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Was war. Was wird.

Es gibt offensichtlich vieles, was nur noch als 9/10 erscheinen mag, auch für Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das ist alles sooo 9/10, heißt es nun in den USA, wenn Forbes die Liste der Superreichen dieser Welt veröffentlicht, die Bill Gates anführt. Sooo 9/10, mit gehörig gelangweilter Stimme zu sprechen, ist auch die Aufholjagd von Larry Ellison, der reicher als Bill Gates werden will. Aber PR-Profi Ellison hat dies als Erster gespürt und seine Geschichte von dem landesweiten ID-System mit Foto und Fingerabdruck aus den verstaubten Ordnern früherer Zeiten gezogen. Schließlich braucht man dazu eine Datenbank, die Oracle kostenlos liefern will. So schließt sich ein Kreis: Oracles erster Kunde war die CIA, die eine Fingerabdruck-Datenbank aufbauen wollte. Im Fernsehinterview, in dem er seinen Vorschlag vorstellte, sagte Ellison: "Diese Privatsphäre, über die Sie so besorgt sind, ist eine Illusion. Alles, was Sie aufgeben müssen, ist ihre Illusion, nicht ihre Privatsphäre. Im Internet können Sie heute alles über ihren Nachbar finden, seine Kreditlimits, wo er arbeitet, wie er seine Raten zahlt und Vieles mehr." Da fragt sich fast, was Larry Ellison über Bill Gates herausgefunden hat.

*** Überhaupt, diese Nachbarschaft: Wir kümmern uns zuwenig um die Leute nebenan und lassen es damit zu, dass Terroristen Wohnungen mieten können. Mit dem Vorschlag einer "Global Neighbourhood Watch" meldete sich der Sicherheitsspezialist und ehemalige Prediger Richard Thieme in seinem Newsletter "Islands in the Clickstreams" zu Wort. Alle besonderen Vorkommnisse sollen einer Datenbank im Internet gemeldet werden, in der modernstes Informations-Drilling die Zusammenhänge erschließt. Die Blockwarte im neuen (Bürger-) Krieg werden geradezu poetisch auf "Anomaly Detection" eingestimmt: "Das Aufdecken von Ungewöhnlichkeiten ist seit den Anfängen ein Eckstein der geheimdienstlichen Arbeit, von dem Vogel, der Noah einen Olivenzweig brachte, bis zu den Mustern, die sich im alltäglichen Leben entdecken lassen." Die Friedenstaube lassen wir hier lieber gleich weg, sie könnte ein Aufklärer sein. In Zeiten, in denen in Deutschland Lauschverordnungen einfach akzeptiert oder mit Bedenken akzeptiert oder gar nicht akzeptiert werden, zeigen uns damit die Amerikaner, wie Information Superiority aussehen soll.

*** Überhaupt, diese Information Superiority: Betonte doch nun auch der Chefredakteur von Computer-Bild im Editorial der jüngsten Ausgabe, der Springer-Verlag habe sich auf die "Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika" verpflichtet. Nach den Terror-Attacken in den USA wurde dies Bestandteil des Arbeitsvertrages auch für Journalisten bei Springer. Nun will ich hier nicht diskutieren, ob die Redaktion oder einzelne Redakteure von Computer-Bild etwas gegen die NATO haben oder jemals haben werden. Das ist eigentlich ihr persönliches Problem, was sie selbst meinen, journalistisch vertreten zu müssen, oder ob ihnen das ganz individuell als Redakteuren eines Computer-Blattes vielleicht auch scheißegal ist – nein, das darf es jetzt wohl nicht mehr sein. Die Frage stellt sich, ob etwa Echelon, das frühere Export-Verbot für starke Kryptographie, Carnivore, der Geheimdienst NSA oder Ähnliches auch zur Unterstützung der NATO und der Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft gehörten. Man sieht, selbst Computer-Blätter bleiben von der medialen Überreaktion nicht verschont, die nun wohl auch US-Altrocker Mitch Ryder aus MP3-Sammlungen verbannt. Der sang zwar "Ich bin aus Amerika" – das aber auf Deutsch, und auch erst, nachdem er mit der Zeile "Er ist nicht mein Präsident" Ronald Reagan sein äußerstes Misstrauen ausgesprochen hatte.

*** Überhaupt, die Superiority: In einem Artikel für den englischen Guardian machte der Echelon-Experte David Campbell in dieser Woche noch einmal darauf aufmerksam, dass Kryptografie und Steganografie bei den Islamisten von Bin Laden keine Rolle spielten. Er veröffentlichte sogar die Telefonnummer, über die Bin Laden unverschlüsselt Anweisungen zu geben pflegte. Den Verfechtern von starker Überwachung, von "Datenschutz ist Täterschutz" werden solche Ausführungen nichts anhaben können, weder in England, noch bei uns. Das neue "Betriebsklima" stellt jede Kommunikationsform unter einen Anfangsverdacht. Aus Australien kommt die Nachricht von einem Instant Messenger der Firma Cleartext, der mit verschlüsselter Kommunikation arbeitet. Prompt muss sich der Autor David Banes gegen Vorwürfe wehren, den Terroristen in die Hände zu arbeiten. Das bringt uns zu einem Konkurrenten, der israelisch-amerikanischen Firma Odigo. Angestellte der Firma sollen in Israel zwei Stunden vor der ersten Attacke in New York Mails entdeckt haben, die Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf das World Trade Center enthielten. Nach Angaben der Firma wurde der Hinweis sofort an das FBI weiter geleitet. Was wahr, was ist? Die Sache gibt Spekulationen Auftrieb, wonach Messaging-Systeme von den eifrigen Datensammlern bisher nicht beachtet wurden. Ein mysteriöser Fall, weit mysteriöser als die liebevoll geführte Dauer-Debatte um ein Foto, das angeblich von der Spitze des World Trade Centers stammt, wo es in dieser Form keine Aussichtsplattform gegeben haben sollte.

*** Überhaupt, das FBI. Ist es ein Friendly Bureau for Informaniacs geworden? Als ob es derzeit nicht genug Probleme hätte, muss es sich neben dem Jihad mit den Yihats befassen. So kürzt sich angeblich eine Gruppe um den gerade angezeigten Edelhacker Kimble ab. Ausgeschrieben sind sie die "Young Intelligent Hackers Against Terror". Die jungen Intelligenzler, hauptsächlich Engländer unter Führung von Kimble, wollen die Al Shamal Islamic Bank gehackt, dort Konten von Bin Laden und seiner Al Quaeda gefunden und diese Informationen dem FBI übergeben haben. Man mag die Sache glauben und Kimble bewundern, wie es die nicht näher genannten Hacker tun, man mag die Todesdrohungen glauben, unter denen Kimble leidet. Seltsam ist, dass sich unter den islamischen Banken ausgerechnet die Bank zum Hack über eine bekannte Lücke des Checkpoint Firewall 1 ausgesucht wurde, die letzten Mittwoch in einem Senats-Hearing als Bin-Laden-Bank identifiziert wurde. Der supercoole Yihat-Führer Kimble wird in den US-Medien als "finanziell erfolgreich" geführt, seine an den Webmaster der Al Shamal Islamic Bank geschickte Erklärung ausführlich zitiert. Seltsam nur, dass keine Website dieser Bank existiert.

Was wird.

Es geht weiter. Das erste Buch zu 9/11 ist erschienen. Ursprünglich sollte es nur "09/11 8:48 AM" heißen, doch das erschien dem Herausgeber zu ungenau. In einem Jahr könnte vielleicht schon jemand nichts mit dieser Angabe verbinden, heißt es zum neuen Untertitel: "Documenting America's Greatest Tragedy". Wir lernen: Wer schnell schießt, scheint kein Langzeitgedächtnis zu haben. In den USA bekennt sich eine Gruppe namens "Options Underground" dazu, sich über den Terror in New York zu freuen, der Anlegern die beste Investmentchance seit Jahren eröffne. "Wir schreiten voran, Amerika und die Comdex", heißt es in einer Pressemitteilung der Comdex. Das novemberliche Computerspektakel in Las Vegas soll fast wie gehabt statt finden. Fast. "Unter der Flagge finden wir zusammen und zeigen aller Welt, wie stark Amerika ist." Die Pressemitteilung der Comdex gehört noch zu den gemäßigten ihrer Art. Ach ja: Aus aktuellem Anlass wird ein neuer Themenpavillon auf der Messe errichtet, der sich mit Video-Conferencing befasst. Das wird Ray Kurzweil freuen, der die Videotreffen im Internet als erste Anzeichen für den großen Sprung der Menschheit begrüßte. Denn wer sich virtuell auf einem Server trifft, ist eher bereit, sein Hirn auf einer Festplatte speichern zu lassen. Das erleichtert die Kommunikation mit anderen Partitionen ungemein. Am 24. Oktober eröffnet Kurzweil eine Ausstellung über Computergehirne im Paderborner Heinz Nixdorf MuseumsForum.

Wie stark Amerika ist, zeigt sich in der aktuellen Diskussion um die Verschlechterung oder den Ausfall von GPS in seiner zivilen Variante. Was bleibt? SOS funken? Aber nicht doch, dieses Signal ist 1999 abgeschafft und durch GMDSS ersetzt worden. Am 3. Oktober wäre SOS übrigens 95 Jahre alt geworden: An diesem Tag wurde in Berlin aus dem SOE der Reichsmarine das weltweit anerkannte SOS kreiert. Drei kurz, drei lang, drei kurz, eine "edle Einfachheit in tiefer Noth", die den anwesenden Italienern, Franzosen, Engländern und Amerikanern gefiel. Gerade beraten FAA und angeschlossene Militärs, welches Signal ein Transponder eines Flugszeugs senden kann, das von Terroristen gekapert wurde. Wie sangen noch Motley Crue ihr Save our Souls? "Got no religion, laugh while they fight." Das Wetter. (Hal Faber) / (jk)