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Was war. Was wird.

Was ist schon immer? Sicher keine zwei Jahre, auch wenn in diesen Zeitraum schon eine Jahrtausendwende fiel -- daher sei auch Hal Faber ein Blick zurück nach vorn gestattet.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nochmal: "Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen", für das, was im Geschwurbel der harten Nachrichten untergegangen ist, für das, was in der Zukunft lauert. Doch was ist schon "immer"? Sicher nicht ewig, auch wenn selbst diese Wochenschau schon einen Jahrtausendwechsel erlebte. Gäbe es die Kategorie des "immer" in dieser Branche, so würde eine Hölle auf mich warten, in der ein Teufel mir pausenlos meine Artikel zu OS/2 oder zur Groupware vorlesen würde. Selbst "immer" hat einmal klein angefangen, wie diese Kolumne, die passenderweise das zweijährige Jubiläum feiert. Zwei Jahre oder 104 Ausgaben sind passend, weil 0 und 1 halt zwei wichtige Zahlen in Digitalien sind, weil Binär zweistoffig heißt und es mindestens zwei Menschen braucht, WWWW ins Web zu stemmen. Zusammen mit einem Leser wären wir sogar schon drei! Das kann auch gefeiert werden! Pünktlich zum Jubiläum springt die Zahl der Anmeldungen im Heise-Forum angeblich über die 100.000. Auch wenn sich darunter der eine oder andere Leser-Irrtum, Doppelbot, Ersterbot und MLWDNP-Automat befinden mag, so bleibt die Chance, dass mindestens ein Mensch liest, was von uns im Saturday Night Fever produziert wird.

*** Ein Blick zurück nach vorn: Was war, was wird begann kurz nach dem Superbowl als eine Art Notwehr im Affekt vor der CeBIT, zu der die Public Relations regelmäßig ihre dümmsten Dumm-Dumm-Geschosse feuert. So viel hat sich da nicht geändert, sieht man von den Dot.coms ab, die nicht mehr zum Superbowl werben. Dafür ist dieses Jahr Dell dran, das zum Bowl die Rechner liefert und dazu in der Presseinformation das gelobte Land USA preist: "Alles muss passen, von der Nationalhymne bis zu den Dell-Computern. Wir wissen nicht, ob Mariah Careys Stimme versagt, aber wir garantieren, dass die Dell-Systeme nicht ausfallen werden." Mariah Carey und die Nationalhymne werden also verzücken und vergessen machen, dass es Dell nicht gestattet wurde, ein Remake des berühmten Apple-Videos aus dem Jahre 1984 zu drehen. Somit ist uns ein Dell Blade Runner erspart geblieben, der gegen Compaqs Server Blades den Hammer kreisen lässt. Ach ja, die Erinnerung an rotbehoste Frauen, die Big Brother mit dem Hammer zu Leibe rückten, ließ selbst Hal schon sentimental werden, da beißt Michael Dell kein Apfelstückchen dran ab.

*** Schnell tauchten im WWWW die Bobos auf, in der Kolumne zum großen InternetGrau. Die Dot.com-Prediger mit ihren Aktionen, die mitunter nachhaltige Zweifel an der Funktionsweise des menschlichen Verstandes aufkommen ließen, nervten viele Leser. Heute sind die Neuen Reichen fast ausgestorben, ist die Dot.com-Blase ein schlaffer Sack und Bobos überleben nur noch als seltsam geformte Telefone. Ach, die Vergänglichkeit alles Lebens, fordert sie nicht in uns den Philoso-Viehtreiber (erstmals im September 2000) heraus, oder mindestens den "Business Philosopher"? Einen solchen promovierten Sinnsucher hatte die hessische Biodata angestellt, wie ein Satellit um das Geworfene der Programmierer zu kreiseln. Unablässig erklärte er den Mitarbeitern den Sinn des Lebens nach Monty Python, Raymond Kurzweil und dem Neuen Markt, half bei Notfallreaktionen des intellektuellen Systems. Bei allem Geworfensein hat es den Philosophen längst geschmissen und bei Biodata rieseln die letzten Ahornblätter zu Boden.

*** 10 Minuten Ruhm gab es für ein WWWW, in dem die Datenbank einer Firma eine Rolle spielte, die heute wieder Gupta Technologies heißt. Die Ketzerei über den Inder Umang Gupta und eine längst vergessene Politiker-Aktion mit dem hübschen Namen "Kinder statt Inder", bei der die Adressen in besagter Bank gespeichert wurden, brachte es zu einem parlamentarischen Geplänkel im Bundestag. Heute ist man natürlich weiter, heute duelliert man sich mit Websites wie "Nicht regierungsfähig" -- nur echt mit dem Goldesel -- oder Wahlfakten unter bayerisch blauem Himmel. Nach den Indern fragt niemand mehr und die Kinder, die sitzen bekanntlich vor der Glotze oder sind am Surfen. Denn "mit einem EU-geförderten Projekt können Kinder im Internet spielerisch Natur und Tiere kennen lernen", verkündete man hier in der letzten Woche. Mit 2,52 Millionen Euro will man aus der Natur "mediengerechte Online-Inhalte für Kinder [...] schaffen und dabei gleichzeitig ein Rechte-Portfolio [..] entwickeln, das international vermarktbar ist." Einfach die Kinder an die frische Luft schicken und gucken lassen, wie kaputt die Natur ist, das ist ganz und gar eine abartige Idee voller Insolvenz.

*** "Kinder statt Inder", daran konnte man sich allerdings noch reiben, das mag manchem angesichts des verschwurbelte Sätze in die Medienlandschaft streuenden Stoiber, des Party-Senators Schill und des Unverbrüchliche-Treue-Schröders als zu bewahrendes Gut erscheinen -- ähnlich, als sehne man sich angesichts von Scharping und Merkel nach Wehner und Strauß zurück. Damals aber beschwerte sich dann doch mancher, wie politisch ihm oder ihr es plötzlich auf einer Techie-Website entgegenschlug. Wenn aber nun unser aller Bundeskanzler sich von George Dabbeljuh belobigen lässt, während Bill Gates in trauter Eintracht mit Bono für den Ausgleich mit den Ländern der 3. Welt plädiert, IWF-Chef Horst Köhler den Industrieländern Arroganz vorwirft und auf den Straßen New Yorks die No-Logo-Fraktion gegen das WEF in 100 Metern Abstand vom Tagungsort sich auf den Straßen tummelt, dann mag mancher Leser möglicherweise lieber in New York sein, egal auf welcher Seite der mehr oder weniger virtuellen Barrikade, oder vielleicht auch in Porto Alegre beim Word Social Forum. Auf jeden Fall sicher lieber als in München, wo ganz prophylaktisch einmal alle Demos gegen die Sicherheitskonferenz verboten wurden -- das würde sich, Terror-Hysterie hin oder her, die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit geht manches Mal dann doch vor, in New York wohl selbst George W. Bush verbeten haben. In der Tagesschau aber ist die königliche Hochzeit in Oranje-Landen die wichtigere Meldung als das WEF oder die ehemals als Wehrkundetagung bekannte Münchener Veranstaltung. Herzallerliebst: Jeder hat die Medien, die er verdient. Da sind die Heise-Leser halt doch besser dran.

*** So feiere ich also Jubiläum und die Herren der Welt gehen ihrer Wege. Aber Hal, was ist dein kleines Jubiläum gegen die großen, wahrhaft titanischen Landmarken im Leben der Menschheit, mögen da nun Viele spötteln. Patsch, patsch, latürnich, wie könnte ich die Eröffnung des ersten öffentlichen WC von 2. 2. 1852 zu London vergessen? Niemals! Im Kampf um die biologische Pressefreiheit installierte die Stadtverwaltung das öffentliche WC für Herren in einem Pressezentrum -- das Damenklo folgte wenige Tage später. Journalismus und Fortschritt leiten sich seitdem nicht vom Verb Schreiten ab. Und bleiben wir, Ehre wem Ehre gebührt, bei den Engländern, so lesen wir, dass die Erfinder der Porzellanschüssel sich an Größe und Genius mit Steve Jobs und Bill Gates messen können. Nun, wenn der Gates seiner Zeit sich mit der Spülung beschäftigte, da ist es nur logisch, wenn der Gates von heute sich mit dem Porzellan abgibt. Die Presserklärung von Microsoft und der Porzellan-Manufaktur Meissen von dieser Woche geht den geheimen Verbindungen illusionslos nach: "Der langwierige Entstehungsprozess von handgefertigtem Porzellan und innovativer Software erfordert ein Höchstmaß an geistigem und kreativem Einsatz seitens der Künstler und Programmierer. Diese persönlichen Grundideen gilt es mit vereinten Kräften zu schützen -- so die gemeinsame Forderung des Porzellan- und des Software-Herstellers." So richtig fetzig ist die Kampagne zum Kopierschutz aber noch nicht: Wir warten auf die Microsoft-CD zum Meissener Teller und auf Windows im Porzellanschuber, nur echt mit gekreuzten Schwerten. Das Zerschlagen der Verpackung verpflichtet zur Installation.

*** Doch was sollen Jubiläen und verklärte Rückblicke? Es bleibt auch für den schlichten Chronisten genug Stoff, der zum Leser getragen werden muss. Da ist die Firma Etaco, die diese Woche den Crystal Clean Accent Remover for Germans vorstellte. Man nuschelt sein Englisch in das Gerät und schon kommt das akzentfreie Echo. Unhöfliche Sachen wie die Jubiläumsgabe zum vorletzten RTFM werden ignoriert. Und ist der Akzent auch in der anderen Richtung weg, können wir ganz wunderbare Hanebücher lesen. "Pinging selbst ist keine feindliche Tat, sondern es zeugt, dass für etwas Vernunft Sie versucht haben zu überprüfen, wenn Ihr Computer antworten würde. In einigen Fällen ist eine Anschluss-Ultraschallaufnahme oder andere Prüfung von Verwundbarkeit Ihres Computers preceeded durch ein Peng." Jau, und wenn der Computer eine verrottete Website nicht rausrückt, macht es Pong. Zensur findet nicht statt, und wer sperrt, ist Esel von Wesel.

*** Eines noch, bevor auch diese Kolumne sich ihrem Ende zuneigt -- mancher Leser mochte wohl schon nicht mehr daran glauben. Aber es sei daran erinnert, dass nicht nur lustige Sachen, auch das Ableben geschätzter Personen im WWWW vermeldet werden musste. Niemals hätte ich mir träumen lassen, einen Kommentar wie den zum 11. September schreiben zu müssen. Es gibt ungerechte Tode und schöne Abschiede, wie den von Astrid Lindgren, der geschätzten Autorin von "Pomperipossa in Monismanien", eine Anklage gegen das schwedische Steuersystem, in dem sie 100,1 % Steuern zahlen musste. Genüsslich walzten die damals regierenden Sozialdemokraten die Geschichte aus, wie dämlich Lindgren sei, da sie sich in ihrem Alter von damals 68 Jahren verrechnet habe. Dafür verloren sie die Wahl in Bausch und Bogen. Ach ja, Astrid Lindgren schrieb wundervolle Kinderbücher ganz ohne Hilfe von Photoshop. Bücher, die mensch fürs Leben braucht.

*** Was man fürs Leben braucht, das maßt sich diese Kolumne nicht an zu bestimmen, dafür sind dann Eltern zuständig, denen jemand wie Karlsson vom Dach "nach allen Regeln des Leninismus die Charaktermaske des Erziehungsberechtigten" herunterreißt -- nicht nur Jens Jessens Traum ist auch weiterhin das Tirritieren, Figurieren und Schabernacken. Meine Eltern übrigens, die mir den Hal einbrockten, hatten sich abseits aller Hektik, die es für die damals noch nicht Bobo genannten aufsteigenden Entrepeneurs und ihre Gehilfen gab, eine Hütte besorgt, eine umgebaute Gesindehütte eines Bauernhofs im Hochschwarzwald. Was man so zum Leben braucht. Uns war das Bullerbü. Was sonst. Damals mag sich auch der Hang zu lieb gewordenen Gewohnheiten entwickelt haben, der möglicherweise auch dazu führt, dass es jeden Sonntag diese Wochenschau gibt. Ein Ritual, das mich nun seit 2 Jahren auf Trab hält -- und mir das Leben leichter macht, wenn ich richtig verstand, was Axel Hacke dieser Tage im SZ-Magazin schrieb. Ja, ich bekenne mich als großer Axel-Hacke-Fan: Spätestens, aber eigentlich nicht erst seit dem Tag, da er den Erlediger erfand, den ich so lange schon suchte, aber nie fand, möglicherweise weil ich ihn nicht erfinden konnte. Ein Erlediger für all das unsäglich Nervende und eigentlich mal ganz schnell zu Machende würde mir das WWWW noch leichter in die Tastatur klappern lassen, aber dann würde die Wochenschau möglicherweise noch länger, wenn ich nie mehr Glübirnen wechseln müsste, wenn gerade keine mehr im Haus sind, nie mehr Batterien für den MP3-Player zu besorgen hätte, gerade, wenn die Läden dicht gemacht haben, oder den kaputten Schlauch flicken dürfte, wenn gerade der Krimi im Fernsehen anfängt.

*** Wo wir aber schon einmal bei Erziehungsberechtigten und den Regeln des Leninismus sind: Ein "Roter Kalender gegen den grauen Alltag" aus den 70er Jahren schrieb einmal unter dem Datum des Geburtstags von Thomas Mann: "Feiert nicht den Thomas, lest den Heinrich!" So ähnlich retteten dann in den 90ern Extrabreit eine Andere, die dieser Tage wohl keinen schönen Abschied hatte. "Für mich solls rote Rosen regnen", gemeinsam von der Knef und Extrabreit, da klingelte etwas bei Hal, der mit Musik nicht nur seine Jugendsünden oder etwaige Anstrengungen im Rahmen einer ins dritte Jahr gehenden Kolumne verbindet. Was die Erziehungsberechtigten immer vom "Geschenkten Gaul" schwärmten, führte dann doch nur zu reflexhaften Überlegungen über Charaktermasken. Also, feiert Hildegard Knef meinethalben nachträglich. Aber bitte wegen gelungener Chansons, verrückter Experimente und Filmen wie "Die Mörder sind unter uns".

Was wird.

Was wird in den nächsten zwei Jahren kommen, wenn nicht UMTS, damit WWWW für Nachteulen unterwegs lesbar wird, natürlich multischick mit MPEG-4, für das der Provider Gebühren abkassieren kann. Was noch? Ich weiß es nicht und werde auch nichts prophezeien. Näher dran sind die Olympischen Spiele, um von der CeBIT ganz zu schweigen. Die Website ist schon da und entspricht nicht den Vorschriften für eine behindertengerechte Gestaltung. Bleibt es dabei, so sind bis zu 20.000 US-Dollar Strafe täglich möglich. Die will man zahlen, mit dem Hinweis, das es Paralympics gibt. Was lernt der gemeine Surfer für die Zukunft: Es gibt ein Internet für Gesunde und eins für Behinderte, eins für Weiße und eins für den Rest. Es geht voran, Geschichte wird gemacht.

Kolophon

Das Sein bestimmt das Bewusstsein und der Unterbau trägt in letzter Instanz den ganzen Rest. Auf den Schultern von Riesen stehend soll einmal die Basis geehrt werden, ohne die Was war, Was wird nicht möglich sein würde. Dank an den Host, den Heise-Zeitschriften-Verlag. Dank an das Internet, die Leser, die rege Links schickenden Fans, die treuen Leser, an Trentino Pinot Grigio, Vino Nobile di Montepulciano und Trollinger in allen Lagen, die nüchternen Leser, an Frank Zappa, J. Geils Band und John Coltrane. Dank an die geduldige Hardware und die geduldigen Leser. Dank auch für das nüchterne Handwerkszeug, für DOS, Windows NT und Mandrake Linux, für Ultraedit und Euroscript. Der größte Dank aber geht an die Eine, ohne die Alles nicht lesbar, nicht denkbar und nicht wunderbar wäre, die Mutter aller Erfindungen: Die Leertaste. (Hal Faber) / (jk)