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Was war. Was wird.

Mit talentierten Nebenfiguren beschäftigt sich Hal Fabers pneumatischer (und elektronischer) Wochenrückblick normalerweise nicht -- dieses Mal ist eine besondere Ausnahme.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute beginnt die kleine Rücksichtnahme mit einem Blick auf eine "talentierte Nebenfigur" (so die NZZ) namens George Harrison. Er war Leadgitarrist bei den Beatles und schrieb nur 22 ihrer Songs. Auch wenn sich darunter Klassiker wie "When my guitar gently weeps" und das schönste Liebeslied aller Zeiten befinden, reichte es wirklich nur zur Nebenfigur, die keinen Bekanntheitsgrad von 60 Prozent für sich verbuchen konnte. Als einer der vielen Väter des Spam wird ihn die Computergemeinde in Erinnerung behalten können: Seine Firma Handmade Films produzierte die Filme der Monty-Python Truppe, die gestern für ihr Lebenswerk den Europäischen Filmpreis des Jahres 2001 bekam. Dafür singen wir alle mit: "We have Spam Spam Spam egg and Spam Spam Spam Spam Spam Spam Spam baked beans and Spam Spam Spam Spam Spam Spam." Andere mögen sich schockiert zeigen, dass in diesen ernsten Zeiten eine Truppe von Anarcho-Komikern ohne Moral ausgezeichnet wird. Um es mit einem Lied der Truppe zu sagen, für den die Nebenfigur das Geld gab und etwas mitsang: "Always look on the bright side of life, tadam, tadam, tadamtadamtadam". Tja, die Nebenfigur George: Sie starb mit 58 Jahren einen ganz und gar nicht heroischen Krebstod. Wäre er wie John Lennon bei dem Attentat am 30. Dezember 1999 gestorben, dann würden die Nachrufe anders ausgefallen sein.

*** Machen wir eine kleine Pause ...

*** ... und ignorieren die Nörgelei, was das den mit Computern zu tun hatte. "Das gibt Mecker", wusste schon ein anderer großer Norddeutscher, möglicherweise ein Friese wie diejenigen, die im Eiderstedt propagierten: "Gott schuf das Meer, der Friese die Küste". Wenn sich der gute Hal schon einmal aus seiner norddeutschen Tiefebene hinauswagt, dann stößt er gleich auf Schilder, die friesisch-derb kurz hinter'm Deich verkünden: "Nieder mit der Ökodiktatur!" Mit der ist es aber auch nicht mehr weit her, seit Otto Schily im Konzert mit Günter Beckstein die Grünen wie Tanzbären im Rund des Bundestags und -rats vorführt. Vielleicht sollten die Friesen statt der Grünen in die Bundesregierung einsteigen: Maulfaul, wie sie trotz aller gelegentlichen Auftrumpferei sind, ist der Datenschutz bei ihnen sicher in besseren Händen.

*** Vielleicht sollten aber die Grünen auch einmal wieder im großen Buch der Technikgeschichte nachlesen, denn dort wurde vor 125 Jahren ein wichtiges Kapitel aufgeschlagen: Nach London, Paris und New York nahm die Berliner Stadtrohrpost die Arbeit auf. Das System, das der französische Wissenschaftler Patrice Flichy als "pneumatische E-Mail" beschrieb. Ihren Höhepunkt hatte die P-Mail in den Kriegsjahren 43/44 mit 25 Millionen Sendungen jährlich, weil das System mit 300 km öffentlichen und 100 km streng geheimen Leitungen als abhörsicher galt: Über die geheimen Abzweigungen wussten nur Wenige Bescheid, zudem wurde eine Laufzeitkontrolle durchgeführt. Diese Technik des Sendens geheimer Nachrichten in einem öffentlichen Netz, die die damaligen Sicherheitsexperten entwickelten, ist heute als VPN bekannt. Für die öffentlichen Rohpostbriefe galt die Pflicht zur Lesbarkeit. Was lehrt uns da die Geschichte, als dass sie nichts lehrt, wenn der Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz den Verbot der Kryptierung fordert? 1963 wurde die Stadtrohrpost eingestellt, doch das eigentliche Aus kam im Westen Berlins erst 1971, im Osten 1976: Bis dahin wurde es von der Post für die Überprüfung von Schecks benutzt. Als Nachfolger der Rohrpost gibt es (langsamere) Fahrradkuriere: Fortschritt mit einem menschlichen Antlitz.

*** Zu den fortschrittlichen Meldungen dieser Woche gehört die Planung eines Internet-Jugendschutzes, der aus der Senderzeitbeschränkung eine Empfängersperre machen will. Schweinskrams wird es danach nur von 23:00 bis 6:00 geben, wobei ein behördlich akzeptiertes Javascript-Modul die Zeit auf dem Client-Rechner meldet. An deutscher Zeit soll die Welt genesen, lachen viele Experten über die Machbarkeit des Systems, doch eigentlich ist es eine traurige Sache: Im Dritten Reich waren die Volksgenossen zur Meldung verpflichtet, wenn die Uhren der Nachbarn falsch liefen. Ein Indiz, das auf das Hören von Feindsendern wie rotten.com hinweist, kann natürlich umgangen werden, wenn in der Schule staatsfeindlich wie nur sonst was gelernt wird, wie man den nachts laufenden ODS-Kommunikationsserver ausreizt, auf dass er kostengünstig Webinhalte abruft. Wer lehrt so etwas? Was geht wohl in den Schülerhirnen vor, die Spickzettel per SMS anfordern? Nun, die Kinder helfen sich selber und werden dabei von der einen oder anderen Seite hereingelegt.

*** Das passiert übrigens nicht nur Kindern: In einem düster verzerrten Buch über die "Generation Internet" schreibt der Spielexperte Thomas Feibel von der einsamen Medienkindheit, in der 63 Prozent aller Eltern den Kindern ohne Kontrolle vertrauen, dass sie bei ihren Internetbesuchen die richtigen Seiten anwählen. Das klingt ermutigend, wurde aber von einer Firma namens Ears and Eyes erhoben, die nach eigener Darstellung in dem Waschzettel zum Buch "eine umfassende Strategieberatung [bietet], die auf solider strategischer Arbeit und auf Realtime-Wissen basiert. So ist EARSandEYES VISION in der Lage, in die nahe Zukunft von Marken und Märkten zu sehen und die entsprechenden Handlungsempfehlungen für Auftraggeber zur erfolgreichen Markenführung zu entwickeln." Was ist das wohl für eine einsame Medienkindheit, in der die Kinder surfen, ohne eine einzige Marke ordentlich kennenzulernen? Vermurkst ist sie. Wie sagt noch der Warner vor der Generation Internet: "Mir war sehr daran gelegen, mit einer der renommiertesten Marktforschungen im Onlinebereich zu arbeiten. Näher kann man an die Zielgruppe nicht heran." Mein Vorschlag: einfach mal mit den Kindern surfen und ablachen. Wer übrigens Kinder beschenken muss und sich vor dem konsumstarken Weihnachten in die Hose macht, dem rät die Münchener Firma Saitek zum Kauf ihrer Optical Mouse Pro. Das ist ein Viech, dessen "Leuchtelemente" blinken, wenn E-Mail im Postfach ist. Auf diese Weise sollen Kinder viel ruhiger surfen und nicht dauernd aufs Postfach klicken. Jetzt fehlt nur noch die passende Tastatur zum Einschlafen vor 23 Uhr.

Was wird.

Ginger Rogers war eine begnadete Tänzerin. In ihren Filmen herrscht immer der Eindruck, als ob sie über dem Boden schweben würde. An Ginger Rogers dachte Dean Kamen, als er Ginger erfand. Etwa so, wie der große George Harrison an Ray Charles dachte, als er "Something" schrieb. Weil anerkannte Größen wie Steve Jobs Ginger als die größte Revolution nach der Erfindung des geschnittenen Brotes rühmten, zerbricht sich die Welt seit einigen Monaten den Kopf, was Ginger eigentlich ist. Am Montag soll es nun so weit sein. Dann will Dean Kamen in der Show "Good Morning America" Ginger erstmals in aller Öffentlichkeit präsentieren. Dann erfährt die Welt, ob das Zeitalter des PH (Personal Hovercraft) beginnt, oder ob es sich nur um einen umweltschonenden heliumgetriebenen Einrad-Roller handelt, der gyroskopische Effekte wie ein Kreiselkompass ausnutzt. Vielleicht tanzt nur die Nachfolgerin von Ginger Rogers. In einem Interview hat Britney Spears erzählt, dass sie sich für die neue Ginger Rogers hält: Amerika kann nicht nur in Afghanistan grausam sein.

Wo bleibt das Positive in den Lametta-trächtigen Tagen? Oracle, das gleich nach Ginger auf der Oracle World verspricht, richtiges XML zu verstehen? Sharp, das parallel zu Ginger auf der Internet World den ersten echten Massen-PDA unter Linux servieren möchte? Aber nicht doch. 18C3 steht vor der Tür und der Chaos Computer Club hat erstmals ein CfP durchs Internet gejagt, einen Call for Papers für englisch sprechende Vortragende. Nach all den Jahren soll der Kongress der Weihnachtsmänner zweisprachig durchgeführt werden. "Hal, can you hear me?", endet der Aufruf, doch natürlich kann Hal längst nicht mehr hören. Wer Bowmans Mutter beleidigt, hat es nicht besser verdient. Mit einem speziellen Dank an Stan "2001" Kubrick hat Camp Chaos darum die Adaption der Mötley Crüe im Programm: Berlin ist ein heißes Pflaster der hoch-hackigen Häcksen. Besinnlicher Advent No. 1, allerseits. (Hal Faber) / (jk)