

Ich stutzte und schaute ihn irritiert an.

"Bisher", fuhr er unbeirrt fort, "hatten Sie die Illusion, über das Internet an jedem Ort und zu jeder Zeit auf dem Laufenden, gewissermaßen mit der Welt in Kontakt und ein Teil von ihr zu sein. Nun spüren Sie immer mehr, dass Ihnen das doch nicht gelingt, und Sie versuchen ausgerechnet mit Hilfe des Internets, dagegen anzugehen. Das erscheint mir eine Form der Abhängigkeit, wie sie auch Alkoholiker in ihrem Teufelskreis zeigen. Sie sollten digital engiften", insistierte der Arzt.

Mir erschien das nicht auf Anhieb plausibel, jedenfalls nicht für meinen speziellen Fall.
"Wie auch?", sagte der Arzt. "Jedem Süchtigen, dem seine Sucht bescheinigt wird, erscheint sie erst einmal abwegig. Dann nimmt er sie vielleicht doch wahr und schert aus, sucht andere Wege, aber sie erscheinen ihm unangenehm. Also macht er es sich in seinem vermeintlichen Komfort wie bisher bequem und beschwichtigt sich."