Missing Link: Nützes Gedöns (III.) – Digital Detox im Newsroom

Seite 4: Die erste Schreibmaschine

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Ich sah mich schon Fotokopien anfertigen, Kaffee kochen, den Heise-Park fegen und dort die Aschenbecher ausleeren, aber im nächsten Moment, als er weitersprach, nicht mehr:
"Wir machen ein Experiment. Für eine Online-Publikation mit IT-Themen ist Digital Detox nicht gerade geschäftsfördernd, aber wir lassen uns mal darauf ein: Du recherchierst und schreibst weiter für uns Nachrichten und redigierst Texte Deiner Kollegen, aber nicht am Computer", sagte mein Chef, griff wieder zum Telefon und verlangte eine Schreibmaschine.

Unsere Redaktionsassistenz brachte schon immer einiges zustande und auch diese Aufgabe löste sie mit Bravour. Mein Computer wurde vorsorglich weggeräumt. Er hätte zwar auch einfach nur ans Intranet angebunden geblieben sein und so als Schreibmaschine dienen können, aber allein schon als Gerät als solches hätte er an meine Malaise gemahnen und mich, wie es heutzutage heißt, antriggern können – meinte jedenfalls der Arzt. Wie eine leere Wodkaflasche einen Alkoholiker. An Stelle des Computers trat eine elektrische Typenradschreibmaschine.

Nun konnte ich nicht mehr selbst online auf Nachrichtenpirsch gehen, sondern war auf jene Pressemitteilungen und andere Hinweise angewiesen, die auf Papier gedruckt in die Redaktion flatterten. Diese haben den Nachteil, für eine Redaktion, die auf frische Neuigkeiten angewiesen ist, etwas veraltet sein zu können, zudem wurden sie mit den Jahren sehr spärlich.

Also duldeten meine Newsroom-Kollegen ungewohntes Typengerattere, gingen für mich auf die Suche und überließen mir Agenturmeldungen, Pressemitteilungen, Hinweise von Lesern und anderes, das sie auf Websites und als E-Mails vorfanden, ausgedruckt auf Papier. Sie sagten dann: "Andreas, im Druckerraum liegt was für Dich."

Agenturmeldungen konnte ich mit einem Rotstift überarbeiten und dann neu abtippen. Ebenso handhabte ich es mit Artikeln, die von freien Autoren zugeliefert wurden. Diese Art der Überarbeitung wäre aber an Pressemitteilungen ausgewuchert, da formulierte und tippte ich am besten sofort selbst alles neu. Ein Kollege nahm dann das getippte Blatt und scannte es mit Texterkennungssoftware ein, damit er es ins Redaktionssystem einpflegen konnte.

Es ergab sich das Problem der Nachrecherche, der Verifizierung und Relativierung dessen, was da auf Papier als Nachrichtenthema auf meinem Tisch gelangte. Normalerweise lässt sie sich oft genug mit Besuchen auf Webseiten erledigen, mit E-Mail-Verkehr und mit Telefonaten. Aber dafür fehlten mir offline die Kontaktdaten, die nunmal online vorliegen oder in der Redaktionsdatenbank. Daher druckten mir Kollegen aus ihr eine Liste der Ansprechpartner und Telefonnummern von Unternehmen und anderen Institutionen aus. Und, was mir erst in dem Zusammenhang nach vielen Jahren wieder in das Bewusstsein rückte, es gibt noch die Telefonnummer 11833.