Was war. Was wird.
Ach, was soll die Aufregung: Denken ist eine schwierige Sache, die Geschichte sowieso von gestern, und wir sind alle Angehörige einer IT-Sekte. Oder nicht? Hal Faber hat noch ein paar Fragen.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Uh, oh, da war die Aufregung groß: Hal fabert über den Kommunismus und heraus kommt nach Meinung einiger Leser, dass er ein ganz fieser Kryptokommunist ist, ein Vertreter der fünften Internationale, zu der sich diese Linux-Typen und Apple zusammengeschlossen haben. Uh, oh, wie passend ist es da, wenn die Junge Freiheit in ihrer neuesten Ausgabe den Big Brother Award als "Preis unter Verdacht" seziert und die Rolle der Linksextremen untersucht, die mit Telepolis den Heise-Verlag unterwandert haben. Schonungslos decken da unsere Kommunistenjäger auf: "Die der telepolis angegliederte Internetseite www.heise.de ist eines der besucherstärksten Angebote des deutschsprachigen Internet. Außerdem dient sie vielen Journalisten als Informationsquelle, die häufig unkritisch zitiert wird. Ein solches Leitmedium eignet sich besonders gut, um Propaganda zu verbreiten." Wir sind nicht die Guten, wir sind die gefährlichen Unterwanderer. Jahrelang hat der Heise-Verlag so genannte Telefonbücher gedruckt, die natürlich nichts anderes sind als getarnte Verzeichnisse für die nächsten stalinistischen Säuberungen für den Tag, wenn die fünfte Internationale zuschlägt! Liebe Leserinnen und Leser, nun wissen Sie's, und wenn Sie jetzt nicht wegklicken, dann, ja, dann können wir jetzt mal ein Ständchen in der dunklen niederdeutschen Tiefebene erklingen lassen: "Spaniens Himmel breitet seine Sterne über unsre Schützengraben aus....." Hach, wie romantisch.
*** Den weniger aufgeregten Lesern empfehle ich den Hinweis, dass Bill Gates sich über den neuen Kommunismus geäußert hatte. Das verursachte einen großen Wirbel, darum musste His Billness nachlegen und erklären. Und wer diese neuen Erklärungen liest, merkt erst, wer hier fabert. Husch geht es von den Incentives bis nach China noch vor der Kulturrevolution und einmal zurück. Von Musikstücken bis zur elektronischen Patientenakte, die mit DRM und nicht mit PKI gesichert werden soll, lässt der Chefarchitekt seine Gedanken schweifen und bringt doch nur Eines zum Ausdruck: Wer nur einen Windows-Hammer hat, dem ist alles eine Bodenschwelle. Mit seinen schlichten Ausführungen hätte Gates auf der gerade zu Ende gegangenen DRM-Konferenz einen schweren Stand gehabt. Manche Ausführungen müssen einfach schlicht rüberkommen, das wissen Software-Macher wie Politik-Macherinnen. Gates' Vorstellung einer DRM-geschützten Patientenakte kann ja noch die deutschen Gematiker erreichen. Bundesministerin Ulla Schmidt ist überzeugt, dass der homöopathisch dosierte Start mit 100.000 Gesundheitskarten erfolgen kann und sicher ist, obwohl man noch an der Lösungsarchitektur feilt. Es fällt nicht schwer, sich in diesem Rahmen DRM-geschützte Patientenakten von Microsoft vorzustellen.
*** Wo wir gerade wieder beim Kommunismus, den Verschwörungen und dem ganzen Rest angelangt sind: Ein Bömbchen gefällig? Das n+etz ist angelaufen, dazu gibt es ein Buch, das sich mit dem an dieser Stelle bereits erwähnten Unabomber beschäftigt. Film wie Buch wollen eine universale Verschwörung aufdecken, gegen die die Theorien zum 11. September pillepalle sind. Manche mag es irritieren, wie souverän das "Netz" ausgelegt wird, ohne sich etwa um die Thesen von Alston Chase zu scheren, dass der Unabomber nach diadischen Experimenten des Psychologen Henry Murray offensichtlich ohne psychologische Behandlung blieb. Vielleicht waren es die Experimente der nationalsozialistischen Wissenschaftler, die ihn zum Mörder und nicht zum netten Computer-Hippie werden ließen. Aber was ist schon Realität? In unseren Kinos ist auch ein Film über eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt angelaufen, der nichts mit der Geschichte zu tun haben will und besser "Rocky unter den Nazis" heißen sollte.
*** So ist das halt mit den Verschwörungstheorien und der Geschichte: Wer sie nicht kennt, ist verdammt, sie zu wiederholen. Die Farce aber wird auf den Bühnen des Internet heutzutage jederzeit gegeben, nur die Darsteller werden immer schlechter. Die Geschichte mit dem großen Betrug ist eigentlich nach all den Mondlandungstheorien nicht mehr so recht witzig, und auch der moralische Vorwurf, ob das wirklich sein muss, nicht mehr so richtig neu. Die Moral des Vorhabens, eine Sonde auf den Saturn-Mond Titan zu schicken, lässt sich kaum in vulgärutilitaristische Kategorien fassen. "Wir mögen aufsteigen von dieser beschränkten Erde und, von oben auf sie herabblickend, bedenken, ob die Natur all ihre Pracht und Herrlichkeit nur auf dieses Häufchen Dreck verschwendet hat. So werden wir, wie Reisende, die in anderen, fernen Ländern weilen, ein besseres Urteil über die Vorgänge zu Hause gewinnen und ein jeglich Ding nach seinem wahren Wert schätzen." Wenn wir nicht mehr fragen, bleibt nur noch die Frage übrig, warum wir uns noch auf der Erde behaupten wollen. Ohne Bewusstsein dahinvegetieren können Ameisen und Krokodile besser -- und machen es uns schon lange vor. Wieso auf den Saturn-Mond, wenn die Probleme der Erde nicht gelöst sind? Wozu Musik, wenn Menschen hungern? Was soll Literatur, wenn Gefangene gefoltert werden? Warum denken, wenn Flutwellen über Inseln hinwegrollen?
*** Ja, das Denken und die Geschichte sind schon so zwei unangenehme Angelegenheiten. Wer sehen will, wie das ist, wenn man nichts mehr mit seiner Geschichte zu tun haben will, der sollte einen Blick auf die Geburtstagsfeier der Grünen werfen, die sich an diesem Wochenende vor 25 Jahren gründeten. Zur Feier gibt es einen Kongress, in dem die radikalen Anfänge sorgfältig umgangen werden. "Vielmehr wollen wir vorrangig die jetzt aktive politische Generation der Grünen nach ihrem Blick auf die Geschichte und die Perspektiven der Partei befragen", heißt es passend. Geschichte ist krümmbar, Herr Nachbar. Ihre Grenzen sind klar, um mit Minister Fischer zu reden: "Wir können nicht Politik gegen die Finanzmärkte machen."
*** Geschichte ist wirklich unwichtig. In England erscheint ein junger Prinz im Nazi-Look mit Armbinde auf einer Kostümparty und meint, wie Rommel auszusehen. Die Empörung ist halbherzig, die Entschuldigung ebenfalls. In Frankreich findet Le Pen, dass die Zeit der deutschen Besetzung nicht besonders unmenschlich gewesen sei. Olle Kamellen? Ich finde nicht. Im Vorfeld des beliebten Auschwitz-Gedenkens wird verharmlost und abgeschwächt, was das Zeug hält. In der Süddeutschen Zeitung (E-Paper, grummel) steht, wie die Juden abhanden gekommen sind bei all den offiziellen Erinnerungsterminen. Aufklärung, nein danke. Wer nicht über die Geschichte aufgeklärt ist, der wird aufwachsen wie David Wolfgang Hawke in den USA, als glühender Nazi der arischen Befreiungsfront, bis er mit seinen jüdischen Wurzeln konfrontiert wird und seitdem als Spam-King seinen Hass auf diese Welt loslässt.
*** Es ist nicht zu vermeiden, in diesem Wochenrückblick Apple zu erwähnen. Die Firma hat schließlich einige nette Sachen vorgestellt, etwa einen teuren MP3-Stick, der die Musik selbst bestimmt, oder einen kleinen Rechner für den Einbauschacht im Auto, sofern es nicht ein Alfa Romeo ist. Da passt nur ein iPod rein. Die Generation iPod hat eine Religion und die lautet Apple, befindet die Süddeutsche auf gammeligem E-Paper. Nun ist Apple, nicht Microsoft, die Firma, in der mit Klagen und Drohungen geholzt wird, nicht nur bei der Suchthilfe. Jeder, der sich Produkte dieser Firma kauft, muss eigentlich wissen, dass er eine Firma unterstützt, die gegen die Meinungsfreiheit vorgeht. Der Gedanke, dass auf diese Weise Firmengeheimnisse verraten werden, ist so lächerlich wie ein iPod shuffle. Aber: Jobs knows what's good for you, bald kommt der iPod sure mit von Apple fest eingebrannten Musikstücken und die Erinnerung an die Frau in roten Hosen ist längst schon verblasst.
*** Es hat etwas, einer gerade gestorbenen zum Geburtstag zu gratulieren, doch ich finde, bei Susan Sontag passt das. Heute wäre ihr 72. Geburtstag gewesen. Lieber erinnere ich an einen großen Geist als mich mit einem Land zu befassen, das auf den Hund gekommen ist. Bachblüten und ein Heim für Daisy, die sicherlich keine Fleischfresserin ist.
Was wird.
Kann man Zukunft eigentlich sehen? Wer so fragt, schaut die Sendung mit der Maus oder sucht das Programm der CeBIT. Die Messe in der norddeutschen Tiefebene naht und für die gequälten DV-Journalisten beginnen die Previews und Preshows, die Preforen und die Early Trendspots, auf die ich nicht verlinke, weil Normalsterbliche sich so etwas niemals antun würden. Man muss schon Hardcore-Hardware-Junkie sein, um sich ein Ereignis reinzuziehen, an dem Till Schweiger einen neuen Overhead-Projektor von Sharp präsentiert, ohne die geringste Ahnung zu haben, was Powerpoint ist. Wer smart aussieht, kriegt die Elitessen, nicht die Handouts, pflegt mein Freund Don zu sagen, wenn er und die Seinen nicht gerade in der Geschichte rummatschen.
Ich jedenfalls werde wahrscheinlich bis an mein Lebensende nicht die Saukälte vergessen, die in Fehmarn herrschte, als eine Truppe herein schneite, der ich heuer ein geschmackvolles Weihnachtspräsent verdanke. Ach, wir schauen gar nicht in die Zukunft? Dann muss es wohl so weitergehen:
Liebe Kinder. Das ist Cliff Richard. Er ist ein bedeutender Musiker. Aber Cliff hat ein Problem, weil er noch nicht gestorben ist. Bald gehört ihm die Musik nicht mehr, die er macht. Deswegen gibt es Forscher, die Tag und Nacht daran arbeiten, dass Cliff nicht hungern muss. Sie wollen Cliff und all die anderen vor den bösen, bösen Internet-Piraten schützen, wie sie in einer Pressemeldung schreiben. Ja, ich sehe sie, die Zukunft! Schnipp. Schnipp. Always look on the bright side of life, schnipp, schnipp. (Hal Faber) / (jk)